magazine_ Interview
Unter derselben Sonne
Auf landwirtschaftlichen Flächen zugleich Nahrungsmittel anzubauen und Energie zu erzeugen ist möglich und rentabel – und es ist die Zukunft. Der Photovoltaikexperte David Moser erklärt warum.
Bei der Agri-Photovoltaik werden Anbauflächen zur Erzeugung von Solarenergie genutzt. Im Obstbau heißt dies, dass auf Metallstrukturen installierte Photovoltaikmodule die Bäume überdachen – unten wachsen Früchte, oben wird Strom erzeugt. Die Agri-PV-Anlage spendet den Pflanzen zudem Schatten und kann Sensoren zum Monitoring von Umweltdaten aufnehmen.
Agri-Photovoltaik ist kein neues Konzept: Die Technologie wurde schon vor etwa zehn Jahren entwickelt. Heute ist sie einer der vielversprechendsten Bereiche in der Forschung zu erneuerbaren Energien. Wie erklärt sich dieses Comeback?
David Moser: Europa will bis 2050 ein emissionsfreier Kontinent werden. Um diesem Ziel auch nur näher zu kommen, muss der Anteil von Energie aus erneuerbaren Quellen drastisch steigen, und zumindest in Italien wird die wichtigste Quelle Solarenergie sein. Noch gibt es Platz auf den Dächern, aber mit der derzeitigen Installationsrate sind die ehrgeizigen Ziele wohl kaum zu erreichen. Für Freiflächenanlagen wiederum ist die Verfügbarkeit geeigneter Flächen begrenzt – wegen der Topographie oder der touristischen Nutzung vieler Gebiete. Warum also nicht landwirtschaftliche Flächen doppelt nutzen?
Welche Aspekte sollte ein landwirtschaftlicher Betrieb berücksichtigen, bevor er sich für eine Photovoltaikanlage über den Anbauflächen entscheidet?
David Moser: Wer sich für eine Photovoltaikanlage auf landwirtschaftlichen Flächen entscheidet,sollte als vorrangiges Ziel jedenfalls nicht die Stromproduktion allein im Blick haben. Agri-PV-Systeme müssen für die jeweilige Kultur einen Zweck erfüllen – bei bestimmten Kulturen kann beispielsweise eine Reduzierung der Sonneneinstrahlung von Vorteil sein. In die Anlagen können auch Hagelschutzsysteme oder Regenwassersammelanlagen sowie verschiedene Arten von Umweltsensoren integriert sein. Doch natürlich bedeutet die Möglichkeit, Strom zu erzeugen, für die landwirtschaftlichen Betriebe einen großen Vorteil, auch im Hinblick auf die Deckung des höheren Verbrauchs, der durch die Elektrifizierung von Transportmitteln und Produktionsprozessen entsteht.
Vor welchen Herausforderungen steht die Agri-Photovoltaik, und wie kann die Forschung dazu beitragen, dass das Konzept sich etabliert?
David Moser: Die Anlagen müssen so gestaltet sein, dass Photovoltaik und Landwirtschaft eine symbiotische, also für beide Seiten vorteilhafte Beziehung eingehen können. Zunächst einmal müssen die Anlagen wirtschaftlich rentabel werden. Wir brauchen standardisierte Lösungen, die Photovoltaikmodule, Befestigungsstrukturen und einfache Betriebs- und Wartungssysteme umfassen, und die an die Bedürfnisse der verschiedenen Kulturen in unterschiedlichen Klimazonen und Landschaften angepasst werden können. Genau daran werden wir in einem Mitte Januar gestarteten großen EU-Projekt vier Jahre lang arbeiten, gemeinsam mit international renommierten Unternehmen und Forschungszentren. Im Rahmen dieses Symbiosyst-Projekts werden wir innovative Lösungen entwickeln und sie in vier landwirtschaftlichen Szenarien testen, die sich in Bezug auf Standort, Klima, Größe und Art der Kulturen unterscheiden (in Südtirol, Spanien und den Niederlande).
In Südtirol werden wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen vom Versuchszentrum Laimburg zwei Pilotanlagen installieren, eine auf einer neu angelegten Apfelwiese und die andere auf einer bestehenden, produktiven Apfelwiese. Auf diese Weise können wir die beiden Wirkungen vergleichen. Die Forschenden des Versuchszentrums Laimburg verfügen bereits seit Jahren über eine Agri-PV-Anlage, deren Funktion sie ständig überwachen.
Gemeinsam mit dem Südtiroler Bauernbund werden wir untersuchen, was die Bedürfnisse der landwirtschaftlichen Betriebe sind, und wie man die Betriebe dabei unterstützen kann, Für und Wider einer solchen Investition abzuwägen.
Um die Projektziele zu erreichen, arbeiten Partner mit langjähriger Erfahrung in den Bereichen Landwirtschaft, Technologie, integrierte Photovoltaik-Anwendungen, aber auch soziale Akzeptanz und partizipative Methoden zusammen.
Es ist wichtig zu erklären, dass Agri-Photovoltaik in verschiedenen Kontexten eingesetzt werden kann und sich harmonisch in die Landschaft einfügt.
David Moser
Wie steht es um die gesellschaftliche Akzeptanz solcher Anlagen?
David Moser: Es ist wichtig, die Akzeptanz in der Bevölkerung und das Interesse an Agri-Photovoltaik-Lösungen zu fördern, um Missverständnissen vorzubeugen. Es gilt zu erklären, dass diese Technologie in verschiedenen Kontexten eingesetzt werden kann und sich harmonisch in die Landschaft einfügt; nur so kann man auch Investitionen anregen.
Das Projekt
Symbiosyst
SYMBIOSYST ist eine vom Programm Horizont Europa (Grant Agreement Nr. 101096352) finanzierte Innovationsmaßnahme, die im Januar 2023 anläuft und zum Ziel hat, zugleich den Herausforderungen der Energieversorgung und den Bedürfnissen des Agrarsektors gerecht zu werden und zwischen Photovoltaik und Landwirtschaft eine für beide Seiten vorteilhafte Beziehung zu schaffen. Eurac Research koordiniert das Projekt; die beteiligten Südtiroler Partner sind das Versuchszentrum Laimburg und der Südtiroler Bauernbund.
Im Rahmen des Projekts werden technologische Lösungen und Strategien entwickelt, um die Wettbewerbsfähigkeit von Photovoltaik-Lösungen für die Landwirtschaft in Europa zu erhöhen und gleichzeitig die Auswirkungen auf die Landschaft und die Umwelt zu minimieren. Es sind vier Pilotanlagen geplant, eine davon in Südtirol auf dem Gelände des Versuchszentrums Laimburg.
Das Projekt, an dem 17 Partner beteiligt sind, verfügt über ein Gesamtbudget von rund fünf Millionen Euro.