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Traditionelle Bewässerung auf der Malser Haide

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Traditionelle Bewässerung auf der Malser Haide
Ein ausgehöhlter Lärchenstamm als Wasserleitung: Kandlwaal - © Gianni Bodini

Es ist Anfang Mai. Ich wandere über die Malser Haide nach Burgeis. Am Himmel singen die Lerchenmännchen, um ihr Revier anzuzeigen. Sie erinnern mich an die Bedeutung dieses weitläufigen Geländes für die Wiesenbrüter, zu denen auch Wachtelkönig und Braunkehlchen gehören. Aber nicht nur deshalb laufe ich wohl besser nicht querfeldein – zu groß ist die Gefahr, dass ich nasse Füße bekomme. Denn vor wenigen Tagen ist das Wasser in die Waale eingekehrt worden.

Verabredet bin ich mit Roland Peer vom Heimatpflegeverein Mals, um mit ihm über das System der Waale im Vinschgau und insbesondere auf der Malser Haide zu sprechen.

„Das Waalwesen reicht geschichtlich gesehen schon sehr weit zurück, denn die Landwirtschaft im Vinschgau war als Trockental schon immer von der Bewässerung abhängig. Das Amt des Waalers ist bereits in Urkunden des 14. Jahrhunderts genannt“ erklärt er mir zur Begrüßung. „Und dennoch: Wir gehen davon aus, dass das hiesige Waalsystem weitaus älter ist und Formen künstlicher Bewässerung schon in vorchristlichen Zeiten üblich waren.“

Dabei ist das Waalwesen auf der Malser Haide untrennbar in die Grünlandbewirtschaftung integriert. Tatsächlich entsprechen System und praktizierte Techniken in ihren Grundprinzipien noch denjenigen, die vor Hunderten von Jahren üblich waren. Wie ehedem dient die Wiesenbewässerung in erster Linie der Steigerung des Ertrags, heute im Wesentlichen des Winterfutters für die Milchkühe.

Verantwortungsvoller Job: ein Waaler bei der Arbeit © Gianni Bodini

Dieses weitgehend unveränderte, aktive Weiterbestehen des Systems ist umso beeindruckender, als inzwischen die Mehrzahl der Waale in Südtirol stillgelegt worden ist. 1939 zählte man im Vinschgau noch 235 größere Waale mit einer Gesamtlänge von rund 600 Kilometern, die sagenhafte 10.000 Hektar Fläche bewässerten. Heute sind die meisten von ihnen durch Druckrohrleitungen ersetzt worden – denn ja: Unterhalt und Pflege des Waalsystems sind aufwändig. Und Personal hierfür zu finden, ist nicht einfach.

Ein Job mit viel Verantwortung

„Auf der Malser Haide sind aktuell zwei Waaler im Einsatz, beides Pensionisten“, erklärt mir Roland. „Der Waaler war früher ein von den Bauern hochgeschätzter Mann – heute müssen sie froh sein, wenn sie überhaupt jemanden finden, der diese verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen möchte.“ Immerhin liegt es in der Verantwortung des Waalers, die Road, die gerechte Verteilung des Wassers, auf den insgesamt 400 Hektar mit ihren 1200 Parzellen zu organisieren – damit keiner der 350 Besitzer benachteiligt wird. Es handelt sich um ein außerordentlich fein austariertes System, das sehr auf Gerechtigkeit bedacht ist – und trotzdem, oder gerade deswegen, seit Jahrhunderten funktioniert.

„Allerdings dürfte sich das Konfliktpotential um das rare Gut Wasser in den kommenden Jahrzehnten erhöhen“, merkt Roland an. In den vergangenen Wochen hat es immerhin mal wieder etwas Niederschlag gehabt, aber insgesamt waren sowohl Winter als auch Frühjahr erschreckend trocken. Und mit dem fortschreitenden Klimawandel verschärft sich unsere Wasserknappheit zunehmend. Wie tragfähig das Waalsystem unter diesen veränderten Bedingungen dann noch ist, wird sich zeigen.“

Waale gibt’s natürlich nicht nur auf der Malser Haide: hier im Schlandrauntal © Gianni Bodini

Gemeinsam fahren wir zur Fassungsstelle des Töschgwaal am Haider See und auf die Malser Haide. Erst hier wird mir klar, wie ausgeklügelt dieses Bewässerungssystem tatsächlich ist. Wie genau man die Topografie kennen und verstehen muss, um eine gerechte Verteilung des Wassers bei bestmöglicher Ausnutzung des Reliefs zu garantieren. Und noch etwas wird deutlich: dass Waale wertvolle und artenreiche Kultur-Biotope darstellen. An ihren Rändern nämlich wächst eine spezifische Begleitvegetation, aktuell Sumpfdotterblumen und Vergissmeinicht, die wir auf den Wiesen abseits der Waale nicht beobachten.

„Mit der UNESCO-Nominierung als Immaterielles Kulturerbe verbinden wir vor allem den Wunsch, dass die Grünlandwirtschaft auf der Malser Haide auch weiterhin und langfristig bewahrt werden kann – trotz des enormen Nutzungsdrucks.“

Roland Peer, Heimatpflegeverein Mals
Waalschelle © GIanni Bodini

Die grenzüberschreitende UNESCO-Nominierung: ein Panorama traditioneller Bewässerungsformen in Europa

Aktiv bewirtschaftete Bewässerungssysteme existieren heute noch überall in Europa: von den Wässermatten in Oberaargau über die ‚Grote Waterin‘ im belgischen Lommel, die Fléizen-Tradition in Luxemburg und die Rieselbewässerung im Tiroler Oberland bis hin zu den Wässerwiesen in Franken, den niederländischen Pelterheggen und vielen weiteren.

Einen Teil dieser Vielfalt abzubilden und als unser aller Kulturerbe zu deklarieren: Hierauf zielt das grenzüberschreitende Projekt zur Nominierung der traditionellen Bewässerung als immaterielles Kulturerbe der UNESCO. Mit Belgien, Deutschland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz sind hieran sieben Länder beteiligt.

Und was verspricht man sich im Obervinschgau von einer offiziellen UNESCO-Auszeichnung? „Worum es nicht geht, sind die einzelnen Waale als ‚Bauwerke‘, als materielles Erbe“, erklärt mir Roland. „Vielmehr steht die Bewahrung des Systems, des dahinterstehenden Wissens, im Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Wir möchten ein größeres Bewusstsein schaffen für die Besonderheiten und den hohen Wert dieses Systems, das zwar arbeitsintensiv ist, aber keinesfalls leichtfertig aufgegeben werden sollte. Eine offizielle Anerkennung durch die UNESCO kann motivierend wirken, die Grünlandwirtschaft auf der Malser Haide auch weiterhin und langfristig zu bewahren – trotz des enormen Nutzungsdrucks. Und nicht zuletzt hoffen wir auch, dass die internationale Auszeichnung möglicherweise wieder zu einer Senkung der letzthin stark erhöhten Wassernutzungsgebühren für das so wertvolle wie rare Gut Wasser führen wird.“

Dieser Blogbeitrag ist Teil einer Serie zur Ausstellung "Hüter der Vielfalt". Diese wird im Rahmen des Interreg Italien-Schweiz-Projekts „Living Intangible Cultural Heritage“ unter der Leitung von Eurac Research realisiert. Es handelt sich um eine Wanderausstellung, die vom 15. Juli bis 14. Oktober 2022 im Vinschgau und der Val Mustair stattfindet. Projektpartner sind die Region Lombardei, die Region Aostatal und Polo Poschiavo.

Die Wanderausstellung wird an folgenden Orten gezeigt:

  • 15.–31. Juli 2022: Karthaus, Kreuzgang der Kartause Allerengelberg
  • 06.-07. August 2022: auf dem Festival „Marmor und Marillen" in Laas
  • 03.–18. September 2022: auf den Palabiratagen in Glurns
  • 02.–14. Oktober 2022: auf dem Erntedankfest und in der Chasa Jaura in Valchava
Ricarda Schmidt

Ricarda Schmidt

Ricarda Schmidt arbeitet am Institut für Regionalentwicklung zur großen Vielfalt der Thematik ‚Lebendiges Kulturerbe‘.

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https://doi.org/10.57708/b122239407
Schmidt, R. Irrigazione tradizionale sulla Muta di Malles: sapere, tecnica, organizzazione. https://doi.org/10.57708/B122239407

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