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Kann man den Genderstern in andere Sprachen übersetzen?

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Kann man den Genderstern in andere Sprachen übersetzen?
Geschlechtergerechte KommunikationCredit: pixabay.com | All rights reserved

Geschlechtergerechtes Schreiben ist für viele Personen und Organisationen ein aktuelles Thema. In mehrsprachigen Situationen stellt sich die Frage des geschlechtergerechten Übersetzens. Die möglichen Ansätze dazu unterscheiden sich je nach Zielsprache und hängen von verschiedenen Übersetzungsfaktoren ab.

Der Gebrauch des Gendersterns ist eine verbreitete Strategie, um in deutschen Texten bewusst Personen aller Geschlechter anzusprechen. Es gibt auch andere Genderzeichen wie den Doppelpunkt (Gender-Doppelpunkt) und den Unterstrich (Gender-Gap). Das Genderzeichen wird vor der weiblichen Endung von Personenbezeichnungen eingeschoben (z. B. „Lehrerin“). Anders als das heute seltenere Binnen-I (z. B. „LehrerIn“) wollen Genderzeichen gezielt nicht nur weibliche und männliche, sondern auch nichtbinäre Personen sichtbar machen. Solche Strategien zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Benennungen im Wortinnern wurden vom Rat für deutsche Rechtschreibung (noch) nicht in das Amtliche Regelwerk aufgenommen.

Wie können Genderzeichen in andere Sprachen „übersetzt“ werden? Prinzipiell ist es Personen, die mit Genderzeichen schreiben, wichtig, dass sich alle Geschlechter mit angesprochen fühlen. Da es Genderzeichen in dieser Form in vielen Sprachen nicht gibt, ist ihre Übernahme im Zieltext oft nicht möglich. Erstrebenswert ist jedoch in vielen Fällen, dass der Zieltext ebenso geschlechtergerecht gestaltet ist. Unterschiedliche Sprachen bieten dafür unterschiedliche Lösungen.

In geschlechtsneutralen Sprachen wie Finnisch und Türkisch ergibt sich das Problem nicht. Die einzelnen Wortarten kennzeichnen das Geschlecht nicht. Es ist nicht möglich, an einem Satz zu erkennen, ob von einer weiblichen, männlichen oder nichtbinären Person gesprochen wird. Genderzeichen sind daher nicht notwendig. Die Übersetzung wird auf jeden Fall geschlechtergerecht sein.

In Sprachen mit natürlichem Geschlecht wie Englisch und Schwedisch kennzeichnen hauptsächlich die Personalpronomina das männliche (engl. he, schwed. han) bzw. weibliche Geschlecht (engl. she, schwed. hon). Im Wörterbuch der Schwedischen Sprachakademie findet sich seit einigen Jahren das geschlechtsneutrale Pronomen hen. Im Englischen hat sich für den Verweis auf nichtbinäre Menschen oder Personen unbekannten Geschlechts das „singular they“ etabliert. Beim Übersetzen können bei Bedarf diese Pronomina eingesetzt werden, um einen geschlechtergerechten Zieltext zu verfassen.

Schließlich gibt es Sprachen mit grammatischem Geschlecht wie Italienisch, Russisch und weitere romanische bzw. slawische Sprachen. Viele Wortarten haben verschiedene Formen und eine Reihe von Satzelementen werden nach dem Genus des Substantivs dekliniert. In einzelnen Sprachen wurden Strategien entwickelt, um bei Personenbezeichnungen auch nichtbinäre Menschen gezielt anzusprechen. Im Französischen gibt es beispielsweise den Mediopunkt, der ähnlich wie die deutschen Genderzeichen zwischen dem männlichen und weiblichen Suffix und zusätzlich vor der Pluralendung gesetzt wird (z. B. les maître·esse·s). Im Italienischen gibt es unter anderem das Suffix Schwa (z. B. lǝ maestrǝ neben weiblich la maestra und männlich il maestro, im Plural das lange Schwa lɜ maestrɜ). Keine der erwähnten Schreibungen ist amtlich anerkannt. In diesem Sinne gibt es eine Ähnlichkeit mit den Genderzeichen im Deutschen. Sie verfolgen außerdem dasselbe Ziel, nichtbinäre Personen miteinzuschließen und sichtbar zu machen. Allerdings sind sie außerhalb bestimmter Kreise teilweise weniger im Gebrauch als im deutschen Sprachraum.

In vielen Fällen bieten sich amtlich anerkannte Lösungen zur Neutralisierung wie Passivsätze, unpersönliche Sätze, Umformulierungen mit Relativsatz, Sachbezeichnungen anstelle von Personenbezeichnungen und Ähnliches. Es kann sogar vorkommen, dass das generische Maskulinum als inklusive Form empfohlen wird (vgl. neue Leitfäden zum geschlechtergerechten Formulieren der Schweizerischen Bundeskanzlei für Französisch und Italienisch).

Welche Lösungen sich für den jeweiligen Text und für die jeweilige Zielsprache eignen, sollte von Fall zu Fall anhand verschiedener Faktoren erwogen werden. Wichtig sind dabei vor allem die Intention der Schreibenden, die Zielgruppen und deren Erwartungen, die Textsorte, das Publikationsmedium und etwaige interne Richtlinien.

Elena Chiocchetti

Elena Chiocchetti

Elena is a researcher in terminology and translation with an interest in smaller and minority languages. Normally she’s the one who asks the language-related questions…

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Citation

https://doi.org/10.57708/b148577476
Chiocchetti, E. Kann man den Genderstern in andere Sprachen übersetzen? https://doi.org/10.57708/B148577476

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