Andrea Abel

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Sprache in Zeiten von Corona

Ein Interview mit Andrea Abel, Leiterin des Instituts für Angewandte Sprachforschung

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Andrea Abel, Leiterin des Instituts für Angewandte Sprachforschung

© Eurac Research | Annelie Bortolotti

Annelie Bortolotti
by Barbara Baumgartner

Covid-19 versetzte uns nicht nur in eine medizinische, soziale und wirtschaftliche Krise: Auch was die Informationsflut betraf, befanden wir uns in einer Art Ausnahmezustand, wurden bombardiert mit martialischer Rhetorik und neuen Begriffen, kommunizierten noch mehr online als vorher schon und erlebten, wie Gerüchte und Halbwahrheiten sich schneller als Viren verbreiten. Andrea Abel beleuchtet die Erfahrung aus Sicht einer Sprachforscherin.

Der Lockdown ist seit längerem vorbei, doch die meisten Forscher und Forscherinnen von Eurac Research und auch Ihres Instituts arbeiten noch immer hauptsächlich im Home-Office. Hat die Corona-Krise darüber hinaus ihre Forschungsarbeit direkt berührt?

Andrea Abel: Normalerweise arbeiten wir sehr viel mit Schulen zusammen, doch da in den vergangenen Monaten bei keinem unserer Projekte eine Erhebungsphase anstand, hat die Arbeit in diesem Sinne nicht gelitten – ein Zufall. Ganz direkt beschäftigt die Corona-Krise unsere Terminologinnen: Vor allem in der ersten Zeit waren sie sehr gefragt, denn in einer Situation großer Unsicherheit, in der laufend neue Begriffe auftauchen und wichtige Bestimmungen erlassen werden, ist es etwa für die Landesämter, aber auch für die Medien, essentiell, schnell über die richtigen Termini zu verfügen, die ein Konzept in beiden Landessprachen exakt widergeben. Eine Journalistin erklärte zum Beispiel einmal in einer Sendung, „Smart Working“ sei eine umgangssprachliche Bezeichnung für „Telearbeit“, was natürlich falsch ist. Bisher in der Bevölkerung kaum oder gar nicht bekannte Begriffe wie „soziale Distanz“ oder „asymptomatischer Patient“ gehören seit ein paar Monaten zum Alltagswortschatz. In der allgemein zugänglichen Online-Datenbank bistro haben wir bislang schon gut hundert neue Begriffe aufgenommen, die in Zusammenhang mit der Corona-Krise stehen.

Besonders in italienischen Berichten begegnete einem massive Kriegsrhetorik und -metaphorik: Da waren Krankenschwestern „Soldatinnen an vorderster Front“ und Ärzte arbeiteten „im Schützengraben“ .

Andrea Abel

Was fiel Ihnen als Sprachwissenschaftlerin in dieser Zeit besonders auf?

Abel: Ich habe die Berichterstattung in deutschen und italienischen Medien sehr aufmerksam verfolgt, und war erstaunt über die massive Kriegsrhetorik und -metaphorik, die uns da begegnet ist, ganz besonders in italienischen Berichten: Da waren Krankenschwestern „Soldatinnen an vorderster Front“, Ärzte arbeiteten „im Schützengraben“ oder man hoffte auf einen „Waffenstillstand“ mit dem Virus. Das ist nicht nebensächlich: Wer etwa von „Flüchtlingsflut“ spricht, beschwört eine bedrohliche Naturgewalt herauf. Nun wurde also der „Krieg“ gegen das Virus heraufbeschworen. Interessanterweise schien man da aber in der deutschen Presse viel zurückhaltender zu sein. Das kann historische Gründe haben, nach der Erfahrung des Nationalsozialismus geht man mit Kriegsmetaphern nicht mehr so unbeschwert um. Schaute man sich die lokale Berichterstattung an, so waren wir, meinem Eindruck nach, auf Deutsch und Italienisch gleichermaßen im „Krieg“. Und noch viel martialischer ging es in der US-amerikanischen Presse zu. Inwiefern sich da tatsächlich Unterschiede abzeichnen, fände ich interessant, genauer zu untersuchen, z. B. auf der Grundlage von Sprachkorpora, also großen digitalen Textsammlungen, von journalistischer Prosa oder auch von Social-Media-Kommunikation. Es wurden und werden, vorerst für das Englische, von Forscherinnen und Forschern auch schon Sprachkorpora zu Corona zusammengestellt, anhand derer man später verschiedene Aspekte der Sprachverwendung bzw. Reaktionen auf Entwicklungen oder Maßnahmen in dieser Zeit wird untersuchen können.

Ähnlich gefährlich wie die Pandemie sei die Infodemie, bemerkte der Generalsekretär der WHO – in Krisenzeiten verbreiten Falschinformationen und Halbwahrheiten sich besonders schnell, mit potentiell verheerenden Folgen.

Abel: Computerlinguistik kann eine wichtige Rolle dabei spielen, solche Fake News einzudämmen: Es werden zum Beispiel intelligente Algorithmen entwickelt, die beim Erkennen von Falschmeldungen helfen, oder auch Methoden, um jene Inhalte herauszufiltern, die nicht von Menschen, sondern von Bots kreiert wurden. Ich denke, die Corona-Krise kann hier durchaus Impulse geben, noch mehr in solche Forschung zu investieren.

Wie sehen Sie die künftige Forschungsarbeit ihres Instituts – tun sich da womöglich neue Fragestellungen auf?

Abel: Interessanterweise passt ein Projekt, für das wir gerade einen Förderungsantrag eingereicht haben, sehr gut zu der neuen Realität. Es geht dabei um die Verbindung von Online-Sprachenlernen und Crowdsourcing. Über eine digitale Lernplattform sollen Menschen kostenlos Sprachen lernen, wobei die Daten, die beim Lösen von Aufgaben entstehen, genutzt werden; so kann einerseits das digitale Lernangebot immer besser den individuellen Bedürfnissen der Lernenden angepasst werden, andererseits erhält die computerlinguistische Forschung sehr viele Sprachdaten, eine Win-win-Situation also. Es ist davon auszugehen, dass sowohl Online-Lehren und -Lernen, das zurzeit an Schule und Universität einen ungeahnten Aufschwung erlebt, als auch die computerlinguistische Forschung weiterhin an Bedeutung gewinnen werden, also auch Projekte wie dieses.

Andrea Abel

Leiterin des Instituts für Angewandte Sprachforschung von Eurac Research und auch privat eine immer neugierige Sprachbeobachterin. In Zeiten von Corona ist dies besonders interessant: „Wenn das Zeitunglesen in den vergangenen Monaten inhaltlich einigermaßen monothematisch war, so ist es sprachlich umso spannender – etwa zu sehen welche Rhetoriken von unterschiedlichen politischen Gruppierungen oder in unterschiedlichen Ländern und Sprachen verwendet werden.“

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