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Makroregion Alpen von Hof bis La Spezia: Die Alpen wachsen.

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Makroregion Alpen von Hof bis La Spezia: Die Alpen wachsen.
Makroregion-Alpen-EUSALP -

„Frangen ois Alben?“ Der oberfränkische Bauer Alfred schaut mich fragend an, als ich ihm erkläre, dass nun ganz Franken in der Europäischen Strategie für die Makroregion Alpen (EUSALP) eingebunden ist. Ich staune um so mehr, als mich Alfred daraufhin blitzschnell fragt: „Heißt das, dass wir bald noch mehr Alpenmilch im Supermarkt haben?“

Wahrscheinlich ginge es vielen Franken ähnlich, wenn sie erfahren würden, was im Alpenraum gerade passiert. Denn die geographischen, demographischen, organisatorisch-strukturellen und politischen Gleichgewichte verschieben sich. Die bekannten räumlichen und sozioökonomischen Verhältnisse zwischen den Alpenstaaten, die den Alpenraum bisher charakterisierten, werden teilweise auf den Kopf gestellt. Die Internetseiten der EU regional strategies und EUSALP informieren jedoch nur spärlich darüber, wer zu welchen Teilen zur Makroregion Alpen gehört und wie viele Einwohner sie zählt.

Die Makroregion Alpen (EUSALP) umfasst ganze Staaten (Österreich, Schweiz, Liechtenstein und Monaco) und Regionen (in Italien, Frankreich und Slowenien) bzw. Bundesländer (in Deutschland). Die EUSALP ist ein hybrider Zusammenschluss von 48 Regionen mit supranationalem Charakter und einer Bevölkerung von rund 77 Millionen Menschen – eine Art Mini-EU.

Ein Lenkungsausschuss mit Länder- und EU-Vertretern sowie Beobachtern (Alpenkonvention, Alpenraum/Alpine Space Programm) steuert die Strategieentwicklung dieser Makroregion. Ziel ist es, mittels neun thematischer Arbeitsgruppen gemeinsame Herausforderungen zu bewältigen sowie die Lebensqualität und Wirtschaft der Alpen zu stärken. Die Makroregion zeichnet im Vergleich zu den bisher tonangebenden Akteuren – Alpenkonvention, Arbeitsgemeinschaft ARGE ALP, Alpen-Adria Allianz, Internationale Alpenschutzkommission CIPRA und Alpenraumprogramm – v.a. eines aus: Die Alpen sind als EUSALP-Makroregion im nordöstlichen Teil deutlich gewachsen. Die Konsequenz daraus ist, dass voraussichtlich die politischen Kraftverteilungen zugunsten Deutschlands neu gemischt werden.


Vergleich der Perimetrien von EUSALP, Alpine Space and Alpenkonvention

Die geläufige Abgrenzung der Alpen bezog sich im Wesentlichen auf den Perimeter der Alpenkonvention und das Alpenraumprogrammgebiet (siehe Karte). Erstere ist eine politische Abgrenzung, die sich an der Geomorphologie des Berggebietes orientiert. Sie stellt mit 191.000 km² eine enge Abgrenzung der Alpen dar. Neben Monaco und Liechtenstein sind die Deutschen Alpen das kleinste nationale Alpenkonventionsgebiet (rund 300 Gemeinden, 11.000km²). Der nationale Deutsche Alpenplan zählt etwas mehr als 100 Gemeinden.

Bereits im Rahmen der Alpenkonvention ist der deutsche Alpenteil wesentlich größer als das eigentliche Alpenberggebiet. Dies gilt ebenso für den südwestfranzösischen Alpenraum. Das Kooperationsgebiet des Alpenraumprogramms übertrifft den Alpenkonventionsperimeter deutlich, nämlich um mehr als das Doppelte (391.000 km²). Es integriert gänzlich die großen prealpinen Regionen mit Alpenanteil, u. a. die gesamte Lombardei, Rhône-Alpes und Oberbayern.

Das Gebiet der Makroregion (444.000 km²) ist um mehr als 10% größer als das Alpenraumprogrammgebiet und 2,5 Mal so groß wie das Alpenkonventionsgebiet. Das beruht auf einer erheblichen räumlichen Erweiterung im Nordosten: mit Niederbayern, Oberpfalz, Ober-, Mittel- und Unterfranken sowie Karlsruhe und Stuttgart kommt ein ganzes Bündel deutscher Regierungsbezirke hinzu. Das heißt, ganz Bayern und Baden-Württemberg sind Teil der Makroregion Alpen.

Damit steigt der Einfluss Deutschlands auf die Alpen weiter. Es gibt über 3.000 deutsche EUSALP-Gemeinden. In der Alpenkonvention beträgt der Anteil von Deutschland an Bevölkerung und Fläche 10% bzw. 6%. Diese Anteile steigen auf 14% bzw. 12% im Rahmen des Alpenraumprogrammgebiets. In der Makroregion erhöhen sie sich schließlich auf 23,4% (16,6 Mio. Einwohner) bzw. 24% (106.000 km²). Das übertrifft die Schweiz um jeweils mehr als 10%. Nur: Was haben Ober-, Unter- und Mittelfranken thematisch mit den Alpen zu tun?

Von den mobilen Banken, die in den entvölkerten Frankengemeinden unterwegs sind und der fränkischen Regionaltheke kann man für die Entwicklung von Zukunftsstrategien in den Alpen sicherlich einiges lernen. Im Umkehrschluss können die Alpen manche Erfahrung an demographisch gebeutelte Gemeinden im bayerischen Norden weitergeben. Dennoch kann angezweifelt werden, dass sich die Franken für die alpenrelevanten Herausforderungen interessiere. Die Makroregion EUSALP ist kein machtfreier Raum. Es geht um politische Einflussnahme in Brüssel, im Alpenraum selbst sowie um die Stärkung Bayerns und Baden-Württembergs gegenüber Berlin.

Sicherlich haben bei der Definition des Territoriums der EUSALP neben machtpolitischen Interessen auch technokratische Aspekte eine Rolle gespielt, denn die Makroregion benötigt auch organisationale Strukturen. Vor allem da der Entscheidungsprozess bei so vielen Akteuren komplex ist, bedarf es einer gut funktionierenden Governance. Hierfür müssen die relevanten Entscheidungsträger in die Strukturen eingebunden werden. Mit Bayern im Boot öffnen sich für die Verkehrspolitik in den Alpen neue Möglichkeiten. Aber ein schneller Wechsel der Perspektiven reicht aus, um die Komplexität einer EUSALP-Governance zu erahnen.

Blickt man auf die Alpen als Naturraum, so sind bereits im Alpenraumprogrammgebiet Teile des französischen Mittelgebirges Massif Central (Rhone Alpes), des Apennin (Ligurien, Lombardei, Piemont) und der Dinarischen Alpen (Slowenien) politisch integriert. Mit der Makroregion Alpen kommen jetzt deutsche Mittelgebirgsgebiete hinzu: in Oberfranken das Fichtelgebirge und der Thüringer Wald, in Niederbayern und Oberpfalz der Bayerische Wald und Böhmerwald. Wie werden die Interessen dieser Berggebiete in einer auf die Alpen ausgerichteten Entwicklungsstrategie vertreten sein?

Für eine gelungene Governance der EUSALP zählen aber nicht nur hard facts. Die Qualität des Zusammen-Arbeitens – oder des Miteinander-Könnens – wird maßgebend sein. Die neuen Mitglieder der EUSALP-Alpen betreten ein Gebiet, das hinsichtlich transnationaler Zusammenarbeit nicht unerfahren ist, wenn nicht sogar weltweit führend. Diese Kompetenz dokumentieren die zahlreichen regionalen, überregionalen und transnationalen Kooperationen sowie zahlreiche Vereinigungen, Abkommen, Kommissionen, Plattformen etc. (Alpenraumprogramm, Alpenkonvention, Internationale Alpenschutzkommission CIPRA, Internationales Wissenschaftliches Komitee Alpenforschung ISCAR, Arbeitsgemeinschaft ARGE ALP, Alpen-Adria Allianz, COTRAO , trilaterale Kooperation zwischen Slowenien, Nordost-Italien und Österreich und die Plattform für die Zusammenarbeit der VerkehrsministerInnen der Alpenländer im Rahmen des so genannten Zürich Prozesses). Weiteres zählen wir in den Alpen 27 Euregioregionen und zahlreiche, alpenweit agierende Kooperationen, Dachorganisationen und Vereinigungen. An Initiativen mangelt es nicht und es wird für das neue Konstrukt EUSALP entscheidend sein, ob die bereits existierenden und etablierten Strukturen integriert und unterstützt werden oder ob es schlussendlich zu einer Überfrachtung und Demotivation führt?

Im Aktionsplan der EUSALP wird auf die unterschiedlichen Ziele, Instrumente, Stakeholder und die unterschiedliche Geografie hingewiesen. Die Situation jedoch ist fragmentiert; es gibt Überschneidungen und Diskontinuitäten. Die EUSALP-Verantwortlichen wollen deshalb die existierenden Strukturen besser koordinieren und die verschiedenen Politiken abstimmen. Eine Herkulesaufgabe. Auch deshalb, weil sich diese zahlreichen und vielfältigen alpinen Stakeholder aktiv in die Alpenraumstrategie einbringen wollen. Die EU meint dazu lediglich: „The Strategy will benefit from the active role of the Alpine regions supported by the Member States and experience from a large number of cooperation structures already operating in the area…”. Gelingt es mit einer Strategie der Mehrebenengovernance die erfahrenen Akteure aus den Alpen zu integrieren? Werden sie überhaupt eine besondere Rolle spielen können? Denn in der EUSALP sollten laut Definition explizit die Regionen die Schlüsselakteure sein. Sie erhalten stärkeres Gewicht und sollen intensiver zusammenarbeiten.

Wie balancieren die Schweizer die Politik zwischen den Interessen der Kantone und den nationalen Interessen? Wie wird Berlin reagieren, wenn die Bayern bestimmte Interessen über die Makroregion EUSALP regeln werden? Es wird auf jeden Fall spannend bleiben, denn diese Fragen sind nicht nur für die Makroregion Alpen entscheidend, sondern für die Entwicklung der gesamten EU.

Die Alpenkonvention und die CIPRA haben in Positionspapieren zur Governance und zu den neun thematischen Schwerpunkten der EUSALP Stellung bezogen. Es zeichnet sich ab, dass verschiedene Akteure gemeinsam die Leitung thematischer Arbeitsgruppen übernehmen werden. Das kann ein vielversprechender Ansatz sein, dennoch fehlt der gesamten EUSALP-Entwicklung ein öffentlicher Diskurs, der das gesamte Vorhaben auch demokratiepolitisch legitimiert.

Schlussendlich müssen ambitiöse Aktionspläne umgesetzt werden, etablierte Strukturen Verantwortung übernehmen und Konsens muss in den Mittelpunkt gestellt werden, um für eine territorial ausgeglichene und dennoch gemeinsame nachhaltige Entwicklung zu sorgen. Und dies trotz der sozioökonomisch, strukturell und kulturell stark divergierenden einzelnen EUSALP-Regionen.

Die politischen Verhältnisse werden sich verschieben – dies ist sicher. Dafür existieren auch nachvollziehbare Gründe, denn als ein zwischenstaatlicher und regionaler Kooperationsraum, erfordert eine Makroregion eine praktikable Governance. Dafür braucht die Makroregion auch Machtbefugnisse und eine bevölkerungsreichere EUSALP ist dazu sicherlich besser in der Lage als kleinere Einheiten wie die Alpenkonvention.

Die spezifischen Belange der Alpen als ein Berggebiet müssen aber im Auge behalten werden, auch wenn die territoriale Einheit EUSALP wächst. Für viele Menschen, die im Kerngebiet der Alpen leben, ist eine starke Makroregion Alpen daher möglicherweise nicht in ihrem Interesse.

Autor: Thomas Streifeneder

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https://doi.org/10.57708/b22008411
Streifeneder, T. P. Makroregion Alpen von Hof bis La Spezia: Die Alpen wachsen. https://doi.org/10.57708/B22008411

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