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Die Transformation der Begegnungskultur

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Die Transformation der Begegnungskultur
Virtual Reality verspricht quasi-reale Begegnungen im „Metaverse“ - © Unsplash Stephan Sorkin

Begegnungskultur und (stockende) Globalisierung: Löst die digitale Welt die globalisierte Welt ab?

Die Globalisierung war über Jahrzehnte eine bestimmende Größe der Wirtschaftsentwicklung – für die gesamte Welt, für Industrie- und Schwellenländer, aber auch für einzelne Regionen. Die Entwicklung der globalen Wirtschaft seit dem zweiten Weltkrieg kann auch als eine Geschichte der Globalisierung geschrieben werden, von der Integration der „westlichen“ Welt – einschließlich der ehemaligen Kriegsgegner (West)-Deutschland, Japan und Italien – über die Öffnung des Ostblocks nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ bis zum rasanten Aufschwung Chinas ab dem Jahr 2000 und dem beginnenden Aufstieg Indiens. Nicht nur große Konzerne, gerade auch mittelständische Industrieunternehmen – die sogenannten Hidden Champions – konnten stark von der globalen Marktöffnung profitieren, etwa im Maschinenbau und in der Steuer- und Regelungselektronik.

alt© Institut der deutschen Wirtschaft | Hermann Simon

Dabei war und ist die Globalisierung Projektionsfläche für positive wie negative Erzählungen gleichermaßen. Während Ökonominnen und Ökonomen den Beitrag der Globalisierung zum wachsenden Wohlstand in Industrie- wie Schwellenländern aufgrund der optimalen Nutzung der unterschiedlichen Faktorausstattungen der Handelspartner herausstellen, sehen Globalisierungskritiker die Übel in der Welt von der Armut in Entwicklungsländern über Umweltzerstörung bis zu einer wachsenden Lohndifferenz in wohlhabenden Ländern als Globalisierungsfolge.

Globalisierung und Begegnungskultur

Eines ist jedoch klar: Die Globalisierung hat die internationalen Begegnungen massiv verstärkt, oder andersherum: Eine Ausweitung der Begegnungen durch sinkende Kosten der Raumüberwindung und weltweiten Flugverkehr waren eine der Voraussetzungen der rasanten Globalisierung. Inwieweit die mit der Globalisierung sich verändernde Begegnungskultur aber bereits zu einer „globalen Kultur“ geführt hat, ist allerdings umstritten. Mit der Globalisierung wuchsen nämlich auch ihre Gegenbewegungen: die Regionalisierung und, punktuell, der Nationalismus als eine Form des Anti-Globalismus. In jedem Fall sind die kulturellen Unterschiede zwischen verschiedenen Weltregionen und Ländern weiterhin groß. Nicht nur China „tickt“ deutlich anders, wie das Scheitern der vor 20 Jahren verbreiteten Idee eines „Wandels durch Handel“ hin zu einer Demokratisierung des Landes gezeigt hat, auch innerhalb der westlichen Welt sind zunehmende Spannungen und Risse zu erkennen, wie der Brexit und in den USA die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten gezeigt haben.

Die erschöpfte Globalisierung

Diese problematischen Vorkommnisse gehen einher mit einer deutlichen Verlangsamung der wirtschaftlichen Globalisierung schon vor der Corona-Pandemie, die die Welt als „Schwarzer Schwan“ traf. Bereits ab circa 2016 wuchs der Welthandel nicht mehr schneller als die Weltwirtschaft insgesamt, der Handel entfiel also als befruchtendes Element und Wachstumstreiber. Austausch und Tourismus als Elemente der Begegnungskultur stiegen jedoch bis 2019 noch weiter an. Trotzdem machte sich, auch vor dem Hintergrund einer neuen nationalistischen Politik Chinas und der ebenfalls internationalisierungsfeindlichen Politik in den USA und Großbritannien, ein Gefühl der Erschöpfung der Globalisierung breit. Dies wurde auch durch rückläufige globale Direktinvestitionen untermauert: Die Direktinvestitionen erreichten schon vor der Finanzkrise von 2009 mit 2,5 bis über 3 Billionen US-Dollar jährlich ihren Höhepunkt, 2018 und 2019 wurden nur noch 750 Mrd. bzw. 1,4 Billionen US-Dollar grenzüberschreitend direkt investiert.

Schwarze Schwäne: Corona und Ukrainekrieg

In diese bereits erkennbare Erschöpfung der Globalisierung hinein begann 2020 die Corona-Pandemie, die zu drastischen Einschränkungen von Handel und Reisen führte. Obwohl die Möglichkeit einer globalen Pandemie von Virologen bereits diskutiert wurde, traf Covid19 die Weltwirtschaft gänzlich unvorbereitet. Lokale Lockdowns und Grenzschließungen brachten den Handel zeitweise fast zum Erliegen – und führen bis heute zu Lieferproblemen z.B. bei Microchips –, sie bildeten jedoch durch die Reisebeschränkungen auch einen tiefen Einschnitt für die internationale Begegnungskultur. China nutzte die Pandemie, um Einreisen weitgehend zu unterbinden, aber auch ein eigentlich offenes Land wie Australien ließ über Monate niemanden einreisen.

Inzwischen beginnen sich die Handelsbeziehungen zu normalisieren, auch wenn die Corona-Folgen noch nicht ausgestanden sind. China scheint erst jetzt überhaupt am Beginn der Pandemiewelle zu stehen, nachdem die Regierung auf Druck der Bevölkerung von der restriktiven Zero-Covid-Strategie mit harten Lockdowns abgewichen ist. Als „Werkstatt der Welt“ für viele einfache Industriegüter könnte das Land noch längere Zeit durch unsichere Lieferfähigkeit geprägt sein. Im vergangenen Jahr kam als neuer Belastungsfaktor der russische Angriff auf die Ukraine hinzu. Spannend wird nun auch sein, wie die Kraft der „unsichtbaren Hand“ in der Marktwirtschaft möglicherweise neue Wege und Standorte sucht und andere Schwellenländer ihren wirtschaftlichen Aufstieg beschleunigen, während China sich abschottet. Zunächst scheinen Vietnam und Mexiko von diesem Effekt zu profitieren.

Energiekrise und Klimapolitik: Raumüberwindung wird teurer

Doch mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine trat 2022 bereits der nächste „Schwarze Schwan“ nach der Pandemie auf – nur wenige hätten vor dem 24. Februar einen der größten Kriege seit dem zweiten Weltkrieg ausgerechnet in Europa für möglich gehalten. Wieder wird die Begegnungskultur, diesmal mit Russland, einem Stresstest unterzogen. Doch auch die Globalisierung erhielt einen neuen Schlag, denn mit den steigenden Energiepreisen seit Kriegsbeginn verteuerte sich auch die Raumüberwindung erheblich. Dies gilt für die internationale Transportschifffahrt, aber auch für das Reisen per Flugzeug.

Inzwischen beginnen sich die Energiepreise zu normalisieren, doch der drastische Anstieg hat bereits einen inflationären Schock ausgelöst, der die Wirtschaft stark belastet. Und langfristig wird die Raumüberwindung sich weiter verteuern: Klimapolitisch müssen fossile Brennstoffe teurer gemacht und ersetzt werden, hierzu haben sich die entwickelten Länder bekannt. Die EU soll bis 2050 klimaneutral wirtschaften, Deutschland möchte das schon 2045 schaffen. Der Weg dahin ist allerdings noch nicht recht zu erkennen, klar ist nur, dass Reisen und Transporte sich weiter verteuern werden. Dies wird nicht ohne Einfluss auf den Austausch der Menschen und damit auf die Begegnungskultur bleiben. Doch welche Lösungen könnten die physische Interaktion, die immer eine Raumüberwindung erfordert, ersetzen?

Begegnungen in der digitalen Kultur

Als Teil der Globalisierung ist auch eine global vernetzte digitale Kultur im Entstehen begriffen, die mit der Corona-Pandemie einen neuen Schub erfahren hat. Homeoffice und digitale Meetings haben die digitale Kultur während der Lockdowns stark vorangebracht. Doch digitale Meetings haben ihre Grenzen, die persönliche Interaktion ist bislang durch Videokonferenzen nicht zu ersetzen. Ein Zoom-Meeting ist zur Absprache klar umrissener Aufgaben zwischen Personen, die sich bereits persönlich kennen, gut geeignet, weniger jedoch zum Kennenlernen von Menschen, die sich nie zuvor begegnet sind. Die persönliche Note durch physische Nähe fehlt, und die Sprachbarriere für Teilnehmer aus unterschiedlichen Kultur- und Sprachkreisen wird zusätzlich vergrößert bei einer möglicherweise nicht perfekten Internetverbindung.

Virtual Reality als Lösung?

Gesucht wird daher eine digitale Lösung, die die persönliche Begegnung wirklichkeitsnah simulieren kann. Zumindest im Prinzip könnte dies zukünftig die virtuelle Realität leisten. Virtual Reality verspricht quasi-reale Begegnungen im „Metaverse“, wobei die Übertragungsrate der Datenverbindung entsprechend hoch sein muss. Das Metaverse verspricht durch die Nutzung von Datenbrillen ein neues realitätsnahes virtuelles Erlebnis – immersiv in 3D. Es ist eine Zukunftsoption, um virtuelle Begegnungen und Videokonferenzen quasi-real zu gestalten. Auch eine Echtzeit-Übersetzung der Unterhaltung, beispielsweise Chinesisch-Italienisch oder Deutsch-Koreanisch, ist in der virtuellen Realität des Metaverse, an der derzeit gearbeitet wird, relativ leicht umzusetzen.

Dabei kann allerdings auch Virtual Reality persönliche Begegnungen nicht vollständig ersetzen, aber doch zu einem wachsenden Anteil, so dass zukünftig weiter steigende Reisekosten ausgeglichen werden könnten und die Globalisierung durch eine neue globale Digitalkultur ergänzt und klimagerechter ausgestaltet werden kann. Auch das Fachkräftepotential anderer Länder und Weltregionen könnte durch Nutzung von Virtual Reality besser vernetzt und eingebunden werden, ohne dass es immer zu einer kostenintensiven und mit sozialen Verwerfungen verbundenen Wanderung von Arbeitskräften kommen muss. Das Metaverse eröffnet daher neue Dimensionen für die Entstehung einer globalen Begegnungskultur.

Klaus-Heiner Röhl

Klaus-Heiner Röhl

Klaus-Heiner Röhl ist Senior Economist für Mittelstandspolitik und Regionalpolitik im Hauptstadtbüro Berlin des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Seine Forschungsinteressen umfassen Themen der Digitalisierung und des Klimawandels bis hin zu Strukturwandel in Wirtschaft und Gesellschaft und Fragen der europäischen Verteidigungswirtschaft.

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Citation

https://doi.org/10.57708/b146690236
Röhl, K.-H. Die Transformation der Begegnungskultur. https://doi.org/10.57708/B146690236

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