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Erstversorgung aus der Luft

Eurac Research und Bergrettung Südtirol erproben in der Bletterbachschlucht den Einsatz von Drohnen für Noteinsätze

© Eurac Research
by Sigrid Hechensteiner

In den letzten Monaten hat es immer wieder Forschungsteams aus der Notfallmedizin, Bergrettung, Drohnen- und Elektrotechnik in die Bletterbachschlucht verschlagen, um Rettungseinsätze zu simulieren. Sie gingen im Zuge des interregionalen Forschungsprojekts START der Frage nach, ob Drohnen bei der Lokalisierung und Erstversorgung von Verletzten in schwer zugänglichem Gelände helfen können.

Acht Kilometer lang und bis zu 400 Meter tief gräbt sich die Bletterbachschlucht bei Aldein (Südtirol) ins Dolomitgestein. Die Homepage des UNESCO-Welterbes wirbt mit einer Reise durch 40 Millionen Jahren Erdgeschichte. Dem Aufruf folgen jährlich an die 50.000 Besucher. Für die Erkundung der Schlucht ist festes Schuhwerk und Helm Voraussetzung. Sie führt über Gesteinsbrocken, Geröll, umgeknickte Baumstämme und Wurzeln, mal durch eine enge Schlucht mit steilen Felswänden mal durch ein breiteres Tal mit flacheren Sedimenthängen, aber immer entlang – mal links mal rechts - des Bletterbachs, der - je nach Niederschlag – durch das Bachbett mäandert.

Das Gelände ist einzigartig, nicht nur für Geologen, Naturliebhaber und Touristen. Im Zuge des interregionalen Forschungsprojekts START hat es neulich Notfallmediziner, Bergretter, Drohnenpiloten und Elektrotechniker hierher verschlagen. Zu Übungszwecken. „Hier ist es nämlich besonders schwierig, Verletzte zu lokalisieren“, erklärt Michiel van Veelen, Notfallmediziner von Eurac Research: „Das Gelände ist schwer zugänglich – und zudem haben Mobiltelefone hier keinen Empfang“. Perfekte Voraussetzungen also, um den Einsatz von Drohnen bei der Auffindung und Erstversorgung von Verletzten in schwer zugänglichem Gelände zu testen. Von Herbst 2020 bis Frühsommer 2021 hat das START-Team 24 Einsätze an unterschiedlichen Orten simuliert – mal im Geröllfeld am Ende der Schlucht, mal am Fuße eines Steilhangs am Eingang der Schlucht. Es handelt sich um Locations, an denen sich laut Unfallberichten der Südtiroler Bergrettung in den vergangenen 10 Jahren, tatsächlich Unfälle – Schulterläsionen, Knochenbrüche, Platzwunden - ereigneten.

Uno dei primi test con droni utilizzati per le operazioni di emergenza. Il test si è svolto nel 2021 all’interno del progetto Start, nella gola del Bletterbach. © Eurac Research

Alle Rettungseinsätze starten im Besucherzentrum Geopark Bletterbach, wo START sein Forschungszelt aufgebaut hat. Hier werden unter lautem Brummen Drohnenbatterien aufgeladen, Daten in Computer eingespeist, die Teams der Bergrettung Südtirol gebrieft, Funkgeräte ausgehändigt und alle Beteiligten verkabelt – vom Drohnenpiloten über die Bergretter bis zum simulierten Verunglückten. Während der Einsätze werden nämlich die Vitalfunktionen der Mannschaft aufgezeichnet: Herz- und Atemfrequenz, Hauttemperatur und EKG Kurve. „Die Daten liefern uns Auskunft über den Stress, dem alle ausgesetzt sind“, erklärt Giacomo Strapazzon, Notfallmediziner von Eurac Research. „Wir wollen wissen, ob drohnengestützte Rettungseinsätze den Beteiligten ein größeres, auch physisch wahrgenommenes Gefühl der Sicherheit geben.“ Zur psychischen Bewertung müssen die Bergretter vor und nach erfolgtem Einsatz einen Fragebogen ausfüllen.

Der Notruf trifft per Funk ein. Ort: Beginn der Bletterbachschlucht, steile Felswand, großer Gesteinsbrocken im Flussbett. Verletzung: Läsion am Fuß. Die Bodentruppe rennt in den Canyon, der Drohnenpilot wird zum Aussichtspunkt oberhalb der Schlucht gefahren und startet von dort seinen Lokalisierungsflug. Drohnenpilot und Bodentruppe sind in ständigem Funkkontakt. Es dauert keine vier Minuten und der Drohnenpilot hat mit der hochauflösenden Kamera am Fluggerät den Verletzten und seine zwei Begleiter lokalisiert. Er gibt die Koordinaten an die Bodentruppe weiter. Neben der Kamera transportiert die Drohne auch ein kleines Lastenpaket mit Funkgerät, einer Thermodecke, Masken, Handschuhen und Medikamenten für die Erstversorgung. Es wird keine 10 Meter vom Unfallort abgeworfen, ein kleiner Fallschirm bremst den freien Fall. Als große Vorteile eines Drohneneinsatzes nennt Giacomo Strapazzon zum einen die deutlich schnellere Lokalisierung der Unfallstelle, zum anderen den Einsatz von Telemedizin. Denn wenn das Paket erst einmal beim Verletzten angekommen ist, können die Begleiter schon mit der Erstversorgung beginnen. Anweisungen erhalten sie von den Bergrettern über das Funkgerät. Selbst bei leichteren Verletzungen kann die Telemedizin entscheidend sein. Strapazzon: „Die Bletterbachschlucht ist auch im Sommer um einige Grad kälter als die umliegende Durchschnittstemperatur. Da kann ohne Thermodecke sehr schnell eine gefährliche Unterkühlung eintreten. In Zeiten von Covid-19 ist es auch hilfreich, wenn der Verletzte schon Maske und Handschuhe trägt, bevor die Bodentruppe einlangt.“ Das seien lauter Kleinigkeiten, die zusammengenommen jedoch den Einsatz effizienter und schneller machen, so Strapazzon weiter, das zeichne sich schon nach den 24 Testläufen ab.

In den nächsten Monaten gilt es, Datensätze auszuwerten: Wie lange dauerte es jeweils bis zur Auffindung? Welchen Einfluss hatte die verstrichene Zeit auf die Vitalfunktionen? Auf die Selbsteinschätzung im Fragebogen?

Bei dem Projekt geht es aber nicht nur um notfallmedizinische Forschung und darum, Bergrettungseinsätze zu verbessern: Die beteiligten Elektroingenieure hoffen auch, die Sensoristik von Rettungsdrohnen weiterzuentwickeln. Abraham Mejia-Aguilar und Giulio Bianco von Eurac Research arbeiten an einem Sensor, ähnlich jenen, die bei Lawineneinsätzen verwendet werden, und nutzen dabei die Drohne als Plattform. Sie sind überzeugt, dass in den nächsten Jahren durch Drohnen Verunfallte schneller geortet werden, damit Material transportiert werden kann und die Telemedizin vorangetrieben wird. Voraussetzung seien allerdings gute Witterungsbedingungen, denn bei Schneesturm, Regen oder zu starkem Wind können Drohnen nicht abheben. Eine der Testreihen in der Bletterbachschlucht erfuhr eine kleine Zeitverzögerung, als ein Regenschauer einsetzte. Die Bodentruppen hat das Wetter hingegen nicht aufgehalten.

Neue Technologien für die Bergrettung


Das Interreg V-A Italia-Österreich Projekt START (Smart Test for Alpine Rescue Technology) fördert die Zusammenarbeit der grenznahen Ortsstellen der Bergrettungen Tirol, Südtirol, Belluno und Kärnten. Bei den Einsätzen werden neue Technologien und Techniken der Bergrettung verglichen und analysiert, mit dem Ziel, internationale Notfalleinsätze laufend zu verbessern. Bei den START Testreihen in der Bletterbachschlucht haben mitgewirkt: Eurac Research, Bergrettung Südtirol, Geopark Bletterbachschlucht, NOI Techpark und die Firma MAVtech.

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