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„Die größte Herausforderung ist die Informationsflut“

Gespräche zwischen Disziplinen: Der Neurologe Peter Pramstaller und der Elektroingenieur Roberto Monsorno im Interview.

by Valentina Bergonzi, Sigrid Hechensteiner

Die Entwicklung hat ihren Scheitel erreicht. Dank Technologie können wir unvorstellbare Datenmengen sammeln. Doch vielleicht ist es an der Zeit, den Kurs zu ändern: Vertiefen und Fokussieren sind die neuen Schlagworte von Peter Pramstaller, der aus einer kleinen Arbeitsgruppe von Genetikern ein Forscherteam mit Dutzenden Spezialisierungen gemacht hat. Es sind auch die Worte von Roberto Monsorno, der sich mit einem Pionierteam von Ingenieuren und Entwicklern auf die Programmierung von Sensoren spezialisiert hat – und darauf, Forschung und Industrie auch außergewöhnliche Wünsche zu erfüllen.

Was war Ihre erste Begegnung mit Technologie?

Roberto Monsorno: Ein Commodore 64, den ich von einem älteren Cousin „ererbt“ hatte. Es war Mitte der achtziger Jahre und ich war in der Mittelschule: Mit einem Freund habe ich angefangen, einfache Spiele zu programmieren. Danach habe ich mich vor allem durch meine Leidenschaft für Musik professioneller mit Elektrotechnik beschäftigt.

Peter Pramstaller: Nun, ich bin wohl eigentlich schon immer eher kreativ als analytisch an Probleme herangegangen. Im Gymnasium liebte ich es, Gedichte zu schreiben und bin erst relativ spät mit Technologie in Kontakt gekommen. Das war während meines Facharztstudiums in Neurologie in Verona, als ich begonnen habe mich mit Neurophysiologie zu beschäftigen. Da hat sich mir das ganze Potential von Computern in der Medizin eröffnet. Heute ist das natürlich eine ganz andere Welt.

Eine ganz andere Welt….Stimmt! In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich der Gebrauch an technologischen Produkten exponentiell gesteigert. Doch wissen wir auch mehr über diese Geräte?

Monsorno: Das Bewusstsein hat sich verändert. Vor zwanzig Jahren hätten wir von bestimmten Geräten nicht einmal zu träumen gewagt. Heute sind sie nicht nur für jedermann zugänglich, sie kommen auch – angefangen in den Schulen – in einer gut durchdachten Weise zum Einsatz. Natürlich kommt es auch zu Missbrauch! Ich denke da an diejenigen, deren Leben nur in den sozialen Medien stattfindet. Doch glaube ich, dass die Vorteile überwiegen. Ich sehe das an meinen kleinen Kindern, die wunderbare Powerpoint-Präsentationen erstellen, um ihrer Mutter alles Gute zu wünschen.

Wie wichtig ist es, bei der Entwicklung neuer Technologien auch die „Nicht-Digital-Natives“ miteinzubeziehen?

Monsorno: Das ist immens wichtig! Auch wenn im System eine komplizierte Technologien steckt, muss die Nutzererfahrung einfach sein. Gerade kürzlich haben wir in diesem Sinne mit dem Elektrounternehmen a.haller zusammengearbeitet. Das Unternehmen benötigte ein System, um Werkzeuge und Arbeitsmaterialien zu tracken, also Bohrer, Spannungsmesser und so weiter. Einige Unternehmen boten bereits solche Dienste per App an, bei denen jedoch die Arbeitsgeräte bei jedem Ortswechsel gescannt werden müssen. Unser Partner hatte da allerdings sehr klare Vorstellungen: Wenn das System zu viele Arbeitsschritte beinhaltet oder sich blockiert, nutzen es die Mitarbeitenden nicht. Nach mehreren Arbeitsgängen haben wir gemeinsam ein Patent für ein System angemeldet, dass per Bluetooth ohne Zutun der Arbeitenden eine Warnung abgibt, wenn die Arbeitsgeräte nicht in den Transporter oder das Lager zurückkehren.

Auch Apps für den Gesundheitsbereich sind in der Regel einfach zu handhaben, weil sie hauptsächlich von Nicht-Digital-Natives genutzt werden. Peter Pramstaller, was war der wesentliche technologische Durchbruch in der Medizin?

Pramstaller: Da hat es verschiedene Momente gegeben. Ein Paradigmenwechsel ist das, was der amerikanische Arzt Eric Topol als "Demokratisierung der Medizin" bezeichnet. Er beschreibt damit das Phänomen, dass sich der Schwerpunkt von der Behandlung von Krankheiten auf den Erhalt von Gesundheit verlagert hat. Dies ist möglich, da den Menschen verschiedene Instrumente an die Hand gegeben werden, mit denen sie sich selbst versorgen und vorsorgen können. Das beinhaltet wie gesagt die Prävention ebenso wie die Selbstüberwachung. Personalisierte Medizin- und Gesundheitsgeräte sind heute weit verbreitet. Die Palette reicht von den ersten Hörgeräten, die vor 30-40 Jahren auf den Markt kamen, bis hin zu den modernsten Apps zur Überprüfung verschiedener Parameter oder zur Erstellung personalisierter Ernährungspläne. Ein weiterer Paradigmenwechsel in der Medizin wird im Englischen als "from art to science“ , also von Kunst zur Wissenschaft, definiert: Es ist die Integration von Biologie, Medizin und neuen Technologien - mit der Genomik im Zentrum. Diese Kombination macht aus der klassischen, mehr intuitiven Medizin eine wirkliche Präzisions- und personalisierte Medizin.

Ist in der Medizin noch etwas von dieser „Kunst“ zu spüren?

Pramstaller: Ja. Und das ist unbedingt notwendig: Sie muss in der menschlichen Beziehung zwischen Arzt und Patient zu spüren sein. Bertold Brecht hat einmal gesagt: „Ihr mögt mit der Zeit alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschritt von der Menschheit weg sein.“ Ich bin davon überzeugt: IT und künstliche Intelligenz lassen uns zu erheblich besseren Diagnosen kommen, doch ist Medizin ein Beruf, der auf der Empathie zwischen Menschen beruhen muss.

Verändert die Tatsache, dass die Menschen dazu ermutigt werden, sich selbst mehr um die eigene Gesundheit zu kümmern, die Beziehung zu Ärzten?

Pramstaller: Ja – im positiven Sinn. Es gibt mehr Fragen, es kommt zu mehr Austausch und zu gemeinsamen Handeln. Natürlich gibt es auch Patienten, die in eine defensive Haltung geraten, weil sie unkritisch übernehmen, was sie im Netz lesen. Medizinisch orientierte soziale Netzwerke wie "PatientsLikeMe" sind nützlich, aber auch ein wenig riskant.

Neben der Entschmenschlichung von Beziehungen und zunehmendem Misstrauen, welche weiteren Risiken birgt eine hoch technologisierte Gesellschaft? Der erste Gedanke gilt dem Datenschutz.

Monsorno: Ich möchte behaupten, dass kleinere Einrichtungen, Forschungszentren wie unseres, aber nicht nur, klug vorgehen und über alle Mittel verfügen, Daten wirksam zu schützen und sie richtig zu verschlüsseln. Die Risiken liegen eher bei den großen Akteuren, die ihre eigenen Regeln erlassen... Ich persönlich sehe andere Herausforderungen für uns.

© Eurac Research | Tiberio Sorvillo

"Bei so vielen Inputs besteht die Gefahr, dass wir uns in der Datenanalyse verzetteln, die Dinge zu sehr verkomplizieren und die eigentlichen Probleme nicht lösen."

Roberto Monsorno

Welche?

Monsorno: Das Problem und gleichzeitig die größte Herausforderung, die ich sehe, ist die Überflutung mit Technologie und Informationen. Bei so vielen Inputs besteht die Gefahr, dass wir uns in der Datenanalyse verzetteln, die Dinge zu sehr verkomplizieren und die eigentlichen Probleme nicht lösen.

Pramstaller: Ein ähnliches Phänomen beobachten wir auch in der Biomedizin. Mit unserer Gesundheitsstudie CHRIS, an der bisher 13.000 Menschen teilgenommen haben, sind wir in zahlreichen internationalen Konsortien aktiv. Am Anfang ging es vor allem darum, viele Daten zu sammeln, um möglichst viele genetische Variablen statistisch zu erfassen. In den letzten Jahren haben wir damit begonnen, Big Data und Biologie zu kombinieren. Bei den interessantesten genetischen Varianten gehen wir in die Tiefe und untersuchen, was auf Zellebene passiert. Denn wenn wir einen Weg finden, dort mit einem Heilmittel einzugreifen, können wir das Leben der Menschen wirklich verändern.

© Eurac Research | Tiberio Sorvillo

"Mit unserem Umzug in den NOI Techpark wollen wir einen weiteren Schritt in Richtung Innovation machen und zu einem Katalysator und Beschleuniger eines neuen Wirtschaftszweigs in der Provinz werden: dem Biotech-Sektor."

Peter Pramstaller

Zeichnet sich ab, dass sich Forschungszentren mehr der Gesellschaft öffnen?

Pramstaller: Auf jeden Fall. Und diese Offenheit wird in Zukunft noch zunehmen. Wir haben als Grundlagenforschungsinstitut begonnen und sind dann über die Zusammenarbeit mit dem lokalen Gesundheitssystem zu einem wichtigen Akteur für „Gesundheit“ in Südtirol geworden. Mit unserem Umzug in den NOI Techpark wollen wir einen weiteren Schritt in Richtung Innovation machen und zu einem Katalysator und Beschleuniger eines neuen Wirtschaftszweigs in der Provinz werden: dem Biotech-Sektor. Wir haben bereits Kontakte zu Unternehmen, und wenn es uns gelingt, auch unsere Forschermentalität etwas ändern, schließe ich die Möglichkeit von Neugründungen nicht aus.

Hat die Pandemie dazu beigetragen, die Wichtigkeit Ihrer Studien hervorzuheben?

Pramstaller: Unsere CHRIS-Studie versetzt uns die Lage, die Auswirkungen von Long Covid und die Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren und dem Schweregrad der Erkrankung untersuchen können. Wir gehören zu einigen wenigen, die diese Möglichkeit haben. Wir können die Daten vor der Infektion mit den Krankheitsbildern vergleichen, die später auftraten. Dies hat uns dazu veranlasst, einen neuen Studienzweig zu Immunologie und Infektiologie ins Leben zu rufen. Erste Ergebnisse sind bereits da: Zusammen mit einem internationalen Forschungskonsortium haben wir 13 Loci - d. h. Punkte im menschlichen Genom - identifiziert, die stark mit schweren Formen von Covid-19 assoziiert sind. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.

Roberto Monsorno, Ihr Zentrum bietet Unterstützung bei der Handhabe des Lebenszyklus von Daten. Ist die Beziehung zu denjenigen, die sich an Sie wenden eine einseitig - das heißt sie erhalten Anfragen und finden dann Lösungen - oder wie beeinflussen Sie die Gestaltung von Projekten?

Monsorno: Am Anfang haben wir Dienstleistungen auf Anfrage angeboten, jetzt arbeiten wir mehr und mehr mit den Forschenden zusammen. Wir schlagen mögliche Wege vor, die vorher nicht in Betracht gezogen wurden. So arbeiten wir beispielsweise mit dem Versuchszentrum Laimburg zusammen, um herauszufinden, wie Pflanzenkrankheiten durch den Einsatz nicht-invasiver Sensoren besser überwacht werden können. Eine solche Herangehensweise ist für unsere Partner völlig neu und so öffnen sich viele neue Wege. Und natürlich springen wir immer gerne Unternehmen hilfreich zur Seite, die unerfüllte Träume verwirklichen möchten.

Was ist Ihr Wunschtraum für die nächsten zehn Jahre?

Monsorno: In den 13 Jahren, die ich bei Eurac Research arbeite, habe ich miterlebt, wie unser Forschungszentrum exponentiell gewachsen ist und sich international etabliert hat. Ich hoffe, dass sich Eurac Research in den nächsten zehn Jahren genauso als Technologie-Zentrum etablieren wird. Das wünsche ich Eurac Research und auch mir selbst. Momentan konsolidieren wir uns in diesem Bereich, ausgehend vom Mikrokosmos des NOI Techparks. Doch ist es ein Ziel, ein europäisches Zentrum für digitale Innovation zu werden.

Pramstaller: Mich fasziniert es, unterschiedliche Profile in einen Dialog miteinander zu bringen. Denn das, was abgesehen von der – notwendigen - Infrastruktur zählt, sind die Köpfe der Menschen. Mein Team setzt sich derzeit aus Menschen aus 18 verschiedenen Herkunftsländern zusammen mit Fachkenntnissen in Genetik, Informatik, Bioethik, Statistik und Biologie. Jede neu zu besetzende Stelle zieht hochkarätige Bewerbungen aus der ganzen Welt an. Wenn es uns gelingt, eine ganzheitliche Verzahnung zwischen diesen Disziplinen zu erreichen und sie in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitswesen und auch mit Unternehmen in den Dienst der öffentlichen Gesundheit zu stellen, dann ist mein Traum wahr geworden.

Peter Pramstaller

Peter Pramstaller ist Neurologe und außerordentlicher Professor an der Universität Lübeck. Er leitet das Institut für Biomedizin bei Eurac Research. 30 Jahre lang arbeitete er im Krankenhaus Bozen, wo er sich vor allem um Parkinson-Patienten kümmerte. Mit seiner GenNova/Micros-Studie, die 2002 in mehreren Gemeinden des Vinschgaus begann, setzte die biomedizinische und genetische Forschung in Südtirol ein. Wenn er den Arztkittel ablegt, schlüpft er in seine Rockerkluft und spielt Bass bei den Bands Need no Doctor und High Voltage.

Roberto Monsorno

Roberto Monsorno hat an der Universität Padua Elektrotechnik studiert. Als Kind träumte er davon, Hochleistungsverstärker zu entwickeln und zum ernsthaften Konkurrenten von Jim Marshall und seinem Unternehmen zu werden. Dann hat er sich doch der Wissenschaft zugewandt: bei Eurac Research war er zunächst für die Satellitenempfangsstation auf dem Rittner Horn zuständig. Im Jahr 2009 hat er das Center for Sensing Solutions gegründet, das er auch leitet. Während der ganzen Zeit hat die Musik ihn doch nicht losgelassen: Seit 20 Jahren organisiert er das Festival Suan Rock und spielt Keyboard in der Band Atrio.

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