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Publizieren ist nicht alles

Eurac Research feiert offene Wissenschaft

Sigrid Hechensteiner
Credit: Eurac Research | Sigrid Hechensteiner

Zum zweiten Mal zeichnet der Open Research Award wissenschaftliche Arbeit aus, die dazu beiträgt, Forschung kollaborativer und transparenter zu machen, sie enger mit der Gesellschaft zu vernetzen. Die Expertinnen Maria Bellantone und Liise Lehtsalu erklären, was erreicht wurde, welche Aufgaben anstehen – und warum Fachartikel nicht der einzige Maßstab zur Bewertung von Forschung sein sollten.

Offene Wissenschaft hat viele Aspekte: Daten zu teilen und Methoden offenzulegen gehört dazu, aber auch die Teilhabe der Gesellschaft. Gibt es eine allgemein akzeptierte Definition?

Maria Bellantone: Nein – es werden viele verwendet. Aber in allen steckt der gleiche Kern zentraler Werte. Kooperation ist einer davon: Zusammenarbeit innerhalb von Disziplinen, über Disziplingrenzen hinweg – auch mit anderen Wissenssystemen, mit Interessengruppen und Laien. Ihnen möchte man nicht mehr nur Ergebnisse mitteilen: Man sucht nach Möglichkeiten, sie in den Prozess, der neues Wissen hervorbringt, einzubeziehen. Inklusivität ist also auch ein wichtiger Wert. Zugänglichkeit ist ein anderer: Wenn Wissenschaft transparent sein soll, müssen auch die Methoden und Daten offengelegt werden, nicht nur das Endergebnis. Damit sind auch die Methoden, die Protokolle, die Daten, der Quellencode, die Materialien wertvolle Ergebnissen von Forschung, und auch sie sollten für alle zugänglich sein. Open Science geht also weit über das ursprüngliche Konzept des offenen Zugangs zur wissenschaftlichen Literatur – Open Access – hinaus.

In Bezug auf Open Science ist manchmal von „Revolution“ die Rede.

Liise Lehtsalu: Evolution ist der treffendere Begriff, finde ich. Wissenschaft hat sich immer weiterentwickelt. Die Hinwendung zur offenen Wissenschaft geschieht auch nicht in einem Vakuum, sondern im Kontext der Digitalisierung, in einer zunehmend vernetzten Welt. Ein wichtiger Faktor ist auch: Die Menge an Forschungsdaten, die laufend produziert werden, hat enorm zugenommen. Die Verwaltung dieser Daten stellt also neue Anforderungen an die Forschenden; sie muss genauer geplant sein, kontinuierlich und konsequent geschehen. Das alles verlangt eine andere Herangehensweise, ein neues Bewusstsein.

Solange wir die Arbeit von Forschenden nur nach ihren veröffentlichten Fachartikeln bewerten, werden alle ihre Bemühungen darauf ausgerichtet sein, den nächsten Peer-reviewed Artikel herauszubringen.

Liise Lehtsalu

Hat sich das in der Wissenschaftsgemeinschaft auf breiter Basis durchgesetzt oder gibt es auch Vorbehalte?

Lehtsalu: Ich habe den Eindruck ist, dass wir langsam an den Punkt gelangen, wo die meisten Forschenden von offener Wissenschaft gehört haben, ihre Bedeutung anerkennen und sie so oft wie möglich praktizieren. Konnte man früher noch Unterschiede zwischen Disziplinen und Generationen feststellen, so trifft dies nach neueren Studien nicht mehr unbedingt zu: Heute engagieren sich viele ältere Forscher und Forscherinnen ebenso für offene Wissenschaft wie jüngere.

Bellantone: Eine wichtige Rolle haben hier auch forschungsfördernde Institutionen, die Open Science befürworten und vorantreiben. Die Europäische Kommission etwa hat Praktiken der offenen Wissenschaft in ihrer Förderpolitik verankert. Wer von solchen Geldgebern finanziert wird, muss sich diese Praktiken also zwangsläufig zu eigen machen. Falls etwas die Forschenden hemmt, ist das nicht mangelnde Bereitwilligkeit oder Skepsis, sondern der Arbeits- und Zeitaufwand: Forschungsdaten zu verwalten und sie so aufzubereiten, dass sie auch von anderen genutzt werden können, erfordert beispielsweise viel Zeit und Fachwissen.

Lehtsalu: Hier kommt noch ein wichtiger Aspekt ins Spiel: Anerkennung. Solange wir die Arbeit von Forschenden nur nach ihren veröffentlichten Fachartikeln bewerten und nicht berücksichtigen, ob sie Daten kuratieren, oder die Gesellschaft in ihre Forschung einbeziehen – etwa durch Citizen Science Projekte, die auch enorm viel Zeit in Anspruch nehmen – , solange kann man von Forschenden auch nicht erwarten, dass sie diese Zeit investieren: Alle ihre Bemühungen werden darauf ausgerichtet sein, den nächsten Peer-reviewed Artikel herauszubringen. Auch hier gilt, dass offene Wissenschaft, trotz all ihrer Werte, nicht in einem Vakuum existiert.

Hat Eurac Research deshalb den Open Research Award ins Leben gerufen?

Bellantone: Ja, wir möchten Forschenden, die mit ihrer Arbeit beitragen, Wissenschaft offener zu machen, Anerkennung zeigen. Gleichzeitig ist es eine Aufforderung an sie, ihren Forschungszyklus zu überdenken und zu überlegen, wo sich schon Open-Science-Praktiken finden bzw. wo sie eingebaut werden könnten. Auf europäischer Ebene gibt es eine wichtige Initiative, die Leistung von Forschenden umfassender zu bewerten, als nur quantitativ und auf der Grundlage von Publikationskennzahlen, die Coalition for Advancing Research Assessment (CoARA). Im Kleinen können auch wir Schritte in diese Richtung tun und damit einen kulturellen Wandel fördern.

Lehtsalu: Was diese kulturelle Veränderung angeht, so hat sie noch eine Komponente. Wir fordern die Forschenden auf, über ihren Forschungsprozess nachzudenken, und dadurch wird ihnen oft überhaupt erst bewusst, dass sie Praktiken offener Wissenschaft anwenden.

Im Jahr 2022 waren mehr als 70 Prozent der Peer-reviewed Artikel unserer Forschenden frei zugänglich.

Maria Bellantone

Der Open Research Award ist eine schöne Gelegenheit, wichtige Forschungsarbeit ins Rampenlicht zu rücken. Auf welche Weise fördert Eurac Research offene Wissenschaft noch?

Bellantone: Seit 2018 haben wir eine Open-Access-Policy, deren Erfolg sich unter anderem darin zeigt, dass 2022 mehr als 70 Prozent der Peer-reviewed Artikel unserer Forschenden frei zugänglich waren. Seit 2021 verfügt Eurac Research zudem über einen Open-Access-Fonds für den Fall, dass Forschende keine alternativen Finanzierungsquellen für ihre Publikationen, einschließlich ihrer Bücher, haben. Ein weiteres wichtiges Element dieser Strategie ist das Bolzano Institutional Archive (BIA), unser Online-Archiv, in dem nicht nur wissenschaftliche Artikel und Bücher, sondern auch andere Arbeiten, beispielsweise wissenschaftliche Projektberichte publiziert werden, für die das BIA sowohl als Veröffentlichungs- als auch als Vertriebsplattform dient: Dank eines hochmodernen digitalen Archivsystems sind die Inhalte offen und auffindbar.

Lehtsalu: Hier ist wirklich eine Kultur entstanden. Sie zeigt sich beispielsweise auch darin, dass Eurac Research Mitglied des italienischen Reproducibility Networks ist, dessen Ziel es ist, die Vertrauenswürdigkeit und Transparenz der wissenschaftlichen Forschung zu erhöhen; und die Initiative dazu ging nicht vom Research Support aus, sondern von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Auf diese Kultur konnte die zweite Open Science Strategie bauen, die wir gerade ausgearbeitet haben, unsere „Research Data and Source Code Management Policy“. Sie fußt auf der Überzeugung, dass auch Forschungsdaten und Forschungssoftware wertvolle Ergebnisse unserer Arbeit sind, und sie soll sicherstellen, dass Daten und Quellcodes im Einklang mit internationalen Best Practices verwaltet werden. Diese Grundsätze wurden in den vergangenen zwei Jahren im engen Austausch mit allen Instituten und Centern entwickelt. Jetzt aber beginnt der schwierige Teil: die Umsetzung.

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Die Gewinner des Open Research Award 2023.Credit: Eurac Research | Annelie Bortolotti
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Die Gewinner des Open Research Award 2023.Credit: Eurac Research | Annelie Bortolotti
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Die Gewinner des Open Research Award 2023.Credit: Eurac Research | Annelie Bortolotti

Das heißt?

Lehtsalu: Forschende sind keine Datenmanager und keine Data Stewards. Sie sind Forschende, und deshalb brauchen sie oft nicht nur Anleitung, sondern auch tatkräftige Unterstützung. Und so müssen wir jetzt auch das unterstützende System schaffen, um das Ziel FAIRer Daten – also Daten, die auffindbar (Findable), zugänglich (Accessible), interoperabel (Interoperable) und wiederverwendbar (Reusable) sind – Wirklichkeit werden zu lassen. Zum Beispiel brauchen wir FAIRe Repositorien für Daten. Bisher haben wir zwei solche hauseigenen Repositorien, aber sie sind disziplinspezifisch: das Environmental Data Portal und das Eurac Research CLARIN Center für Linguistikdaten. Und auch die CHRIS-Biobank ist in Einklang mit den FAIR-Grundsätzen. Aber wir haben noch viel Arbeit vor uns. Wir brauchen Fachleute, die dabei helfen, Rohdaten in einen strukturierten Datensatz mit guten Metadaten zu verwandeln und ihn in interoperablen Formaten in diesen Repositorien zu hinterlegen, wo die Daten dann gefunden, abgerufen und in Zukunft immer wieder verwendet werden können.

Was dann auch im Sinne der Nachhaltigkeit ist?

Bellantone: Natürlich. Wenn mit hohem Aufwand erhobene Daten zur Weiter- und Nachnutzung anderen Forschenden zur Verfügung gestellt werden, spart dies Ressourcen. Das Problem des research waste – verschwendeter Forschungsanstrengungen– könnte damit reduziert werden.

Lehtsalu: Wir haben anfangs von den Werten gesprochen, die den Kern von Open Science ausmachen: Nachhaltigkeit gehört auch dazu. Einer der zehn Schwerpunkte im Eurac Research Sustainability Plan sind die Forschungsdaten.

Maria Bellantone und Liise Lehtsalu

Maria Bellantone hat in Italien Chemie und Biotechnologie studiert und am Imperial College London in Materialwissenschaften promoviert. Sie war in Großbritannien und in den Niederlanden im wissenschaftlichen Verlagswesen tätig. Seit 2020 lebt sie in Bozen und arbeitet im Research Support Office von Eurac Research.

Liise Lehtsalu ist Historikerin und promovierte zur Geschichte der Frauen in der frühen Neuzeit. Seit 2015 arbeitet sie im Research Support Office von Eurac Research, wo sie sich mit offener Wissenschaft und allgemein mit verantwortungsvoller Forschung und Innovation beschäftigt.

Der Open Research Award


Der Open Research Award würdigt die Arbeit von Forschenden, die sich aktiv dafür einsetzen, die Forschung kollaborativer und gerechter zu machen und den Austausch und die Verbreitung von Wissen zu verbessern.

Die Gewinner des Open Research Award 2023 sind:

Montagne vitali

Team: Federica Maino, Federica Benatti, Renzo Provedel.

Im Projekt „Montagne vitali“ wurde gemeinsam mit der gesamten Dorfgemeinschaft von Tre Ville, einer Gemeinde mit 1.374 Menschen im westlichen Trentino, ein lokaler Entwicklungsplan ausgearbeitet. Das Forschungsteam arbeitete mit der Bürgerschaft, der Verwaltung und der lokalen Wirtschaft zusammen, um die Dorfgemeinschaft zur aktiven Protagonistin ihrer Entwicklung zu machen und ihr Instrumente an die Hand zu geben, um sich ihrer Identität und Werte klarer bewusst zu werden und ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Jury-Mitglied Sarahanne Field von der Universität Leiden kommentiert: „Das Projekt folgt den Grundsätzen der Verantwortung, des Respekts und der Rechenschaftspflicht, mit einem starken Fokus auf Zusammenarbeit, Partizipation und Inklusion.“

Eurac Research Biobank

Team: Alessandro De Grandi + Institut für Biomedizin.

Biologische Proben und Daten aus der CHRIS-Studie, der großen Bevölkerungsstudie des Instituts für Biomedizin im Vinschgau, werden in einer Open-Source-Biobank am Krankenhaus in Bozen gelagert. Sie stehen allen Forschenden zur Verfügung, deren Forschungsvorhaben vom Zugriffsausschuss akzeptiert werden. Die Daten in der Biobank dienen auch dem lokalen Gesundheitssystem, das daraus Informationen für die Gestaltung der Gesundheitspolitik gewinnt. Jury-Mitglied Barbara Heinisch von der Universität Wien erklärt: „Die Datenbank ermöglicht Transparenz und Reproduzierbarkeit. Der sorgfältige Umgang mit den Daten der Studienteilnehmer- und teilnehmerinnen zeugt vom Verantwortungsbewusstsein der Forscher.“ Für weitere Informationen.

Alpine Drought Observatory

Team: Peter Zellner, Rufai Balogun, Mohammad Alasawedah, Michele Claus, Bartolomeo Ventura, Alexander Jacob (Institut für Erdbeobachtung), Thomas Iacopino (Communication), Luca Cattani (ICT), Andrea Vianello (Center for Sensing Solutions), Giacomo Bertoldi (Institut für alpine Umwelt).

Das Alpine Drought Observatory ist ein Online-Portal, das anhand von Karten und Grafiken einen Überblick über die Trockenheit im Alpenraum und die Entwicklung im Laufe der Zeit gibt. Es umfasst Satelliten-, meteorologische und hydrologische Daten aus allen Alpenländern, die harmonisiert und in hoher Auflösung optimiert wurden. Barbara Heinisch: „Der Fokus liegt klar auf offenen Daten, offenem Code, einer offenen virtuellen Wissenschaftsinfrastruktur. Die Plattform gewährleistet einen kollektiven Nutzen für Forschende und andere Akteure, einschließlich der Öffentlichkeit. Sie ermöglicht die interdisziplinäre Wiederverwendung und nachhaltige Speicherung von Daten.“ Peter Zellner im Interview über offene Wissenschaft:https://www.eurac.edu/de/magazine/gemeinsam-in-der-cloud-open-science-in-der-fernerkundung

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