Page Index
Page Index

Die Eurac Library im Spiegel der Zeiten

Antje Messerschmidt

Which is the role of the EURAC Library? By using a few snapshots from the history of the library and outlooks on its present and future challenges, this contribution delineates the essence and significance of the library for research. In a way, the library is a mirror of its institution. The collection on the shelves reflects the thematic diversity and dynamic development of EURAC with its currently eleven institutes and various centers and now 550 staff members.

 

Gibt es einen geeigneteren Ort als die Bibliothek, um in die Geschichte einer Institution einzutauchen, ihr Wesen zu reflektieren und die vielen Spuren zu entdecken, die Forscher und Professoren im Laufe der Jahre hinterlassen haben? In gewisser Weise ist die Bibliothek Spiegel der Institution, und sicher kann man das auch über die Eurac Library sagen. Hier wird in den Regalen die thematische Vielfalt und dynamische Entwicklung von Eurac Research sichtbar, am Bestand lassen sich die Forschungsschwerpunkte der einzelnen Institute ablesen, und hier finden sich auch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Form ihrer eigenen Publikationen.

 

AUFBAUZEIT

Wir haben es besonders dem Übersetzungswissenschaftler und Juristen Reiner Arntz (1943 –2012) zu verdanken, dass die Bibliothek offiziell schon im ersten Lebensjahr der Europäischen Akademie Bozen 1993 gegründet wurde. Er war erster Bereichsleiter des Forschungsbereichs „Sprache und Recht“ und, ganz zu Beginn unserer Institution, als sie nur acht Mitarbeitende hatte, ad Interim auch des Bereichs „Ethnische Minderheiten und regionale Autonomien“, und er regte die rasche Gründung einer professionell geführten Bibliothek an, was durchaus nicht selbstverständlich ist, wie die Entstehungsgeschichte anderer Bibliotheken zeigt.

Das erste größere Projekt der Bibliothek war die Beschaffung von Publikationen zum Thema Rechtssprache und zu den vielfältigen Beziehungen zwischen Recht und Sprache. Als Grundlage diente damals eine bibliografische Datenbank des Hamburger Professors Theo Bungarten. Noch heute verfügt die Eurac Library über einen beachtlichen Bestand an Publikationen zu diesem Thema. In den Anfangszeiten, es war die Ära vor dem Internet, war das Bibliographieren und Beschaffen dieser Publikationen noch ziemlich mühsame Handarbeit. Die Bibliothekarin ging persönlich in die nächste größere Bibliothek, die Landesbibliothek Tessmann in Bozen, um dort Kataloge und Buchhandelsverzeichnisse zu konsultieren.

Auch das erste an der Eurac Research entstandene Buch ist Professor Arntz zu verdanken (La traduzione: nuovi approcci tra teoria e pratica. A cura di Reiner Arntz. Napoli: CUEN, 1995). Es handelt sich um die Beiträge zu einer Veranstaltungsreihe des damaligen Fachbereichs „Sprache und Recht“ im Sommer 1994, an der namhafte Übersetzungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus Italien und dem deutschsprachigen Raum teilnahmen. Ich zitiere frei aus dem Vorwort des Bandes: „Das Ziel jeglicher Übersetzungsarbeit ist es, Brücken zwischen Sprachen und Kulturen zu bauen“. Und das Brückenbauen in all seinen Bedeutungen repräsentiert auch in besonderer Weise die Aufgaben und Ziele des gerade gegründeten Forschungszentrums – nicht umsonst stellt das erste Logo der Europäischen Akademie eine stilisierte Brücke dar.

Diese ersten Jahre an der Europäischen Akademie waren eine Zeit voller Aufbruchstimmung: 1994 entstand das Magazin „Academia“, das zunächst unter dem Namen „Info“ in schwarz-weiß erschien. Es hatte das Ziel, ein breites Publikum mehrsprachig und in allgemein verständlicher Form über die wissenschaftliche Arbeit des Forschungszentrums zu informieren. Inzwischen ist das Magazin neu gestylt, farbig und professionell gestaltet und hat Ausgabe Nummer 83 (im Dezember 2021) erreicht. Für Interessierte, die sich mit der Geschichte der Institution beschäftigen, stellt es eine wahre Fundgrube dar.

Ab 1997 entstand auch eine eigene Schriftenreihe unter dem Namen „Arbeitshefte – Quaderni“, in der unter anderem das erste terminologische Wörterbuch zur Südtiroler Rechts- und Verwaltungssprache erschien (Nr. 8 von 1998, hrsg. von Felix Mayer), sowie auch eine Publikation der Bibliothek, ein deutsch-italienischer Sprachführer für Bibliothekare und Benutzer unter dem leicht ironischen Titel „Entschuldigung, wo sind die Bücher / Scusi, dove sono i libri?“ (Michael Berndt, Elisabetta Tait, Nr. 30 von 2001).

Inzwischen sind weit über 300 Monografien zu allen thematischen Schwerpunkten aus unserem Forschungszentrum hervorgegangen, von Themen wie Minderheiten oder Migration, Landschafts- und Naturschutz sowie Klimawandel, bis zu Erneuerbaren Energien oder medizinischen Fragen. Im Laufe der Zeit erschienen diese beispielsweise in internationalen Verlagen wie Nomos, CEDAM, Hart, Beck, Gabler oder Springer, Brill Nijhoff, Taylor & Francis.

Im Folgenden möchte ich noch einige herausragende Persönlichkeiten nennen, die auch in der Bibliothek von Eurac Research ihre Spuren hinterlassen haben: den Südtiroler Politiker Alexander Langer, der uns kurz vor seinem Tod 1995 besuchte und der sich Zeit seines Lebens intensiv für die Verständigung der Sprachgruppen nicht nur in Südtirol eingesetzt hatte – man denke nur an seinen Einsatz in dem sich zuspitzenden Konflikt in Ex-Jugoslawien; den Dalai Lama, dessen erster Besuch auf 1997 zurückgeht und in eine Beratung der tibetischen Exilregierung in Fragen einer Autonomie für Tibet mündete; den Hirnforscher und Kybernetiker Valentin von Braitenberg (1926–2011), der in den Anfangsjahren der Europäischen Akademie im wissenschaftlichen Beirat vertreten war und mit seinem freien Geist die damaligen Forscher nachhaltig beeinflusst hat; Sergio Ortino (1940–2011), Leiter des Bereichs „Minderheiten und Autonomien“ von 1996–2002, der immer weit über die fachlichen Grenzen hinwegblickte und als einer der ersten zu Globalisierungsprozessen schrieb, lange bevor dies allgemein zum Forschungsgegenstand wurde.

In die Anfangszeit von Eurac Research fällt auch die Vorbereitung für die Gründung der Freien Universität Bozen und ihrer Bibliothek, deren Konzeption auf eine Arbeitsgruppe unter der Leitung der Berater Klaus Kempf (Bayerische Staatsbibliothek München) und Aldo Pirola (Biblioteca Queriniana Brescia) zurückgeht. Zwischen der Bibliothek der Freien Universität Bozen und der Eurac Library besteht seither eine enge Kooperation, die sich unter anderem in einem gemeinsamen Katalog, gemeinsamer Benutzerverwaltung, einer abgestimmten Erwerbung, der gleichen Aufstellungssystematik, sowie gemeinsamer Lizenzen für elektronische Ressourcen niederschlägt.

 

ZEITEN DES WACHSTUMS: NEUE SCHWERPUNKTE, NEUE HERAUSFORDERUNGEN

Der Umzug in das ehemalige, aus den 1930er Jahren stammende GIL-Gebäude an der Drususallee in Bozen im Jahr 2001 bescherte der Bibliothek neue großzügige Räumlichkeiten – der Lesesaal ist die ehemalige Turnhalle des GIL-Gebäudes. Damit kamen auch neue Fach- und Forschungsbereiche zu den traditionellen Schwerpunkten Sprache und Recht, Minderheiten und Autonomien, Umwelt und Management hinzu: Innerhalb weniger Jahre entstanden neue Institute in den Bereichen Biomedizin, Mumienforschung, Notfallmedizin und Erneuerbare Energien. In der Bibliothek der physischen Bücher sind diese Bereiche weniger sichtbar – gerade in den Naturwissenschaften, der Medizin und Technik sind die Hauptinformationsquellen in digitaler Form verfügbar (elektronische Ressourcen, Datenbanken, E-Journals und E-Books). So wurden beispielsweise in Deutschland 2019 fast 60% der Erwerbungsausgaben von wissenschaftlichen Bibliotheken für digitale Medien aufgewendet (DBV 2020). Für die Bibliotheksverantwortlichen kommen neue Aufgaben bei der Aushandlung von Lizenzen und der Bereitstellung der digitalen Medien hinzu; was Nutzerinnen und Nutzern manchmal gar nicht bewusst ist: Hinter den Netzinhalten steht eine Bibliothek, die diesen Zugang für teures Geld ermöglicht.

Keine Bibliothek der Welt könnte auch nur annähernd alle relevanten Informationsquellen selbst zu einem kleinen Teilbereich der Forschung von Eurac Research sammeln. Daher hat es sich die Bibliothek zum Ziel gemacht, vorwiegend neuere wissenschaftliche Literatur zu den thematischen Schwerpunkten der einzelnen Institute zur Verfügung zu stellen. Es geht in erster Linie um die Literaturversorgung der Forschenden zu den aktuellen Projekten. Nur selten gebrauchte Literatur kann auch über Fernleihe und Dokumentenliefersysteme besorgt werden. Wenn wir den physischen Bestand der Bibliothek beschreiben sollen, so kann man sagen, dass es zu bestimmten Schwerpunkten, die sich über die Jahrzehnte hindurchgezogen haben, einen besonderen Bestand gibt, der auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von außerhalb der Region an die Eurac Library zieht. Genannt werden sollen hier: die schon anfangs erwähnte Rechtssprache, Übersetzungsforschung und Terminologie, Föderalismus, vergleichendes Verfassungsrecht und Minderheiten und Public Management – alles Thematiken aus den Geistes-, Rechts- und Sozialwissenschaften, während in den Umwelt- und Naturwissenschaften, Technik und Medizin die digitalen Informationsquellen vorherrschen.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends erhielt die Bibliothek auch einen bedeutenden Zuwachs zu ihren Beständen durch die Übernahme der damaligen Ökobibliothek Neustift. Dies ist die größte Fachbibliothek Südtirols zu ökologischen und Umweltthemen. Diese für ein breites Publikum konzipierte Sammlung wird seither an Eurac Research als ECO Library fortgeführt. Damit stellt die Eurac Library auch der interessierten Öffentlichkeit Dienstleistungen zur Verfügung, z.B. durch das Zusammenstellen von Medienpaketen für Schulen und andere Bibliotheken. Über einhundert Institutionen nehmen jährlich dieses Angebot in Anspruch und auch ein allgemein an Umweltthemen interessiertes Publikum findet den Weg in die Räumlichkeiten der Eurac Library, um dort zu arbeiten oder Bücher zu entleihen.

 

NEUE TECHNOLOGIEN, PLATTFORMEN UND DIE ZUKÜNFTIGE ROLLE DER BIBLIOTHEKARIN

Wenn man auf die letzten 30 Jahre zurückschaut, so hat sich nicht nur im Bibliothekswesen eine gewaltige Revolution vollzogen. In einer Zeit, in der jegliche Information nur einen Klick entfernt zu sein scheint, wird die Existenzberechtigung von Bibliotheken von manchem angezweifelt. Zu den traditionellen Aufgaben von Bibliotheksverantwortlichen und Bibliotheken – Sammeln, Erschließen, Bewahren und Bereitstellen von Information – kommen aber heute eher noch weitere Dienstleistungen hinzu.

Sowohl im Bereich der Printmedien, die uns sicher auch in Zukunft begleiten werden (Bonte 2015; Donovan 2020), als auch, was die digitalen Bestände betrifft, haben Bibliotheken eine Art Lotsenfunktion. Sie spielen in Zeiten eines exponentiellen Anstiegs von Publikationen, eine wichtige Mittlerfunktion zwischen der Informationsflut und dem Endnutzer. Informationskompetenz ist eine Schlüsselkompetenz in unserer heutigen Gesellschaft. So fand dann auch im Jahre 2006 an Eurac Research eine internationale Veranstaltung zum Thema Informationskompetenz in der Bibliothek statt.

Ein wichtiges neueres Thema im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens ist die Open-Access-Bewegung, die sich den freien und kostenlosen Zugang zur wissenschaftlichen Information zum Ziel gesetzt hat. Der Anteil an Zeitschriftenartikeln, die für die Endnutzer ohne Kosten zugänglich sind, steigt beständig. Hier könnte man auf den ersten Blick annehmen, dies mache die Bibliotheken als Vermittler überflüssig. Die Fachleute in den Bibliotheken tragen aber über die Herstellung und Pflege dieses Zugangs entscheidend dazu bei, dass dieser auch auf Dauer garantiert ist. Traditionelle Kataloge, die den Bestand einer Bibliothek erfassten, sind durch Plattformen abgelöst worden, die nicht nur den Zugang sowohl zu Print- als auch zu elektronischen erworbenen Medien bieten, sondern auch zu frei zugänglichen Dokumenten im Netz (Knoche 2018, S. 42).

Seit 2012 ist auch der Bestand der Eurac Library gemeinsam mit dem der Bibliothek der Freien Universität Bozen und weiterer wissenschaftlichen Bibliotheken Südtirols über die Rechercheplattform Primo im Netz zugänglich. Diese Plattform ermöglicht den qualifizierten Zugang zu Millionen von Dokumenten, sowohl aus den Beständen der Bibliotheken als auch angereichert mit Open-Access Publikationen.

In den letzten Jahren ist auch das institutionelle Archiv BiA (Bozen-Bolzano Institutional Archive) entstanden. Dieses Repositorium verzeichnet den Output an wissenschaftlichen Publikationen der Forscher von Eurac Research und der Uni Bozen. In vielen Fällen besteht die Möglichkeit, neben den rein bibliografischen Informationen zu Büchern und Zeitschriftenartikeln, Reports- und Kongresspublikationen, auch auf den Volltext dieser Publikationen zuzugreifen. Bibliothekare und Bibliothekarinnen brauchen nicht nur immer mehr technologische Kenntnisse, sondern müssen sich auch beim Überprüfen des Copyrights und der Zugangsrechte mit juristischen Fragen befassen.

In den letzten zwei Jahren hat sich auch unsere Bibliothek mit den Folgen der Pandemie auseinandersetzen müssen. Dies stellte sie, besonderes während des ersten Lockdowns, im Frühjahr 2020, vor besondere Herausforderungen. Viele Verlage boten einen kostengünstigen Zugang zu ihren digitalen Ressourcen an und die Nutzung der digitalen Bestände nahm enorm zu, auch weil es anfangs unmöglich war, gedruckte Bibliotheksbestände auszuleihen. Überraschenderweise haben wir aber festgestellt, dass ein Großteil der bibliothekarischen Aufgaben auch von zu Hause im Smart-Working-Modus erledigt werden kann. Der Zugriff auf die Datenbanken, aber auch auf die elektronische Ablage der Bibliothek war gesichert, was es erlaubte, die Bibliothek zum Großteil aus der Ferne zu verwalten. Ein gewisser Erfindungsreichtum war auch gefragt, und so lieferten manche Buchhandlungen Neubestellungen direkt an die Heimatadresse unserer Mitarbeiter. Nur die Bibliothek als Ort des Studiums, der Inspiration, der Kommunikation und auch der Ausleihe wurde vermisst. Wie viele Bibliotheken haben wir zwar, sobald dies möglich war, einen ‚Pick-up‘-Dienst der Bibliothek für Vorbestellungen organisiert, aber dies kann den Lern- und Studienort Bibliothek für viele Forschende und treue Stammkunden kaum ersetzen.
Die Bibliothek als Ort des Wissens, des freien und gleichen Zugangs zu Information und Bildung, als Spiegel seiner Institution, aber auch als sozialer und kultureller Treffpunkt bleibt auch in Zukunft von grundlegender Bedeutung.

Antje Messerschmidt ist Diplombibliothekarin und Leiterin der Eurac Library seit 1993. Auch nach fast 30 Jahren erfreut sie sich an der Vielfalt der bibliothekarischen Aufgaben, dem breiten Fächerspektrum und der internationalen Ausrichtung von Eurac Research. Die rasche und qualifizierte Informationsbeschaffung im Dienst des „Kunden“ ist ihr Hauptanliegen.

 

 

LITERATUR

  • Bonte, Achim (2015). Was ist eine Bibliothek? Physische Bibliotheken im digitalen Zeitalter. In: ABI Technik, vol. 35, no. 2, 2015, pp. 95-104. https://doi.org/10.1515/abitech-2015-0019

  • Deutscher Bibliotheksverband (DBV) (2020): Bericht zur Lage der Bibliotheken 2020/21. Abgerufen von: https://www.bibliotheksverband.de/dbv/publikationen/bericht-zur-lage-der-bibliotheken.html [20.07.21]

  • Donovan, James M. (2020): Keep the books on the shelves: Library space as intrinsic facilitator of the reading experience. In: The Journal of Academic Librarianship, Volume 46, Issue 2, 102104. https://doi.org/10.1016/j.acalib.2019.102104

  • Knoche, Michael (2018): Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft. Göttingen: Wallstein Verlag

 

EURAC Library 2021: 1993 gegründete öffentlich zugängliche wissenschaftliche Spezialbibliothek zu den Forschungsbereichen von Eurac Research, mit Fachbibliothek zu Umwelt und Ökologie ECO Library (seit 2000)

Medienbestand: 56.000 (ohne Zeitschriften), ca. 300 Print-Zeitschriften und Zugriff auf über 15.000 E-Journals, sowie verschiedene Datenbanken Mitarbeiterinnen: 5,2 FTEs Nutzfläche: 1080 qm über drei Etagen, 40 Leseplätze, 6 Lernkojen, 1 Gruppenraum, 1 externes Magazin

Katalog/Rechercheplattform: www.primo.eurac.edu