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Museen: Zwischen Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft

Bart van der Heide

1.      GLOBALISIERUNG IN WIRTSCHAFT UND KUNST

Man kann nicht über die Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft schreiben, ohne die Rolle von sozialen und wirtschaftlichen Faktoren zu berücksichtigen.1 Zeitgenössische Kunst ist – darin nicht unähnlich der Wissenschaft und der Wirtschaft ‒ auf intrinsische Weise innovativ, da sie eindeutigen Konventionen multiple bzw. mehrdeutige Szenarios gegenüberstellt und in jeder Hinsicht Grenzen zu überschreiten bemüht ist. So gesehen kommt eine Beschreibung der künstlerischen bzw. wissenschaftlichen Rolle des Museion ‒ des Museums für moderne und zeitgenössische Kunst Bozen ‒ zu beschreiben, nicht ohne Hinweise auf die sozialen und ökonomischen Veränderungen Südtirols in den letzten vier bis fünf Jahrzehnten aus. In diesem Zeitraum erfolgte weltweit progressiv die wirtschaftliche Öffnung in Richtung einer globalen bzw. dezentralisierten Wirtschaft. Die zunehmende Globalisierung in den 1980er Jahren ging Hand in Hand mit einer Deindustrialisierung, die ganz Europa und auch Bozens Industriekomplex erfasste. Als die seit den 1930er Jahren in Bozen errichteten industriellen Strukturen im Zug der Entwicklung von der Produktions- zur Servicewirtschaft obsolet zu werden begannen, musste sich auch Südtirol neu erfinden.

In Europa haben internationale Museen zeitgenössischer Kunst als Plattformen dieser Veränderungen fungiert. Spektakuläre Museumsneubauten haben dazu beigetragen, graue Industriestädte wie Bilbao oder Metz in wirtschaftlich lebendige touristische Destinationen zu transformieren. Auch deshalb stieß die von einer Gruppe Privater Mitte der 1980er Jahre initiierte Gründung des Museion in Bozen auf das Interesse der öffentlichen Stellen. Gegründet als Museum für Kunst aus der Region seit 1900, wird das Museion um 2000 zu einem international ausgerichteten Haus für moderne, vor allem aber zeitgenössische Kunst, bei dem der Aspekt der Private Public Partnership im Vordergrund stehen soll. Diese Entwicklung gipfelt 2008 in der Eröffnung des Neubaus des Museums, das nun von einer aus privatem Museumsverein und Landesverwaltung bestehenden Stiftung getragen wird. Der vom Berliner Architektenteam KSV errichtete ikonische Neubau trägt wesentlich zum Bild eines international, liberal und innovativ orientierten Landes bei.

 

2.      KUNST ALS RECHERCHE

Wichtige Impulse für die Sammlung Museion gingen von der umfangreichen Eröffnungsausstellung Peripheral Vision & Collective Body aus. Mit dieser Ausstellung des Jahres 2008 vollzog Museion das, was man als global shift bezeichnen kann. Es erfolgte der Übergang von einer zunächst regionalen und dann eurozentrischen zu einer globalen Perspektive, für den die schon viel früher globalisierte Wirtschaft das Terrain geebnet hatte. Unmittelbar nach der Eröffnung des Museion erfolgt im Sommer 2008 diejenige der Manifesta 7, der von Amsterdam aus gesteuerten Europäischen Biennale für zeitgenössische Kunst. Dass die Manifesta 7 in Bozen den aufgelassenen Industriebau der Alumix verwendete, verdeutlicht den auch in Südtirol sich vollziehenden Übergang von einer Industrie- zu einer Serviceökonomie. Es ist also mehr als ein Zufall, dass heute der NOI Techpark Südtirol in den ehemaligen Aluminiumwerken angesiedelt ist, die die zentrale Location der Manifesta 7 in Südtirol darstellten.

Im Zusammenhang mit moderner und zeitgenössischer Kunst ist oft von Forschung und Recherche die Rede. Und zwar nicht im Sinne einer Forschung über Kunst, sondern in dem Sinn, dass Kunst selbst Untersuchungen anstellt, etwa zu Themen sozialer oder politischer Natur. Aber auch zur Kunst selbst: zu ihren gesellschaftlichen Bedingungen und Voraussetzungen, zu ästhetischen Erwartungen und deren Veränderungen usw. Die Geschichte der Kunst des 20. Jahrhunderts ist charakterisiert vom Versuch, neue Territorien zu erschließen, und von der unablässigen Suche nach Antworten auf die jeweils neuen Fragen ihrer Zeit. Diese Antworten gehen naturgemäß weit über die bereits bekannten Lösungen hinaus. Die Systematik, mit der die Kunst seit 1900 ihre Grenzen erweitert hat, lässt sich durchaus mit dem Fortschreiten der Wissenschaften vergleichen. Hinter beiden steht der mit der Moderne auf den Plan getretene Fortschrittsgedanke.

Die Ausstellungen des Museion stehen also für ein Verständnis von zeitgenössischer Kunst als etwas Grenzüberschreitendem sowohl in geografischem Sinn als auch im Sinn der Überwindung von Konventionen. Museen und wissenschaftliche Institutionen dienen, je auf ihre Art, einer aktuellen Wissensproduktion: hier einer künstlerisch-humanistischen, dort einer wissenschaftlichen.

In den vergangenen zehn Jahren vertieften die Ausstellungen des Museion systematisch zeitgenössische Formen der Skulptur, die wachsende Rolle international agierender Künstlerinnen und die politische Dimension künstlerischen Agierens im Zusammenhang mit den immer drängender werdenden Identitätsfragen. Für diese Stoßrichtung musealen Handelns steht eine lange Reihe von Ausstellungen, die von entsprechenden Publikationen mit Essays namhafter Fachleute begleitet war. Zu nennen wären hier die großen monografischen Ausstellungen von Karin Sander, Lili Reynaud-Dewar, Judith Hopf, Carol Bove, Sonia Leimer, Rosemarie Trockel, Rosella Biscotti, Ceal Floyer, Tatiana Trouvé, Klara Lidén, Martin Kippenberger/Maria Lassnig, Monica Bonvicini oder Micol Assaël. Aber natürlich gehören auch von internationalen Kuratoren konzipierte Themenausstellungen hierher wie Somatechnics, Hämatli Patriae, Little Movements oder Soleil politique, die die Verquickung von Kunst mit komplexen gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen thematisierten.

 

3. ZUR ENTSTEHUNG EINES KULTURELLEN ÖKOSYSTEMS

Heute arbeitet Museion daran, seine Rolle im Zusammenhang mit den ökonomischen Transformationen noch einmal neu und breiter zu definieren. Die Partnerschaft zwischen Wissenschaft, Kunst und ökonomischem Fortschritt beschränkt sich nicht nur auf die Realisierung temporärer Projekte: Ziel muss die Entstehung eines Ökosystems sein, das Innovation fördert und dadurch nicht nur die Abwanderung von Talenten bremst, sondern auch Talente von außen anzieht. Die 2019 von der Handelskammer Bozen in Auftrag gegebene Studie “Brain Drain – Brain Gain” zeigt, dass derzeit – trotz der Attraktion von Universität und Eurac Research ‒ immer noch mehr gut Ausgebildete Südtirol verlassen als von außen in die Provinz kommen.

Südtirol verfügt über eine beachtliche Wissensökologie, doch wenn es nicht gelingt, die Talente im Land zu halten, wird die existierende Infrastruktur ihr Potenzial nur zum Teil entfalten können. Zeitgenössische Kultur leistet einen wesentlichen Beitrag zur Entstehung eines Kontexts, in dem sich internationale Talente zuhause fühlen und eine internationale Anbindung erfahren. In diesem Zusammenhang sei auf Harald Pechlaners und Sandra Langes sehr aufschlussreiche, 2009 publizierte Studie „Von Kultur am Standort zum Standortfaktor Kultur: Wo steht Südtirol?“ verwiesen.2 Museion ist entschlossen, als Brücke zwischen Schule und Universität zu fungieren, aber auch als Partner anderer Institutionen, die Programme entwickeln, um die Region für in- und ausländische Studierende sowie für junge Berufstätige mit innovativen Ideen attraktiv zu machen.

Museion hat das ambitionierte Ziel, mehr zu sein als nur ein Ausstellungshaus: Es will ein aktiver Partner sein, der an der Entstehung eines auf Innovation und Internationalität basierenden Ökosystems mitwirkt. Ökonomische, soziale und wissenschaftliche Themen werden in der Kunst mit Blick auf eine von alternativen Szenarios bestimmte Zukunft thematisiert. 

 

4. BEISPIEL ARCHIVIO DI NUOVA SCRITTURA

Sprache spielt eine zentrale Rolle im Kontext von Kommunikationsformen, die geografische und konzeptuelle Grenzen überschreiten. Ein wichtiger Teil der Sammlung Museion und damit auch der wissenschaftlichen Recherchen ist Kunstformen gewidmet, die die sprachliche mit der bildlichen Dimension verbinden. Dieser Sammlungsteil, der einen wichtigen Aspekt moderner und zeitgenössischer Kunst repräsentiert, ist geeignet, einen Blick auf die wissenschaftliche Arbeit des Museion zu werfen.

Der Aufbau der Sondersammlung „Kunst und Sprache“ beginnt Anfang der 1990er Jahre.  Sie erfährt 1999 durch die auf zwanzig Jahre angelegte Dauerleihgabe von knapp 2000 Werken des Archivio di Nuova Scrittura (ANS) eine Konsolidierung. Das Archivio hat seine Schwerpunkte in den Bereichen Konkrete Poesie, visuelle Poesie, Fluxus und Konzeptkunst und zählt zu den weltweit stärksten Sammlungen seiner Art. Die Auseinandersetzung mit Bild-Text-Beziehungen erweist sich aus verschiedenen Perspektiven betrachtet gerade am Standort Bozen als sinnvoll. Zum einen trifft die Auseinandersetzung mit Mischformen aus Kunst und Literatur den für moderne und zeitgenössische Kultur zentralen Aspekt der Hybridität bzw. Intermedialität, zum anderen rückt sie den für Südtirol so bezeichnenden Aspekt des Sprachlichen mit all seinen Implikationen ins Zentrum.

Das Archivio verkörpert am offensichtlichsten den Forschungsauftrag und zugleich die Forschungsleistung des Museion. Darüber hinaus eröffnet das Archivio Wege der wissenschaftlichen Kooperation. Seitdem Museion und Mart 1999 das Archivio gemeinsam übernahmen ‒ das Museion die knapp 2000 Werke, das Mart den archivarischen Bestand ‒ kooperieren die beiden Institutionen in diesem Bereich kontinuierlich und präsentieren in regelmäßigen Abständen Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Bearbeitung des riesigen Bestandes.

Dem Archivio und seinen Werken sind von Anfang an Ausstellungen und spezifische Initiativen gewidmet. Die Frage der digitalen Archivierung stand im Zentrum des EU-Projekts vektor, an dem Museion zusammen mit basis Wien, dem Zentralarchiv des deutschen Kunsthandels (Bonn), der John Hansard Gallery der Universität Southampton, den Archives de la critique d’art (Rennes) und dem documenta-Archiv Kassel beteiligt war. Konkretes Ergebnis des Projekts in Bozen war außer einem Digitalisierungsprojekt für die Sammlung die Präsentation „ArtWord“ (2002), die anhand von 300 Werken Einblick in das Archivio und in den Prozess seiner digitalen Erfassung gab. Das EU-Projekt vektor war Ausgangspunkt für die sich über Jahre hinziehende Erfassung von nahezu 2000 Werken nach klar definierten Kriterien. Eine Fortsetzung fand vektor in den Jahren 2018–2020 in der Kooperation VVV (Verbo Visuale Virtuale) zwischen Museion und Mart, bei der begonnen wurde, zusammengehörige Gruppen von Dokumenten miteinander zu verlinken, um Recherchen in Zukunft zu erleichtern.

Seit 2009 kam es im Rahmen des Formats der sogenannten Studiensammlung zur wissenschaftlichen Aufarbeitung und Präsentation spezieller Aspekte des Archivio: „ABC. Lettern im Raum“ (2009) untersuchte das Phänomen der auf den Futurismus zurückgehenden isolierten Buchstaben auf einer Fläche; „Dada ‒ Fluxus“ (2012) thematisierte die Affinitäten zwischen den beiden Kunstbewegungen und die Rolle der Multiples; in „Nanni Balestrini. Per una poesia totale“ (2014) ging es um das Prinzip der Collage in einer intermedialen Anwendung und bei „Irma Blank. Papierarbeiten“ (2017) stand die Rückübersetzung von Schrift in reine Linien im Mittelpunkt. 2021 kam es in Kooperation mit dem Landesmuseum Schloss Tirol zur Präsentation von „Maps. Landkarten aus der Sammlung Museion“, bei der künstlerische Landkarten als intermediale Phänomene untersucht und in Beziehung zu traditionellen Landkarten gesetzt wurden. In der Ausstellung „Here to stay“ von 2021 wurden Beziehungen zwischen Werken der 1960er und 1970er Jahre aus dem Archivio und Werken der Jahre 2000-2010 untersucht und dargestellt.

Die schließlich 2020 von Paolo Della Grazia, dem Sammler des Archivio, beschlossene Schenkung an Museion und Mart führt zur Ausstellung „Intermedia. Archivio di Nuova Scrittura“. Der im Titel verwendete Terminus Intermedia verweist auf den im Archivio intensiv vertretenen amerikanischen Künstler Dick Higgins, der Mitte der 1960er Jahre den Begriff intermedia in den internationalen Kunst- bzw. Kulturdiskurs einführt. Gleichzeitig bezieht sich der Titel auf den grundsätzlich hybriden bzw. intermedialen Charakter der modernen und zeitgenössischen Kunst. Die vom Museion systematisch untersuchten Bild-Text-Kombinationen des Archivio sind ihrerseits Ausdruck der von der avantgardistischen Kunst praktizierten Kunstrecherchen bzw. -untersuchungen, bei denen sie der Leistung der Kombinationsmöglichkeiten von Schrift und Bild, aber auch deren Grenzen nachforschen.

 

5. AKADEMISCHE KOOPERATIONEN

Zur kunstwissenschaftlichen Recherche im engeren Sinn, bei welcher im Wesentlichen Teile der eigenen Sammlung erforscht werden, kommen im Fall des Museion Kooperationen mit Institutionen, die der akademischen Ausbildung dienen.

Genannt sei zunächst die älteste systematische Kooperation zwischen Museion und Freier Universität Bozen, die die Form einer Vortragsreihe hatte. In den Jahren 2000-2020 organisierten Museion und Universität gemeinsam das Format artiparlando. Diese hochkarätig besetzte Vortragsreihe mit namhaften Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Philosophie, darunter auch ein Nobelpreisträger, verfolgte das Ziel, dem lokalen Umfeld anspruchsvolle Impulse anzubieten und gleichzeitig Interesse für die Aktivitäten von Universität und Museion zu wecken.

Erste informelle Beziehungen zu einer akademischen Institution gab es bereits Anfang der 1990er Jahre, als im Rahmen von Vorlesungen immer wieder größere Gruppen von Studierenden des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Innsbruck Ausstellungen des Museion besuchten. Nach Gründung der Freien Universität Bozen Ende der 1990er Jahre wurde die Fakultät für Bildungswissenschaften Schritt für Schritt zu einem wichtigen Partner.

Seit 2018 bietet Museion alljährlich Fortbildungsmodule für die deutsch- und italienischsprachigen Studierenden der Fakultät für Bildungswissenschaften an. Zentrales Thema ist dabei das Museum als außerschulischer Lern- und Erfahrungsort. Das Museum, aber auch das Territorium als spezielle Lernorte stellen wichtige theoretische Aspekte der an der Freien Universität Bozen vertretenen Auffassung von Kunsterziehung dar. Ebenfalls seit 2018 ist Museion an der jährlich stattfindenden internationalen pädagogischen Fachtagung Educazione Terra Natura beteiligt. In der Zusammenarbeit zwischen Museion und der Fakultät für Bildungswissenschaften treffen Praxis und Theorie der Kunsterziehung auf höchst fruchtbare Weise aufeinander. Über die Fakultät für Bildungswissenschaften hinaus gibt es heute eine Konvention mit der der Freien Universität Bozen, die allen Studierenden freien Eintritt ins Museion erlaubt.

Seit 2014 gibt es auch punktuelle Formen der Zusammenarbeit des Museion mit der Fakultät für Design und Künste. So ist Museion Partner im fortlaufenden Forschungsprojekt EDDES (Education through Design), in dessen Rahmen es zur Teilnahme des Museion am Festival Come On Kids kam, zur Realisierung des Museion Kids Space Octopus, zu Beiträgen in diversen Publikationen und zur Mitwirkung des Museion im berufsbegleitenden Fortbildungs-Master Design for Children der Fakultät für Design und Künste.

Inzwischen ist Museion auch involviert in die Ausarbeitung einer kunst- bzw. kulturzentrierten, modularen Lehrveranstaltung im Rahmen des Studium Generale der Freien Universität Bozen. Die geplante Lehrveranstaltung fällt in den Bereich Creativity & Culture, die Ausarbeitung erfolgt in Zusammenarbeit mit Plattform / UniBZ.

Im Rahmen der 2018 begonnenen Zusammenarbeit mit der Scuola di Alta Formazione dell’Istituto Centrale del Restauro mit Sitz in Matera und Rom kommt es zu mehrwöchigen Aufenthalten von Studierenden, die anhand konkreter Werke aus der Sammlung Museion Restaurierungen vornehmen. Diese von Lehrkräften der Scuola di Alta Formazione supervisionierten Restaurierungen werden in einer Abschlussveranstaltung der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt und erklärt.

 

6. SÜDTIROLS WISSENSINSTITUTIONEN: EIN WANDEL IN RICHTUNG WISSENSÖKOLOGIE


Der Mensch hat bei einer Kompetition auf der Wissensebene keine Chance. Computer wissen immer mehr als du. Ein Computer kann aber ‒ anders als ein Mensch ‒ nicht weise sein. Was ist der Unterschied zwischen ‚wissen‘ und ‚weise sein‘? Leute, die wissen, sehen etwas, das andere Leute nicht sehen. Ein Mensch, der weise ist, sieht etwas und tut so, als hätte er es nicht gesehen. Menschen mit Wissen wissen, was sie wollen; weise Menschen wissen, was sie nicht wollen.“

Im Zuge dieses 2018 auf dem Davos Global Forum gemachten Statements plädierte Jack Ma, der Gründer der chinesischen Alibaba Group, für ein „philanthropisches Herz erfolgreicher Unternehmen“. Die Welt der Unternehmen sei zu sehr auf die Akkumulation von Profit zentriert statt auf eine zukunftsorientierte Entwicklung. Wie wird unsere Gesellschaft in zwanzig Jahren aussehen, wenn artifizielle Intelligenz zu weniger Arbeitsplätzen und mehr Freizeit führt? Sagen wir unseren Kindern das Richtige, wenn wir ihnen dazu raten, empiriebasierte Forschungsfelder zu studieren, von denen man weiß, dass sie von Computern übernommen werden? In Wirklichkeit sollten wir unsere Kinder in den Bereichen ausbilden lassen, die uns von Computern unterscheiden. Fortschritt und Innovation haben natürlich eine technische und ökonomische Seite, aber auch eine soziale und kulturelle. Dementsprechend kann der Herausforderung, dass mehr gut Ausgebildete Südtirol verlassen als nach Südtirol kommen, nicht nur durch ökonomische und wissenschaftliche Innovation begegnet werden, sondern es braucht auch kulturelle Innovation. Bozen braucht ein Ökosystem, das für zielstrebige und begabte professionals internationaler und regionaler Herkunft zum Denken anregende Orte bietet, die inspirierend wirken.

Die Beziehungen zwischen Kunst, Wissenschaft und Ökonomie manifestieren sich nicht nur im Rahmen einzelner Projekte oder Institutionen, sondern auch zwischen Institutionen. Museion möchte ein Partner sein, der dazu beiträgt, ein fruchtbares kulturelles Ökosystem entstehen zu lassen, in dem engagierte Personen aus dem internationalen und dem lokalen Kontext sich angeregt, angebunden und wohl fühlen. Wir wollen mit den regionalen und internationalen Wissensinstitutionen eng zusammenarbeiten und Museion im philosophischen bzw. visionären Diskurs über die Zukunft von Leben, Arbeit und Gemeinschaft ganz vorne positionieren. 

Museen haben immer die Position der Humanwissenschaften vertreten, und genau diese Rolle will Museion ganz klar weiterhin übernehmen. Die Definition der Humanwissenschaften ist heute nicht so klar, wie sie es zur Zeit der Aufklärung war. Seit den 1970er Jahren haben postkoloniale und feministische Theorien die Widersprüche in Zusammenhang mit der Annahme der Universalität des menschlichen Subjekts ins Licht gerückt: und zwar durch Hinweise auf Rasse, Sexualität, Funktionsfähigkeit des Körpers und Klassenzugehörigkeit.

In Zeiten progressiver Globalisierung und fortschreitenden Auseinanderdriftens zwischen Online- und Offline-Welten wachsen Fragmentierung und Zersplitterung und damit die Notwendigkeit ethischer Verantwortung. Es stellt sich die Frage: Wie kann eine solche Form der Verantwortung herausgebildet werden in einer Zeit zunehmender Dezentralisierung der Menschheit? Sind wir bereit, uns auf ein nicht egobasiertes Verständnis von Humanität einzulassen?

Mit großen internationalen Ausstellungen, die das gesamte Museumsgebäude einnehmen, internationalen wissenschaftlichen Beratern, unterschiedlichen Publikationen und einem lebendigen Begleitprogramm beginnt Museion ein langfristig angelegtes Projekt, das darauf abzielt, die soziale und wissenschaftliche Rolle der Museen angesichts der oben angedeuteten gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zu definieren.

Die erste Ausstellung in diesem Sinn ist „Techno“: Sie wird erstmals versuchen, das Phänomen Techno außerhalb des subkulturellen Kontexts zu untersuchen und in einem breit angelegten Diskurs eine Verbindung herzustellen zu Globalisierung und Freihandel. Die Ausstellung stellt die Techno-Erfahrung ins Zentrum und ist in drei Bereiche gegliedert: Freiheit, Kompression und Erschöpfung. „Techno“ fungiert nach Art einer Linse, mit deren Hilfe sich die derzeitigen Lebenskonditionen und die entsprechende soziale Ordnung erfassen lassen. Museion lädt in diesem Zusammenhang internationale Künstlerinnen und Künstler, Intellektuelle und Producer ein, um zu erforschen, was die mit Techno verbundenen kulturellen Phänomene mit der Art und Weise zu tun haben, wie wir heute unsere Identitäten wahrnehmen.

 

Das Museion, wie ich es sehe, baut eine enge Beziehung mit dem lokalen Umfeld auf. Museion Forum ist ein neues öffentliches Format, bei welchem Museion es unternimmt, erstmals kulturell aktiv engagierte Bürgerinnen und Bürger in seine Programmierung einzubeziehen. Es geht dabei u.a. um einen intergenerationalen Austausch, aber auch darum, die Welt der Unternehmen mit dem kreativen Sektor zusammenzubringen. Der Leitgedanke dabei ist, das Publikum nicht einfach mit den Ergebnissen zu konfrontieren, sondern es von Beginn an in den Entscheidungsprozess einzubeziehen. Das ist für mich der Anfang eines Prozesses, bei dem es darum geht, Leute zusammenzubringen, um ein inklusives kulturelles Ökosystem zu schaffen, das ein innovatives (künstlerisches) Denken und junge Forschung fördert.

 

 


1 Ich danke Andreas Hapkemeyer für die Revision dieses Beitrags.

2 Harald Pechlaner, Sandra Lange, „Von Kultur am Standort zum Standortfaktor Kultur: Wo steht Südtirol?“, in Pechlaner, Harald; Glüher, Gerhard; Lange, Sandra (Hrsg.): Kultur und Kreativität als Standortfaktoren, Bozen: Athesia 2009, 83–99.