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Radtourismus in den Alpen – Tritt zurück nach vorn

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Radtourismus in den Alpen – Tritt zurück nach vorn
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Die Alpen sind mit starken Bildern in den Köpfen der Menschen verankert und der Tourismus hat seit Generationen versucht diese Bilder als Erlebnisraum für Erholungsuchende wirtschaftlich zu nutzen. Mit dem Ergebnis, dass die Alpen heute eine Kulturlandschaft, ein Lebens- und Wirtschaftsraum sind, der einer Vielzahl an Anforderungen gerecht werden muss, wobei die Berge immer stärker zu einem Freizeitpark für urbane Zeitgenossen werden.

Das Radfahren und die Alpen stehen dabei in einer Hassliebe zueinander. Zu Beginn des Rennradsports waren die Alpen noch kein Thema für die Veranstalter. Zu steil, zu unvorhersehbar waren die Auf- und Abstiege auf den Alpenpässen. Aber das Publikum gierte nach Sensationen und Helden und so wurden die Alpen schrittweise als Etappenziele in die Streckenführung einer Tour de France oder eines Giro d’Italia aufgenommen.

Dies war kein leichtes Unterfangen, denn die Athleten fürchteten sich nicht nur vor den bevorstehenden Strapazen. Von den Einheimischen wurden diese als Unmenschen auf technischen Konstrukten mit zwei Rädern, als Bedrohung und als etwas Fremdes wahrgenommen. Beschimpfungen, Schlagstöcke oder ein Ruck mit der Heugabel waren nicht die Ausnahme. Das Fahrrad war in den Alpen etwas Neues, es wirkte bedrohlich, es war nicht von diesem Ort und es wurde an diesem Ort auch nicht gebraucht.

Mehr als hundert Jahre später scheint sich hier und dort in den Alpen das eine oder andere Angstgefühl festgefahren zu haben. Denn es gilt nach wie vor die Tatsache, dass sich die Alpenbewohner teilweise nur schwer an das Fahrrad gewöhnen. In den Achtzigern kam mit dem Mountain Bike eine weitere technische Erfindung auf den Markt deren breite Stollenreifen signalisierten: Liebe Alpen, hier bin ich zu Hause.

Die Entwicklungen rund um das Thema Radtourismus in den Alpen werden heute kontrovers diskutiert. Die einen sehen darin ein Potenzial für Wachstum und möglicherweise eine Option, um den härter werdenden Wettbewerb im alpinen Skitourismus teilweise abzufedern; die andere Gruppe sieht im Fahrrad einen weiteren Schritt Richtung Ausbeutung der Alpen. Vor allem, wenn es um das Mountain Bike geht, verhärten sich die Fronten schnell und zentrales Thema jeder Diskussion wird das Konfliktpotenzial rund um das Mountain Biking.

Für einen Zugewinn an Objektivität ist es ratsam das Blickfeld zu erweitern. Schaut man über die Dreitausender der Alpen hinweg, so kann von einer Renaissance des Fahrrades in den westlich geprägten Industrieländern gesprochen werden. In Zeiten der Komplexität scheint diese im Kern einfache Technik die Menschen zu begeistern und für die Lösung von urbanen Verkehrs- und Umweltproblemen ist das Fahrrad oftmals ein wichtiges Element, um nachhaltige Mobilitätskonzepte zu erarbeiten. Möglicherweise werden die Chinesen, die mit Beginn des Wirtschaftswachstums das Fahrrad zu Gunsten des Automobils von ihrem Stadtbild vertrieben haben, ebenso schnell wieder zum Fahrrad zurückkehren. Vermeintlicher Fortschritt kann schnell zum Rückschritt werden.

Für die touristische Produktentwicklung sollte das Fahrrad zukünftig immer stärker als ein Hybrid begriffen werden: Als Sportgerät hat sich das Fahrrad einen festen Platz erarbeitet und die kontinuierlichen technischen Innovationen und Moden lassen keinen Zweifel offen, dass diese Entwicklung auch in den nächsten Jahren Bestand haben wird. Als Verkehrsmittel scheint die Entwicklung des Fahrrads erst Fahrtwind zu gewinnen. Bisher radfeindliche Städte gewinnen eine neue Lebensqualität durch den Ausbau der Rad-Infrastruktur. Bunte Bike-Shops schmücken die Einkaufsstraßen, neue Magazine am Kiosk warten darauf gelesen zu werden, Bike-Manufakturen schaffen regionale Wertschöpfung und Angebote, um mit dem Rad auf Reisen zu gehen sind nicht nur ein Nischenmarkt für Abenteuer-Junkies, sondern entwicklen sich zu einem neuen Massenprodukt.

Die alpinen Destinationen tun gut daran diese Entwicklung intensiv zu beobachten. Denn die Alpen haben Potenzial sich auch als radfreundlicher Erholungsraum einen Namen zu machen. Einen Namen, der nicht neu geschrieben werden muss, da Alpen & Rad bereits auf eine starke, gemeinsame Geschichte aufbauen können. Vor allem aufgrund der zunehmenden Verbreitung von Pedelcs (e-Bike) können die Alpen dem Wettbewerbsnachteil ‘Steigung’ trotzen. Mit Strom in der Kurbel werden die Alpen eben flacher!

Das Neue daran mag sein, dass es nicht darum gehen wird eine neue Route für das Mountain Biking frei zu geben oder einen autofreien Tag auszurufen. Es sind dies nur Teilaspekte, die auch nur einen teilweisen Erfolg verbuchen werden. Es wird in Zukunft viel mehr darum gehen, das Fahrrad als eine Art ‚praktische Philosophie‘ zu betrachten, die sowohl den Tourismus, die Ökologie, die Politik, die Wirtschaft und die Identität einer Region verändern kann. Denn möglicherweise ist das Fahrrad ein starkes Symbol für den Anbruch einer neuen Zeit, für einen Prozess des Umdenkens.

So wie einst die Größen des Radrennsports, die auf ihren Höllenmaschinen im Schweiße der Götter unvorstellbare Strapazen in den Alpen auf sich genommen haben und so nicht nur zu Zeugen, sondern Akteure einer neuen Epoche wurden.

Autor: Manuel Demetz

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https://doi.org/10.57708/b22008420
Demetz, M. Radtourismus in den Alpen – Tritt zurück nach vorn. https://doi.org/10.57708/B22008420

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