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Das Beispiel Bhutan

Ein Forschungsteam fährt nach Bhutan, um Fachleute in der Analyse von Klimarisiken zu schulen – und kommt mit der Einsicht zurück: Südtirol könnte einiges von dem Himalayastaat lernen

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Heilige Gipfel: Die hohen Berge, hier umrahmt von Gebetsfahnen, gelten in Bhutan als Wohnstätte der Götter und dürfen nicht bestiegen werden.

© Eurac Research | Marc Zebisch

Marc Zebisch
by Barbara Baumgartner

Ohne genaue Klimarisikoanalyse keine wirksame Anpassung: Um negative Auswirkungen möglichst gering zu halten, muss man nicht nur die drohenden Gefahren, sondern auch die Schwachstellen eines Gebiets kennen. Kathrin Renner und Marc Zebisch haben langjährige Erfahrung in dieser Diagnose und Methoden entwickelt, die weltweit angewendet werden. Vor kurzem haben sie ihr Knowhow an Forstwissenschaftler in Bhutan weitergegeben – und waren von dem Umweltbewusstsein in dem Land beeindruckt.

Schon die Bordbroschüre war bemerkenswert. Auf dem Bhutan Airways Flug nach Paro öffnete Kathrin Renner einen doppelseitigen Flyer, „der die Werte des Landes darstellte. Und da waren ganz zentrale Punkte: keine Emissionen verursachen, die Umwelt nicht belasten …. Alles Dinge, die wir ebenfalls wollen – nur stehen sie bei uns nicht im Vordergrund. In Bhutan schon.“ Das kleine Königreich im Himalaya, berühmt dafür, dass Glück, nicht Wachstum, ein prioritäres Staatsziel darstellt, hat Renner mit seiner Haltung zu Umweltfragen „beeindruckt“, wie sie ein paar Wochen nach der Reise sagt: „Es herrscht dort einfach das Verständnis, dass die Natur die Grundlage des Daseins ist.“

Renner ist Expertin für Klimarisikoanalysen: Sie erstellt Diagnosen, welche Veränderungen ein Gebiet auf Grund des Klimawandels erwarten und wie sie sich im Wechselspiel mit lokalen Gegebenheiten – ökologischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher Natur – auf die verschiedenen Lebensbereiche auswirken. In Bhutan waren sie und ihr Kollege Marc Zebisch aber nicht, um selbst eine Risikoanalyse durchzuführen, sondern um im Rahmen eines Projekts des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) einer Gruppe einheimischer Forstwissenschaftler die Methodik zu vermitteln.

Auch die Forstwissenschaftler stellten sich als bemerkenswert heraus: Sie sind viele Monate im Jahr im Wald unterwegs, oft mehrere Wochen am Stück, während der sie Tier- und Pflanzenarten erfassen und sich selbst versorgen. Mit der Lebensweise in den Dörfern sind sie so vertraut wie mit der Wildnis. „Für so eine Analyse sind das natürlich ideale Voraussetzungen“, sagt Renner: „Viele Fragen, die auftauchten, konnten sie direkt beantworten.“

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Die Gletscher gehen in Bhutan wie überall auf der Welt zurück. Anders als in vielen Berggebieten leidet die Landwirtschaft darunter im Moment nicht: Der Monsun bringt Regen.© Eurac Research - Marc Zebisch
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Berglandschaft im Distrikt Trashigang. 70 Prozent des Landes sind von Wald bedeckt – ein wertvoller Schutz gegen negative Auswirkungen des Klimawandels.© Eurac Research - Kathrin Renner
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Kathrin Renner und Marc Zebisch mit den buthanischen Forstwissenschaftlern, die sie in der Analyse von Klimarisiken schulten. Die Männer verbringen für ihre Erhebungen oft Wochen in der Wildnis.© Eurac Research - Marc Zebisch
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Trashigang Dzong. Dzong sind buddhistische Klosterburgen und sowohl religiöses Zentrum wie Sitz der Distriktverwaltung.© Eurac Research - Kathrin Renner
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Ein typisches Bauernhaus in Samkhar, im Distrikt Trashigang. Je nach Höhe pflanzen die Menschen Bananen und Mandarinen, Reis, Mais und Gemüse an.© Eurac Research - Kathrin Renner
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Besuch bei einer Bauernfamilie in Samkhar, im Distrikt Trashigang. Die Wissenschaftler wollen aus erster Hand erfahren, welche Veränderungen durch den Klimawandel zu beobachten sind. Einige sind positiv: Bestimmte Gemüse wachsen in höheren Lagen. Aber Trockenheit ist hie und da schon ein Problem.© Eurac Research - Marc Zebisch
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Treffen mit der Dorfgemeinschaft von Jongthang, einem Dorf auf 3100 Meter Meereshöhe im Distrikt Trongsa. Es sind vor allem Frauen in den Dorftempel gekommen, denn viele Männer arbeiten auswärts. Als Willkommensgeschenk für den Besuch aus Europa hat jede Familie eine Flasche Maisschnaps und ein Körbchen Chilischoten mitgebracht. Auch hier geht es um die Frage: Wie ist das Dorf vom Klimawandel betroffen?© Eurac Research - Marc Zebisch
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Der Wert von Ökosystemdienstleistungen: Wer den Wald bewahrt, Bäche sauber hält, bekommt dafür Geld.© Eurac Research - Marc Zebisch
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Marc Zebisch im Gespräch mit einem Förster, im Hintergrund das Dorf Jongthang.© Eurac Research - Kathrin Renner
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Im Workshop lernen die Wissenschaftler, Klimarisiken systematisch und umfassend zu analysieren: Welche Gefahr droht, wer ist ihr ausgesetzt, was erhöht die Verletzlichkeit?© Eurac Research - Marc Zebisch
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Die Situation im Überblick. Als größte Risiken sehen die Forstwissenschaftler Waldbrände, geringere Wasserverfügbarkeit und zunehmende Konflikte zwischen Mensch und Wildtier.© Eurac Research - Marc Zebisch

Die Schulung fand in der forstwissenschaftlichen Station von Trashigang statt, einer kleinen Stadt ganz im Osten des Landes. Vom Flughafen Paro im Westen dauerte die Reise zwei Tage. Durchs Land fahren bedeutet, sich über Serpentinenstraßen hinauf- und wieder hinunterzuschlängeln, das Gebirge wirft steile Falten; selten einmal weitet sich ein Tal. Siedlungen schmiegen sich an die Hänge, je nach Höhe pflanzen die Menschen Bananen und Mandarinen, Reis, Mais und Gemüse an. Veränderungen durch den Klimawandel registrieren die Bauern bislang eher als Vorteil, erzählt Renner: „In den Dörfern wurde uns oft berichtet, dass bestimmte Gemüse jetzt auch in höheren Lagen wachsen.“ 70 Prozent des Landes sind Wald (die Verfassung Bhutans enthält die Verpflichtung, dass mindestens 60 Prozent des Landes von Wald bedeckt sein müssen). Ein großer Teil davon ist sogenannter Primärwald, nicht durch menschliche Nutzung beeinflusst. Es gibt verschiedene Regierungsprogramme zu seinem Schutz, und höher- und tiefergelegene Gemeinden treffen Abmachungen, die den Wert von „Ökosystemdienstleistungen“ anerkennen: „Die weiter unten bezahlen die oben dafür, dass sie den Wald bewahren, die Bäche sauber halten“, erzählt Zebisch. „Man sieht dort gut, wie wichtig der Schutz der natürlichen Ressourcen ist: Weil das Land sehr schonungsvoll mit seinen Ressourcen umgegangen ist, ist es jetzt besser gegen Klimafolgen gewappnet; Wald funktioniert ja als Puffer: Wenn etwa Trockenheit herrscht, kommt aus einer bewaldeten Region immer noch Wasser.“

Das ist nicht, was Zebisch zu sehen gewohnt ist. Vor allem in armen Ländern verschärft die Übernutzung der Ressourcen häufig die Folgen des Klimawandels. Für das gleiche UNEP-Programm haben Zebisch und Renner Klimarisiken für Berggebiete in Zentralasien, in Tadschikistan und Kirgisistan, analysiert und festgestellt: Wegen zu großer Viehbestände sind die ohnehin kargen Hänge hoffnungslos überweidet, der Boden hält der zunehmenden Hitze und Trockenheit dadurch viel schlechter stand (siehe Projektbericht).

Weil Bhutan sehr schonungsvoll mit seinen natürlichen Ressourcen umgegangen ist, ist es jetzt besser gegen Klimafolgen gewappnet.

Marc Zebisch

Trockenheit wird in vielen Berggebieten zum Problem, weil die Gletscher schwinden, weniger Schnee fällt: In der Vegetationszeit fehlt dann das Schmelzwasser. In Bhutan wirkt es sich aber vor allem auf die Energiegewinnung aus, wenn die Flüsse weniger Wasser führen – das Land gewinnt viel Strom aus Wasserkraft. Bhutans Landwirtschaft, von der die meisten Menschen leben, hängt dagegen vom Regen ab, den der Monsun bringt. Analysen der Universität für Bodenkultur in Wien haben gezeigt, dass der nicht mehr ganz so berechenbar wie früher ist; ob sich die Muster langfristig ändern, ist jedoch derzeit nicht zu sagen. In der Übergangzeit im Frühling aber, wenn es bereits warm, aber noch trocken ist, kommt es schon jetzt manchmal vor, dass Quellen austrocknen. In zwei Dörfern wurde Zebisch und Renner davon berichtet – in einem hat die lokale Verwaltung eine Leitung von einer anderen Quelle legen lassen, im anderen einen Wasserspeicher installiert. „Die Regierung kümmert sich sehr um die ländlichen Regionen“, sagt Zebisch. Auch das unterscheidet Bhutan von Zentralasien.

Das Königreich Bhutan. Die Fläche entspricht in etwa der Schweiz, die Bevölkerung ist zehnmal kleiner: rund 770.000 Menschen.© Eurac Research

Renner und Zebisch vermitteln ihre Methodik anhand eines umfassenden und systematischen Sourcebooks, das sie mit einem Team im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) verfasst haben (siehe Box). Ein Teil der Analyse besteht darin, aus Klimadaten die Veränderungen zu ermitteln, die schon eingetreten und noch zu erwarten sind; mindestens ebenso wichtig ist es, in Gesprächen und Workshops vor Ort die Faktoren und komplexen Zusammenhänge herauszufiltern, die ein Gebiet verletzlich machen. Denn das ist der Punkt, wo man ansetzen kann: Gegen die Gefahr – etwa steigende Temperaturen – ist kurzfristig nichts auszurichten, aber durch Anpassung kann man negative Auswirkungen eindämmen. Den Forstwissenschaftlern leuchtete der Ansatz sofort ein: „Sie fanden es gut, dass man von den Problemen der Menschen ausgeht“, sagt Renner. Dafür muss man die Menschen natürlich erst einmal befragen, aber auch das sind die buthanischen Wissenschaftler gewohnt: Sie haben schon für andere Studien Umfragen in den Dörfern gemacht, wissen wie man repräsentative Ergebnisse bekommt. „Diese qualitative Forschung ist ihnen vertraut.“

Die Risiken, die die Forstwissenschaftler im Trainings-Workshop selbst am höchsten einstuften, sind Waldbrände, geringere Wasserverfügbarkeit und zunehmende Konflikte zwischen Mensch und Wildtier. Renner und Zebisch fiel auf, wie sicher die Männer ihre Entscheidungen fällten – „eben weil sie das Gebiet in- und auswendig kennen“, sagt Renner: „Wenn ich daran denke, wie schwierig es bei Workshops in Deutschland oft war, den Leuten eine Einschätzung abzuringen….vielleicht sind wir zu verkopft?“

Die Klimarisikoanalyse der Forstwissenschaftler ist noch nicht abgeschlossen, es fehlt die Auswertung der Umfragen. Renners Eindruck allgemein ist, das Land sei „gut aufgestellt“, um mit den Herausforderungen fertig zu werden, „weil man einfach die Natur seit jeher schützt. Ich denke, das ist eine Frage der Bildung, der Werte.“ Marc Zebisch sagt: „Man versteht dort Nachhaltigkeit wirklich als Erhalt von dem, was da ist.“ Und er fügt hinzu, was Renner schon in Bhutan öfters von ihm gehört hat: „Südtirol könnte von Bhutan viel lernen.“

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Climate Risk Sourcebook

Der Klimafolgenforscher Marc Zebisch hat mit Kolleginnen und Kollegen Methoden für die umfassende Analyse von Klimarisiken entwickelt, die seit Jahren in Ländern auf der ganzen Welt angewendet werden. Ein zentrales Element des Konzepts sind „Wirkungsketten“, die die komplexen Zusammenhänge zwischen Klimaveränderung und spezifischen Bedingungen vor Ort abbilden. In einem neuen Leitfaden, der besonderen Fokus auf die Aspekte Kommunikation, Gender und gefährdete Gruppen legt, vermittelt das Team den Ansatz Schritt für Schritt: Climate Risk Sourcebook – Adaptation Community Das Sourcebook ist im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) entstanden.

Mehr zum Thema: Endbericht Klimarisikoanalyse Berggebiete in Zentralasien

Zum Vanishing Treasures Projekt des UNEP in Bhutan: https://www.unep.org/news-and-stories/story/bhutan-endangered-bengal-tiger-making-comeback https://storymaps.arcgis.com/stories/37a2a12ac45042a7856cc97efce6e3d5/

Kathrin Renner

Kathrin Renner hat einen MSc in Geografie von der Universität Leipzig und einen MSc in Geographical Information Science vom University College London. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt derzeit auf der Bewertung von Verwundbarkeit und Klimarisiken, raum-zeitlicher Modellierung und Kartierung für eine verbesserte integrierte Risikobewertung sowie GIS-Datenmanagement und Visualisierung. Sie ist Mitautorin des Climate Risk Sourcebook.

Marc Zebisch

Marc Zebisch ist der Leiter des Zentrums für Klimawandel und Transformation bei Eurac Research. Er hat am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und an der Technischen Universität Berlin promoviert. Er verfügt über 15 Jahre Erfahrung in der Klimafolgenforschung und der Bewertung von Klimarisiken. Seit 2005 ist er maßgeblich an der Klimarisikoanalyse für Deutschland beteiligt und Mitglied des Themenzentrums Klimawandel und Anpassung bei der Europäischen Umweltagentur (EEA-ETC CCA), des Lenkungsausschusses des Österreichischen Klimaforschungsprogramms (ACRP) und des Klimarats der Alpenkonvention (ACB). Er ist Teil des Projektteams, das an der Entwicklung der Klimarisikoanalyse für Europa arbeitet. Er leitete die Aktualisierung und Erweiterung des Climate Risk Sourcebook.

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