Attraktiv heißt vernetzt

Eurac Research beschäftigt heute Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 46 Nationen. Sie erforschen Themen, die für Südtirol relevant sind und gleichzeitig eine große Strahlkraft nach Europa entwickeln. Landeshauptmann und Forschungslandesrat Arno Kompatscher erklärt im Interview, welche gesellschaftspolitische Rolle das Forschungszentrum in Südtirol spielt, wo in den kommenden Jahrzehnten die großen Herausforderungen für die Wissenschaft
liegen und warum Vernetzung – nach innen und außen – die treibende Kraft für Innovation ist.

30 Jahre Eurac Research: Was fällt Ihnen dazu ein, Herr Landeshauptmann?

Arno Kompatscher: Ganz spontan, die heftigen Diskussionen um das Für und Wider einer Universität Bozen vor rund 35 Jahren. Die dann in ein klares Bekenntnis zur Forschung mündeten, eben mit der Gründung der Europäischen Akademie Bozen. Die Freie Universität Bozen folgte erst in einem zweiten Moment. Außerdem kommt mir der markante Standort an der Bozner Drususbrücke in den Sinn. Ein wunderbares Beispiel dafür, wie Architektur, die ihrer Zeit voraus war, aber eben auch von der Geschichte gezeichnet, einer neuen – für damalige Verhältnisse auch vorausschauenden – Bestimmung zugeführt werden kann. Und natürlich kommen mir viele wissenschaftliche Errungenschaften und Events in den Sinn, die Südtirol als Forschungsstandort auf das internationale Parkett gebracht haben.

Welche Rolle hat Ihrer Meinung nach Eurac
Research in dieser Zeit für die Entwicklung Südtirols gespielt?

Kompatscher: Neben der wissenschaftlichen vor allem eine kulturelle und gesellschaftspolitische Rolle. Plötzlich haben sich Forscherinnen und Forscher, die aus anderen Regionen oder Ländern kommen – oder nach langen Auslandsaufenthalten wieder nach Südtirol zurückgekehrt sind –, in den Diskurs um die Entwicklung unseres Landes eingebracht. Und in dieser Diskussion haben wir Politiker und Politikerinnen, aber auch viele
Unternehmerinnen und Unternehmer, gelernt, dass evidenzbasierte – also wissenschaftlich fundierte – Entscheidungen die besseren sind. Wer heute eine Diskussion vollkommen erkenntnisfrei aus dem Bauch heraus führt, nach dem Motto „Ich bin der Meinung, dass …“, wird nicht mehr ernst genommen.

Wenn Sie als Forschungslandesrat in die Zukunft blicken: Was sind in Ihren Augen die großen Herausforderungen und Entwicklungen, und welche Rolle könnte dabei Eurac Research zukommen?

Kompatscher: Die größte Herausforderung wird die Klima- und Biodiversitätskrise sein. Um sie abzuwenden bzw. zu mildern, müssen wir von fossilen Energieträgern loskommen. Dabei spielen Themen wie erneuerbare Energien, ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft oder E-Mobilität eine zentrale Rolle. Sie gehören bereits zum Kerngeschäft von Eurac Research. Weitere Herausforderungen sind der demografische Wandel und die Digitalisierung. Am Rande streifen die großen Herausforderungen aber alle Disziplinen, das hat uns bereits die Pandemie vor Augen geführt.

Forschung in Südtirol besetzt aber auch Nischenthemen wie Minderheitenschutz und Autonomie. Hier wollen wir als Landesregierung verstärkt das Beispiel Südtirol als Lösungsmodell für ethnische Konflikte promoten. Einmal, weil wir es der Weltgemeinschaft schuldig sind, schließlich hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen 1960 einstimmig die Entschließung zur Südtirol-Autonomie getroffen. Zum anderen, weil wir dadurch unsere Autonomie aktiv schützen. Je höher ihr internationaler Bekanntheitsgrad, desto schwieriger wird es für jene, die uns nicht wohlwollend gesinnt sind, sie zu beschädigen.

Wer heute eine Diskussion vollkommen erkenntnisfrei aus dem Bauch heraus führt, wird nicht mehr ernst genommen.

Arno Kompatscher

Reden wir über das „Ökosystem Forschung & Innovation Südtirol“: Wer spielt in diesem Konzert welche Rolle und wie könnte die weitere Entwicklung aussehen?

Kompatscher: Bei dem Orchester gibt es noch viel Spielraum für Verbesserung, denke ich. Wir haben zum Teil hervorragende Solisten, es hakt aber am Zusammenspiel, an der Vernetzung. Das gilt für alle Beteiligten. Als Landesverwaltung setzen wir mit unserer „Strategie für intelligente Spezialisierung – RIS3“ nicht nur den Schwerpunkt für die kommenden Finanzierungen im Bereich Forschung und Entwicklung, wir legen auch die Richtung des gemeinsamen Weges fest. Der NOI Techpark Südtirol war ein Produkt dieser Strategie. Er wurde als Ort der Begegnung und Vernetzung konzipiert: Eurac Research, Freie Universität Bozen, Versuchszentrum Laimburg, Fraunhofer Institut und andere – hier vernetzen sich alle, und das schließt dann automatisch auch die jeweiligen internationalen Partner ein. Ohne diese wären Forschung und Innovation heute gar nicht mehr denkbar.

Eurac Research spielt in dem Orchester die erste Geige, wenn es um Drittmittelakquise geht. Diese Kompetenz sollte stärker mit den anderen Forschungsplayern geteilt werden.

Wie sehen Sie die Forschungsaufgaben von Eurac Research im Kontext der Euregio?

Kompatscher: Die Euregio ist ein geopolitisches Projekt. Es soll die Verbindung zwischen dem Bundesland Tirol, dem Land Südtirol und dem Trentino im europäischen Geist wiederherstellen – was laut Umfragen auch dem Willen der Bevölkerung entspricht. Am meisten ausgereift ist diese Verbindung zwischen den Universitäten und Forschungseinrichtungen. So werden teilweise die Curricula an den Unis Innsbruck, Bozen und Trient gemeinsam entwickelt. Das integrierte Diplomstudium für Rechtswissenschaften wird künftig viel stärker auf die Uni Trient zurückgreifen. Das macht Sinn, weil die Trienter Fakultät für Rechtswissenschaften das italienweite Ranking anführt und die Uni Innsbruck das italienische Rechtsstudium anbietet. Auch unsere Wissenschaftsförderung ist stark darauf ausgelegt, Forschungszusammenarbeit in der Euregio zu fördern. Das macht ebenso Sinn, weil die Forschungsschwerpunkte – etwa Transitfragen, Klimawandel in Bergregionen usw. – in der Europaregion ähnlich gelagert sind. Gleichzeitig stärkt die Kooperation das Projekt Euregio.

Hat Eurac Research Südtirol ein Stück europäischer gemacht?

Kompatscher: Kürzlich hat Wolfram Sparber (Leiter des Eurac Research Instituts für Erneuerbare Energien, Anm. der Herausgeber) beim Südtiroler Wirtschaftsring zum Thema „Energiewende und Photovoltaik als Chance“ referiert. Im Vortrag hat er auch aufgezeigt, für wen Eurac Research bereits arbeitet. Und da dachte ich mir: Wir sind schön blöd, wenn ein Südtiroler Forschungszentrum Studien für Baden-Württemberg und Salzburg macht, wo solche Berechnungen doch auch für Südtirol wichtig wären. Aber das holen wir jetzt nach. (lacht)

46 Nationalitäten forschen derzeit am Bozner Forschungszentrum. Eurac Research arbeitet also schon in vielen Bereichen mit Europa und für Europa. Ich war Ende April 2022 in Wien auf einer Konferenz zum Minderheitenschutz. Geladen hatte die Diplomatische Akademie mit dem österreichischen Außenministerium als Schirmherrn. Das Publikum war absolut international, hatte mit Südtirol nichts zu tun. Der Hochkommissar der OSZE hat in seiner Ansprache auf die „Bozner Erklärung zum Minderheitenschutz“ von 2005 und 2008 verwiesen, die federführend von Eurac Research ausgearbeitet wurde. Die Strahlkraft Richtung Europa und die Vernetzung mit Europa ist auch dank Eurac Research längst gegeben. Und die Strahlkraft wirkt in beide Richtungen, weil sie aus der Kraft der Südtiroler Erfahrung heraus befeuert wurde. Wir sind also legitimiert, diese Forschung zu betreiben.

Was geben Sie Eurac Research mit auf den Weg?

Kompatscher: Anlässlich des Jubiläums Dank und Glückwunsch! Mein Dank gilt den Pionieren, die seinerzeit das Forschungsinstitut aus dem Nichts aufgebaut haben, mit Mühe und gegen Widerstände, weil es ja überhaupt keine Erfahrung mit und kein Verständnis für Forschung gab. Mein Kompliment gilt all den wissenschaftlichen Errungenschaften, die sind messbar und anerkannt. In diesem Sinne weiter so und ad multos annos!

Gleichzeitig erlaube ich mir einen Wunsch: Eurac Research sollte mehr Kooperationspartner im eigenen Land gewinnen. Und umgekehrt sollten wir als Land, als private Unternehmen und als Stakeholder die wissenschaftliche Expertise vor Ort mehr nutzen. Aber Eurac Research muss weiterhin auf dem internationalen wissenschaftlichen Parkett präsent sein. Das ist wichtig für den Wissenstransfer und hütet das Forschungszen­trum davor, in jegliche Form von Provinzialismus abzudriften.

Arno Kompatscher