Giorgia Meloni – Retterin in der Not?
Die neue italienische Regierung will hart gegen Migranten vorgehen. Im Mittelmeer werden künftig deshalb noch mehr Menschen sterben. Ein Gastbeitrag von Verena Wisthaler.
Einen Monat ist die italienische Regierung nun im Amt. Eine kurze Zeit. Dennoch haben die post-faschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihre rechtspopulistischen Minister bereits die vor den Wahlen angekündigte „harte Linie gegen irreguläre Migration“ umgesetzt. Und damit eine diplomatische Krise mit Frankreich provoziert.
Wochenlang wurde vier von Nichtregierungsorganisationen zur Seenotrettung eingesetzte Schiffe im Hafen von Catania das Anlegen verweigert. An die 1.000 Menschen warteten unter menschenunwürdigen Bedingungen mit schwindender Hoffnung auf ein An-Land-Gehen. In Libyen waren sie von Schleppern auf Schlauchboote gedrängt worden. Ihr Ziel: Europa. Der Weg über das Mittelmeer ist die tödlichste aller Migrationsrouten weltweit. Die Schlepper wissen, entweder die Flüchtlinge werden von einem Schiff gerettet – oder sie sterben.
Nach langem Tauziehen zwischen Frankreich und Italien, dem Tod eines 20 Tage alten Säuglings, dem persönlichen Einschalten des italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella und der EU-Kommission wurde eingelenkt. Drei der vier Schiffe konnten in Italien anlegen, zuerst gingen Kinder und Frauen an Land, dann nach weiteren Tagen des ungewissen Wartens der Rest. Ähnlich wie Salvini, will auch Meloni Aufmerksamkeit erhalten: Seht her, die europäische Migrationspolitik geht wieder einmal unter.
Die Ministerpräsidentin nimmt die restriktive Migrationspolitik und Salvinis Politik der „geschlossenen Häfen“ wieder auf, inszeniert sich gleichzeitig aber als Retterin. Giorgia Meloni, die Retterin der Schwachen, der Kinder und Frauen, der Flüchtenden vor Schleppern und am Ende vielleicht sogar einer europäischen gemeinsamen Asyl- und Migrationspolitik?
Anders als bei Salvini sind unter Meloni die Häfen nicht ganz geschlossen, sondern „teilweise offen“ – für die Schwachen und Kranken, Frauen und Minderjährigen. Doch wer entscheidet, ob man nach einer ungewissen Zeit an der Küste Libyens, nach Folter, Gewalt und Vergewaltigung, und nach Tagen zusammengepfercht auf einem Schlauchboot ohne Essen und Trinkwasser, schwach genug ist, von Bord gehen zu dürfen? Und wohin werden all jene gebracht, die als „gesund“ erklärt werden?
Aber auch für jene, die in Italien von Bord dürfen, ist es eine Rettung auf Zeit, insofern der Aufenthalt in überfüllten Erstaufnahmezentren und Flüchtlingsunterkünften als Rettung bezeichnet werden kann.
Was alle Flüchtenden eint: Sie hoffen auf einen positiven Ausgang ihres Asylansuchens. Und das, obwohl die meisten der Anträge abgelehnt werden – insgesamt 70 Prozent. Diese Menschen müssen Italien wieder verlassen und können in der EU keinen Asylantrag mehr stellen.
Viele tauchen unter. Ohne gültige Papiere sind sie sich selbst überlassen. Sie haben keine Möglichkeit eine Wohnung zu mieten, einer regulären Arbeit nachzugehen, haben kein Recht auf angemessene Gesundheitsversorgung, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Sie leben auf der Straße, unter der Brücke, im Untergrund. Gerettet sind diese Menschen keineswegs.
Das Tauziehen um die Seenotrettung schützt die Flüchtenden auch nicht vor den Schleppern. Die Kriminalisierung und das Verbot der Seenotrettung wirken sich aus: Schlepper ändern ihre Routen, die noch viel gefährlicher, länger und schwieriger werden. Und sie verlangen noch mehr Geld dafür. Es werden also noch mehr Menschen im Mittelmeer sterben.
Die Schlepper profitieren von Melonis Maßnahmen. Die verhindern nicht, dass Menschen sich auf den Weg nach Europa machen. Seenotrettung lockt nicht noch mehr Flüchtende nach Europa, sie ist kein Pull-Faktor, wie dies gern von Populisten behauptet wird. Für Schlepper ist es unerheblich, ob sich Rettungsschiffe im Mittelmeer aufhalten oder nicht. Ist das Boot einmal auf See, haben sie Geld verdient. Was mit den Booten geschieht, ist ihnen egal. Studien zeigen, einzig schlechtes Wetter hält die Schlepper davon ab, in See zu stechen, denn dann ist auch für sie selbst die Rückfahrt gefährlich.
Die Einreise in die Europäische Union über das Mittelmeer ist auch nicht der einzige Weg, über den die meisten Migranten und Migrantinnen einreisen. Der Großteil kommt mit einem regulären Touristenvisum in die Union. Verfällt das Visum, bleibt die Person dennoch in der EU: als sogenannter „overstayer“, ohne gültige Dokumente. Auch diese Menschen landen auf der Straße. Wovor muss man also diese Menschen retten? Vor der gefährlichen Überfahrt übers Mittelmeer oder vor dem Abdriften in ein menschenunwürdiges Leben im Untergrund in Europa, was die Folge der aktuellen europäischen Migrations- und Asylpolitik ist? Das Abdriften hilft weder jenen, die herkommen, noch den europäischen Gesellschaften.
Das Ziel der europäischen Migrationspolitik ist es, irreguläre Migration zu stoppen. Eine Einreise in die EU ist also nur möglich für all jene, die im Vorfeld aufgrund ihrer Qualifikationen und zum Wohle unseres Arbeitsmarktes ausgewählt wurden. Oder für jene, die bereits einen Teil ihrer Familie hier haben. Derzeit gibt es aber keine Möglichkeit für jene Menschen, die nicht vor einem Krieg oder Verfolgung fliehen, legal in die EU einzureisen. Wie und wohin sollen aber die Menschen gehen, die aufgrund fehlender wirtschaftlicher Möglichkeiten, Dürre und Hungerkatastrophen oder Klimawandel ihre Herkunftsländer verlassen müssen?
Europa kann Migration nicht stoppen, auch Meloni wird durch ihre Politik Migration nicht verhindern können. Beide können Migration aber kriminalisieren und Wege versperren, auf denen es möglich ist, ohne Schlepper in die Festung Europa einzureisen. Diese Woche hat die EU einen weiteren Aktionsplan vorgelegt, wie irreguläre Migration gestoppt werden soll: Die Seenotrettung soll besser unter den Staaten und mit der europäischen Grenzschutzagentur koordiniert, freiwillige Rückfahrten nach Libyen unterstützt, die Ankömmlinge anhand eines Solidaritätsmechanismus auf alle EU-Staaten verteilt werden.
Vielleicht wie im Falle der Ocean Viking, dem vierten der Seenotrettungsschiffe, das von Italien Anfang November abgewiesen wurde: Frankreich erklärte sich freiwillig bereit, einen Hafen zur Verfügung zu stellen und das Schicksal – offiziell heißt das den Rechtsstatuts und das Anrecht auf Asyl – der 234 Passagiere zu klären. Fünf Jugendliche aus Eritrea sind sofort nach dem Anlegen geflüchtet. Wahrscheinlich befinden sie sich auf dem Weg in ein anderes europäisches Land, ohne gültige Papiere, mit wenig Aussicht auf ein anerkanntes Leben. 40 andere Minderjährige wurden unmittelbar der französischen Sozialfürsorge übergeben. 123 der restlichen 189 Personen wurden abgewiesen. Sie hätten keinen berechtigten Asylgrund, hieß es vonseiten der französischen Behörden. Überprüft wurde diese Annahme nicht.
Die Abgewiesenen werden nun mit dem Flugzeug in ihre Herkunftsländer abgeschoben. Die verbleibenden 66 Passagiere, von denen angenommen wird, dass sie ein Recht auf Asyl haben könnten, werden auf elf europäische Länder verteilt, die sich alle freiwillig gemeldet haben die Personen aufzunehmen: elf Länder für 66 Personen. Bisher ist diese Verteilung mittels Solidaritätsmechanismus freiwillig, Meloni möchte erreichen, dass der Mechanismus verpflichtend für alle EU-Staaten wird. Ob so die Rettung der europäischen Migrationspolitik aussieht?
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