Die Mumie mit dem bemalten Leichentuch

Die interdisziplinäre Studie

Mumien sind Zeugen einer jahrtausendealten Vergangenheit. Durch die Untersuchung der menschlichen Überreste, die unter dem Stoff verborgen sind, können wir Fragmente vergangener Leben, frühere Krankheiten sowie die Einbalsamierungstechniken wiederentdecken, mit denen die Körper der Verstorbenen auf das ewige Leben vorbereitet wurden.

Heute stehen der Wissenschaft modernste Technologien zur Verfügung, die nicht-invasive Analysen wie bildgebende Untersuchungen (z. B. Computertomographie (CT)) ermöglichen, mit denen Mumien praktisch „enthüllt“ werden können, und paläoanthropologische Studien unterstützen.  

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CT-Scans© Mediterraneo Antico - Marcello Garbagnati
CT-Untersuchung© Mediterraneo Antico - Marcello Garbagnati
Arbeitsgruppe© Mediterraneo Antico - Marcello Garbagnati

Die Mumie mit dem bemalten Leichentuch konnte dank der Zusammenarbeit mit der Radiologieabteilung der IRCCS Azienda Ospedaliero-Universitaria in Bologna einem CT-Scan unterzogen werden. Die CT-Scans wurden während der Schließungszeiten der Abteilung durchgeführt, die Mumie wurde in einem speziellen versiegelten Behälter (Conservation Soft Box) transportiert. Er wurde vom Institut für Mumienforschung von Eurac Research entworfen und konzipiert. Die Conservation Soft Box ermöglichte es, die Mumie zu schützen, die geeigneten Konservierungsbedingungen zu kontrollieren und eine Kontamination der Räumlichkeiten des Krankenhauses zu vermeiden.

Die Mumie in der Conservation Soft Box

© PAOLO BONDIELLI

Die Auswertungen der CT-Scans

Die Mumie kann einer etwa 1,53 Meter großen Frau zugeordnet werden, die zum Zeitpunkt ihres Todes 35 bis 45 Jahre alt gewesen sein könnte. Bei ihrer Untersuchung wurde keine bestimmte Todesursache festgestellt. Die Frau litt an Abszessen, die im Laufe ihres Lebens zum Verlust einiger Zähne führten. Außerdem litt sie an degenerativen Erkrankungen wie etwa an einer Arthrose der Wirbelsäule und der Kniegelenke. Üppige Hautfalten und Reste von Fettgewebe an den Hüften, dem Gesäß und den Oberschenkeln deuten auf einen rundlichen Körper hin.

© Eurac Research - Alice Paladin

Einige Details des Gesichts, das auf das Leichentuch aufgemalt ist, erscheinen in den 3D-Rekonstruktionsbildern als strahlenundurchlässig. Das bedeutet, dass die Gesichtszüge, aber auch viele andere Details des Tuchs, mit Pigmenten auf Eisenbasis gemalt wurden, die von CT-Röntgenstrahlen nicht durchdrungen werden können.

Die Einbalsamierungstechniken

Bei der Einbalsamierung wurde das Gehirn fast vollständig entfernt, und die inneren Organe wurden durch einen etwa sieben Zentimeter langen, im CT-Scan sichtbaren Schnitt an der linken Seite des Unterleibs entnommen. Die Öffnung wurde daraufhin teilweise mit in Harz getränkten Bandagen ausgestopft.

Die inneren Organe wurden durch einen Schnitt entnommen, der durch in Harz getränkte Bandagen ausgestopft wurde.

Beim Vorbereiten des Körpers auf das Bandagieren wurden die Gliedmaßen mit geknoteten Stoffbändern an den Handgelenken, unter dem Schambein und unter den Knien fixiert. Der Körper wurde schließlich mit einem reichhaltigen Guss aus Harz überzogen und mit einer Leinenbinde bedeckt.

Die Datierung

Fragment des bemalten Leichentuchs

© Eurac Research - Marco Samadelli

Mithilfe der Radiokarbonmethode (¹⁴C), die an einem Fragment des bemalten Leichentuchs und an einem weiteren Fragment der inneren Bandagen durchgeführt wurde, konnte die Mumie auf die Römerzeit (1. bis 2. Jh. n. Chr.) datiert werden. Auf dieselbe Zeit deuten einige stilistische Vergleiche mit Mumien und Sarkophagen von Mitgliedern der Soter-Familie hin, deren Grab in der thebanischen Nekropole von El-Khokha (TT32) gefunden wurde.

© Rijksmuseum van Oudheden

Bemaltes Leichentuch von Sensaos, Römerzeit, Trajanisches Reich, Soter-Grab, Theben

Die Schädel-Gesichts-Rekonstruktion

Schädel-Gesichts-Rekonstruktionen stellen die Gesichtszüge von Personen, die in der Vergangenheit gelebt haben, so realistisch wie möglich wieder her. Dafür ist es besonders wichtig, die Anatomie des Gesichtes und das mechanische Zusammenspiel zwischen dem Weichgewebe und der darunter liegenden Knochenstruktur genau zu kennen. Der „virtuelle“ Anthropologe berücksichtigt die Eigenschaften der Gesichtsknochen, indem er sie mit Messungen an zahlreichen standardisierten Punkten des Schädels kombiniert, um das Gesichtsvolumen zu berechnen. Diese Daten werden dann mit vorhandenen Werten zur durchschnittlichen Gewebedicke von menschlichen Gesichtern verknüpft, die sich zwischen den Populationen unterscheiden.

Sposta la linea verticale per evidenziare la ricostruzione facciale
© Viviana Conti, Lucrezia Rodella

Um das Gesicht der Mumie mit dem bemalten Leichentuch zu rekonstruieren, wurde ein digitales Modell des Schädels erstellt, erfasst durch einen CT-Scan. Mithilfe einer speziellen 3D-Modellierungssoftware wurden Bilder des Schädels in frontaler und linksseitiger Ansicht erstellt und die Gesichtszüge abgeschätzt. Für das Endergebnis wurden Bilder von Personen mit ähnlichen Gesichtszügen wie die der Verstorbenen miteinander kombiniert. Bei der Wahl der Augen-, Haut- und Haarfarbe wurden hingegen die genetischen Analysen des Instituts für Mumienforschung von anderen Menschen aus der ägyptischen Bevölkerung berücksichtigt, die zeitgleich mit der Mumie mit dem bemalten Leichentuch lebten.

Sposta la linea verticale per evidenziare la ricostruzione facciale
© Viviana Conti, Lucrezia Rodella