Wie Bodenverbauung die Landwirtschaft unter Druck setzt
Südtirols landwirtschaftliche Flächen schrumpfen, weil sie als Bauland verwendet werden. Nachbarländer wie die Schweiz machen vor, wie sie sich schützen lassen.
Der Klausner Bauer Anton Huber (Name fiktiv gewählt) besucht eine Bürgerbeteiligung zum Thema Bauen. Als der Architekt neue Pläne zur Baulanderweiterung präsentiert, erfährt Herr Huber, dass seine prachtvollen Wiesen, die er zeit seines Lebens mit großer Leidenschaft bearbeitet hat, schon bald Wohnungen weichen sollen. Er steht auf, um seinem Unmut Kund zu tun und zu verkünden, dass er damit nicht einverstanden ist. Er ist stolzer Bauer in einem kleinen Dorf an den Berghängen nahe Klausen, ist dort aufgewachsen und will auch weiterhin dort oben auf seinem Hof wohnen. Ohne seine Lebensgrundlage kann er nicht mehr Bauer sein.
Landwirtschaftliche Flächen wie die Huber-Wiesen sind ein wertvolles Schutzgut, da sie zur Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln dienen. Gleichzeitig sind stadtnahe landwirtschaftliche Flächen hohem Bebauungsdruck ausgesetzt, da sich die besten landwirtschaftlichen Böden aufgrund ihrer günstigen Lage im Gelände und ihrer Nähe zu Dörfern auch für die Siedlungsentwicklung gut eignen.
Vor allem Landwirtschaft betroffen
In Südtirol wurden zwischen 2015 und 2019 ein Drittel aller neu errichteten Gebäude in die natürliche Landschaft gebaut, meist auf Kosten der Landwirtschaft. In der Vergangenheit führten viele Ausnahmeregelungen dazu, dass das landwirtschaftliche Grün von landwirtschaftlichen Betrieben selbst für Bebauung in Anspruch genommen werden kann und viele Ausnahmen wurden auch im neuen Raumordnungsgesetz eingeführt, welches 2020 in Kraft getreten ist.
Das Raumordnungsgesetz definiert wichtige Ziele, die vorgeben wie in Südtirol gebaut werden soll, welche Pläne dazu ausgearbeitet werden müssen und es bestimmt die Verfahren, wie diese ausgearbeitet und rechtlich genehmigt werden. Unter den Zielen fallen beispielsweise der Schutz der Landschaft und von natürlichen Ressourcen, die Aufwertung des ländlichen Raums unter Berücksichtigung der besonderen Erfordernisse der Landwirtschaft, sowie die Einschränkung des Bodenverbrauchs. Für bestimmte Wohngebäude im Landwirtschaftsgebiet definiert das Gesetzt jedoch Erweiterungsmöglichkeiten.
Die zerstreute Lage der Bauernhöfe bewirkt dadurch einen erhöhten Flächenverbrauch für weitere Infrastrukturen wie Zufahrtswege, Wasser- und Stromleitungen, Telefon, sowie einen beträchtlichen Eingriff in die Landschaft. Sie ist also Mitverursacher der Verbauung landwirtschaftlicher Böden. Dazu kommt, dass Waldgebiete meist durch das Forstgesetz und ökologische wertvolle Flächen durch Naturschutzgesetze gut abgesichert sind. Auch Gebiete, die von Hochwasser betroffen sein könnten, werden durch Gutachten erfasst und über die Raumordnung von Verbauung freigehalten.
Fehlender Schutzstatus für landwirtschaftliche Flächen
Während diese Gebiete einen hohen Schutzstatus besitzen, steckt der Schutz von landwirtschaftlichen Flächen hingegen noch in den Kinderschuhen. Die Möglichkeit, landwirtschaftliche Gebiete langfristig zu schützen, wird nicht von jeder Gemeinde in Anspruch genommen und die Entscheidungsgründe sind von Gemeinde zu Gemeinde sehr individuell. Am 24. August 2021 wurde von der Landesregierung der „Technische Leitfaden für die Ausarbeitung des Gemeindeentwicklungsprogramms für Raum und Landschaft“ genehmigt. Das Entwicklungsprogramm legt fest, was und wo in den nächsten zehn Jahren in einer Gemeinde gebaut werden soll.
Im technischen Leitfaden sind dazu unter anderem Kriterien zur Festlegung von neuen Siedlungsgrenzen angeführt. Sie trennen geeignete Gebiete ab, die in den nächsten zehn Jahren vorrangig bebaut werden können, um in dieser Zeit alle restlichen Gebiete vor dem Bodenverbrauch zu schützen. Einziges Kriterium zum Schutz der Landwirtschaft ist derzeit der Erhalt von hochqualitativen Weinbergen. Der Erhalt landwirtschaftlich wertvoller Flächen und die Produktivität der Böden gilt bisher nicht als Kriterium für die Definition der Südtiroler Siedlungsgrenzen.
Auch das Vermeiden einer Zerstückelung landwirtschaftlicher Flächen zum Erhalt derer Verbindung über die Gemeindegrenzen hinaus wird im technischen Leitfaden nicht angeführt, sondern es wird hauptsächlich vom Gemeindegebiet gesprochen. Im Alpenraum haben nur wenige Regionen erkannt, dass der Siedlungsdruck auf landwirtschaftliche Flächen reduziert werden muss, und haben über die Raumordnung zusätzliche Schutzmechanismen in landesweiten Regelungen eingesetzt.
Österreich und Schweiz als Vorreiter
Genau hier setzt das „AlpenPlan“-Netzwerk an und versucht, solche innovativen Beispiele unter anderem für die Sicherung der Landwirtschaft zu sammeln und von den gegenseitigen Erfahrungen zu profitieren. Dieses Netzwerk mehrerer Regionen wird im Rahmen des Alpenraumprojektes „OpenSpaceAlps“ zusammen mit der deutschen Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) seit Oktober 2020 aufgebaut. In einem alpenweiten Austausch im Mai 2021 wurden geschützte landwirtschaftliche Flächen in Tirol und Vorarlberg vorgestellt.
In Tirol hat man Flächen für die Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion und den Erhalt bäuerlicher Betriebsstrukturen im Jahr 2015 über die Raumordnung kartografisch im ganzen Land festgelegt: Sie werden Vorsorgeflächen genannt. Anders als in Südtirol können sie als Kriterium für Siedlungsgrenzen herangezogen werden. In diesen Flächen sind nun keine Bebauungen mehr zulässig. Einzige Ausnahme sind Gebäude, die für die Bewirtschaftung der Bauernhöfe nötig sind. Die Flächen wurden über Kriterien ausgewählt, die zeigen, ob Grund und Boden für die Bewirtschaftung geeignet sind. Das sind die Bodenfruchtbarkeit, die Hangneigung, sowie eine Mindestgröße von vier Hektar.
In Vorarlberg ist man noch einen Schritt weiter. Dort hat man bereits in den 1970er- Jahren in Absprache mit den Gemeinden eine landesweite Grünzone eingerichtet. Ähnlich wie bei den Tiroler Vorsorgeflächen werden landwirtschaftliche Flächen vor Bebauung gesichert, in der Grünzone sind aber noch zusätzlich ökologisch wertvolle Flächen und Naherholungsgebiete enthalten.
Die OpenSpaceAlps-Forscher sind auf weitere Beispiele zur Sicherung landwirtschaftlicher Flächen gestoßen. In Salzburg wird die Bodenfruchtbarkeit als Kriterium in der Raumplanung berücksichtigt und fließt bei Planungsentscheidungen mit ein. Dabei werden keine verbindlichen Grenzwerte festgelegt, wie in Tirol, das Bewusstsein und die Diskussion rund um den Schutz von landwirtschaftlichen Böden ist aber vorhanden. In der Schweiz sind seit den 1990er - Jahren sogenannte Fruchtfolgeflächen zur Versorgung der lokalen Bevölkerung eingeführt. Diese sind mit Schutzbestimmungen „für das beste Landwirtschaftsland“ verbunden. Auch hier ist das Ziel, die langfristige Versorgung mit Nahrungsmitteln zu sichern. Deshalb sollen sie vor Überbauung geschützt werden und sind deshalb kartografisch dokumentiert und in Zahlen erfasst. Jeder Kanton ist verpflichtet, ein bestimmtes Kontingent solcher Fruchtfolgeflächen zu sichern. Erst im Mai 2020 wurden die Bestimmungen überarbeitet und aus Gründen des anhaltenden Kulturlandverlustes nochmals verbessert.
Einmalige Gelegenheit, Schutzstatus zu verankern
Nahrungsmittelsicherung kann nur durch gute Böden erreicht werden. Deshalb stellt sich auch für Südtirol die Frage, ob Maßnahmen wie in Österreich oder der Schweiz geeignet wären. Südtirol befindet sich gerade in der Phase der Erstellung neuer Raumordnungspläne und hätte die Gelegenheit, einen Fachplan für die Landwirtschaft auszuarbeiten, damit hochwertige landwirtschaftliche Böden landesweit geschützt werden können.
Es wäre nicht das erste Mal: Ähnliche Pläne entstanden vor dem neuen Raumplanungsgesetz bereits für Landschaftsschutz, Forstgebiete und Gefahrenzonen, aber nicht explizit für landwirtschaftliche Flächen, die über die Gemeindegrenzen hinaus geschützt werden sollen. Es wäre gerade jetzt auch für Südtirol an der Zeit, das Thema Ernährungssicherheit mit Bodenschutz in Verbindung zu bringen und über die Raumordnung landesweit zu regeln, damit die alten Hofstrukturen erhalten bleiben können.
Kommen diese Pläne rechtzeitig, könnte vielleicht auch der landwirtschaftliche Grund und der Hof von Anton Huber erhalten bleiben.
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