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Center for Advanced Studies - News & Events - Lebenswelt darf nicht zur Destination instrumentalisiert werden

01 Dezember 23

Lebenswelt darf nicht zur Destination instrumentalisiert werden

Die Hoteliers- und Gastwirtejugend und Forscherinnen und Forscher des Center for Advanced Studies luden zur Fachtagung „Transformation Tourismus Südtirol“

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Im Bild (von links): Manuela Holzhammer Maier, Anna Rohrer, Hannes Rainer, Emma Fauster, Peter Fetz, Jana Gebauer, Wolfgang Töchterle, Florian Bauhuber, Harald Pechlaner, Raffael Mooswalder, Patrick Ohnewein, Hansi Pichler, Greta Erschbamer, Manuela Zischg, Daniel Schölzhorn, Nadia Agstner, Tobias Krechel, Valentin Wallnöfer und Anna Scuttari© HGJ

„Tourismus am Wachstumslimit? Neue Chancen für Hotels und Gastbetriebe“. Schon die Tatsache, dass die Hoteliers- und Gastwirtejugend (HGJ) gemeinsam mit dem Center for Advanced Studies von Eurac Research eine Fachtagung zu diesem durchaus kritischen Titel organisiert, signalisiert den Bewusstseinswandel der jungen Generation in der Branche. Dieser ist auch dringend nötig, wie die Vortragenden aus dem In- und Ausland hervorhoben. Dass eine alternative Wirtschaft keine Utopie ist, sondern bereits Realität, zeigten verschiedene Pionierinnen und Pioniere des Wandels.

„Das Ziel, die menschengemachte globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist wohl kaum mehr möglich. Wir steuern auf viel höhere Temperaturen zu und der Tourismus steht noch nicht einmal auf der Bremse“, bedauerte Florian Bauhuber, Geschäftsführer des Expert*innen-Netzwerks Realizing Progress. Der Sektor sei für 8 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich und gefährde damit seine eigene Lebensgrundlage. Die klimabedingte Veränderung der Reiseströme werde dazu führen, dass die touristische Nachfrage in Südtirol stark steige und das auch ganz ohne Werbemaßnahmen. Eine gute Prognose? Nein. „Der Druck auf den Lebensraum wird massiv zunehmen. Genauso der Druck auf die hier lebende Bevölkerung, Stichwort Overcrowding und Overtourism.“ Ziel im Tourismus müsse es nun sein, über die Destination hinauszuschauen und gemeinschaftlich nach Lösungen zu suchen. Destination ist ein Wort, das die Unternehmensforscherin Jana Gebauer am liebsten ganz aus dem Vokabular streichen würde. „Wir müssen damit aufhören, Lebenswelten in ihrer Wahrnehmung als Destinationen zu instrumentalisieren und uns fragen, wie wir unter schlechter werdenden Bedingungen in der Lage sein werden, solidarisch zusammenzuleben.“ Weder Technologie noch grünes Wachstum seien hier die Lösung, sondern ein Bruch mit dem geltenden Wachstumsparadigma. „Um ein gutes, selbstbestimmtes Leben für alle zu ermöglichen, brauchen wir einen Wandel hin zu einer Postwachstumsgesellschaft“, betonte die Forscherin.

„Wir werden um eine neue Tourismuskultur nicht umhinkommen, wenn wir eine sozial und ökologisch nachhaltige Transformation schaffen möchten“, bekräftigten Anna Scuttari und Valentin Wallnöfer, Forschende an der Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol. Sie präsentierten aktuelle Zahlen und Fakten aus dem Jahresbericht der Beobachtungsstelle. So wurde mit 17,6 Gästen pro Tag pro 100 Einwohnerinnen und Einwohner ein neuer Höchstwert der Tourismusintensität erreicht. Im Jahr 2022 wurden 34,4 Millionen Nächtigungen verzeichnet. 2,2 Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019. Trotzdem zeige sich, dass es ein steigendes sozial-ökologisches Engagement im Tourismus gebe. Die Beobachtungsstelle, die am Center for Advanced Studies von Eurac Research angesiedelt ist, könne diesen Wandel evidenzbasiert mitgestalten. „Der Tourismus hat Verantwortung im Land und muss Leadership in Sachen nachhaltiger Transformation zeigen“, ist Harald Pechlaner, wissenschaftlicher Direktor der Beobachtungsstelle überzeugt. Leider zeige der Sektor noch zu wenig systemische Kompetenz und schaffe es nicht, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. Das mache es schwer, klare Strategien angesichts drängender Krisen zu finden. „Wir wissen alle, dass es in Zukunft quantitative und wohl auch qualitative Einschränkungen geben wird“, schilderte HGJ-Obmann Daniel Schölzhorn die Stimmung im Verband. „Als Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer muss es uns gelingen, diese Herausforderungen motiviert anzugehen. Wir sollten uns auf die Ausrichtung unserer Betriebe konzentrieren, anstatt auf eine höhere Bettenzahl.“

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© Eurac Research
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Beispiele aus der touristischen Praxis vorgestellt

Dass es durchaus möglich ist, gemeinwohl- anstatt wachstumsorientiert zu wirtschaften, zeigten verschiedenste Beispiele aus der Praxis. „Wir kennen von allem den Preis, aber nicht den Wert“, sagte Emma Fauster. Die Junghotelierin im „Drumlerhof“ arbeitet nach dem Gemeinwohlprinzip und stellt in ihrem Betrieb Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und Partizipation in den Mittelpunkt. Gemeinwohlökonomie ist eine umsetzbare Alternative, wie sie unterstreicht. Trotzdem brauche es viel Einsatz, um sich mit diesem Wirtschaftssystem zu behaupten. „Menschliche Interaktion ist die Kernaufgabe eines guten Hotels, lange Tische aufzustellen und Menschen ins Gespräch zu bringen“, ist sich Peter Fetz vom Hotel „Hirschen“ in Vorarlberg sicher. Charakter zu zeigen, sei die Zukunft des Tourismus. Das schließe die enge Vernetzung mit lokalen Produzentinnen und Produzenten, die Zusammenarbeit mit Kultur- und Kunstschaffenden, die Einbeziehung der Bevölkerung vor Ort und die Wertschätzung der touristischen Berufe mit ein. Es brauche Herz und Optimismus, um neue Formen des Wirtschaftens zu etablieren, unterstrich auch Hannes Rainer vom Naturhotel „Rainer“. Nachdem er als Koch in Sternelokalen mit Hummer, Kaviar und Gänsestopfleber gearbeitet habe, habe er sich bei seiner Rückkehr nach Südtirol dazu entschieden, mit dem Kreislauf und den Produkten der Natur vor Ort zu arbeiten. Mit dem Bau eines Fernheizwerks und der Nutzung eines historischen Wasserkraftwerks hat er sich schon früh von fossiler Energie unabhängig gemacht.„Nachhaltigkeit heißt dranbleiben und nicht Perfektion“, schloss Tobias Krechel vom Hotel „Lisetta“. Urlaub verändere die Menschen. Dieses Potential zur Veränderung müsse die Branche nutzen.

Mutige Entscheidungen könnten jedoch nicht von oben herab erzwungen werden, warf Wolfgang Töchterle von IDM Südtirol ein. Bei den vorgestellten Pionierbetrieben zeige sich, dass nicht Angst oder Zwang zur Transformation geführt haben, sondern Überzeugung und intrinsische Motivation. „Es braucht eine Nachhaltigkeitsstrategie, die den Menschen dient“, sagte Patrick Ohnewein, Head of Tech Transfer Digital am NOI Techpark. Die Digitalisierung dürfe dabei nicht das Ziel, sondern müsse das Werkzeug sein. Glücklicherweise seien die Betriebe in Südtirol demgegenüber sehr aufgeschlossen, was es bereichernd mache, hier zu arbeiten. Eine große Aufbruchstimmung und Pioniergeist herrsche insbesondere in der ökologischen Landwirtschaft, berichtete Manuela Zischg von Bioland Südtirol. Es gelte, Tourismus und Landwirtschaft wieder näher zusammenzubringen, Kreisläufe zu schließen und diese ursprüngliche Verbindung zu stärken.

Über die HGI-Eurac Research-Fachtagung

Die Fachtagung „Transformation Tourismus Südtirol“ wurde vom Center for Advanced Studies von Eurac Research in Zusammenarbeit mit der Hoteliers- und Gastwirtejugend (HGJ) organisiert. Für die Organisation der Tagung zeichneten Greta Erschbamer, Nadia Agstner und Manuela Holzhammer Maier verantwortlich. Es moderierte HGJ-Vizeobfrau Anna Rohrer. Grußworte sprach HGV-Präsidiumsmitglied Hansi Pichler.

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Die Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol

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