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Kann die Wissenschaft den Alpinismus erklären?

Schon immer haben Studien über die menschliche Physiologie große bergsteigerische Leistungen flankiert und versucht, ihre Grenzen vorherzusagen. Sie wurden oft durch Fakten widerlegt.

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Der Arzt Chris Pizzo, Mitglied der American Medical Research Expedition to Everest (AMREE), nimmt auf dem Gipfel des Mount Everest Proben seiner ausgeatmeten Luft. Es ist das Jahr 1981.

© American Physiological Society

by Giovanni Blandino

In den 1950er Jahren nahm das Interesse an der Besteigung der Achttausender weltweit zu. Man wusste wenig über die menschliche Physiologie in extremen Höhen. Die wenigen Erkenntnisse aus den Expeditionen wurden durch Laborexperimente und Hypothesen ergänzt. Danach wurden durch waghalsige Studien in der Höhe immer genauere Daten gesammelt. Auch heute noch versucht die Forschung herauszufinden, welche die physiologischen Voraussetzungen sind, um eine Höhenexpedition erfolgreich zu meistern. Am Ende waren es jedoch die alpinen Expeditionen, die die wissenschaftliche Sicht revolutionierten.

Ist es möglich, den Gipfel des Everest – 8.848 und mehr Meter über dem Meeresspiegel – ohne zusätzlichen Sauerstoff zu erreichen? Der Südtiroler Reinhold Messner und der Österreicher Peter Habeler hatten diese Frage bereits 1978 mit der ersten, unglaublichen Besteigung ohne Sauerstoffflaschen beantwortet und damit die Geschichte des Bergsteigens verändert. Aber noch in den 1980er Jahren war dies die Frage, die den Alpinismus und die Forschung beherrschte, die sich mit der Funktionsweise des menschlichen Körpers in extremen Höhen befassten. Aus wissenschaftlicher Sicht schien zusätzlicher Sauerstoff unverzichtbar zu sein, und die Leistung von 1978 wurde als eine Art unerklärliche Ausnahme betrachtet. Die Höhenforschung steckte damals noch in den Kinderschuhen. Einige Jahrzehnte zuvor, nach dem Zweiten Weltkrieg, waren die Achttausender sowohl aus bergsteigerischer als auch aus wissenschaftlicher Sicht noch völlig unerforschtes Gebiet. Es gab keine Daten, und es war nahezu kein Wissen über die Reaktionen des menschlichen Körpers in diesen Höhen vorhanden. Es wurde versucht, auf der Grundlage der wenigen verfügbaren Daten Hochrechnungen anzustellen. Eine Alternative bestand darin, die Höhe in einem Labor zu simulieren. Eines der ersten Experimente fand 1946 in der Naval Air Station statt, einer winzigen hypobaren Kammer aus Stahl in Pensacola, Florida, die von der US Navy betrieben wurde. Vier Bergsteiger wurden in 33 Tagen auf eine simulierte Höhe von 8.846 Metern gebracht, sie erreichten für einige Minuten sogar 15.000 Meter. Sie wurden von einem großen Team aus etwa 40 medizinischen und technischen Mitarbeitern begleitet. Die Studie wurde als Operation Everest I bekannt. Ziel war es, die physiologischen Veränderungen im menschlichen Körper in der Höhe mit und ohne zusätzlichen Sauerstoff zu untersuchen. Zum ersten Mal erreichte ein menschlicher Körper diese Höhen, und zum ersten Mal konnten die Folgen der Höhe – wie Hypoxie, d. h. der Mangel an ausreichendem Sauerstoff im Körper – von wissenschaftlichem Personal, das bequem außerhalb der Simulationskammer saß, überwacht und bewertet werden.

Der Neuseeländer Edmund Hillary und der nepalesische Sherpa Tensing Norgay. Der höchste Gipfel der Welt wurde von ihnen am 29. Mai 1953 bezwungen.© Jamling Tenzing Norgay, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Einige Jahre später, im Jahr 1953, war die Zeit reif, um Menschen zum ersten Mal tatsächlich auf den Gipfel des Everest zu bringen. Für das Studium der Physiologie war dies eine wertvolle Gelegenheit, um Daten zu messen, die noch nie zuvor in der Praxis erhoben wurden.

Die Physiologie und die Erstbesteigung des Everest

Im Jahr 2023 jährte sich die Erstbesteigung des Mount Everest durch den Neuseeländer Edmund Hillary und den nepalesischen Sherpa Tensing Norgay zum 70. Mal. Der höchste Gipfel der Welt wurde am 29. Mai 1953 bestiegen. Sir Edmund Hillary war persönlich sehr an der Erforschung der menschlichen Physiologie interessiert; der Expedition schloss sich auch ein Physiologe an: der Brite Griffith Pugh. Pugh war zum ersten Mal in der Lage, im Gelände und in der Höhe Informationen über die Atmung und die Physiologie des Menschen in extremen Höhen zu sammeln. Die Daten waren bahnbrechend. Nach Ansicht der führenden Physiologen der damaligen Zeit – zu denen auch Griffith Pugh gehörte – konnte der höchste Gipfel der Erde nicht ohne zusätzlichen Sauerstoff erreicht werden. Die Frage, die sich Griffith Pugh vor dem Aufbruch der Expedition stellte, betraf vielmehr die Mengen: Wie viel zusätzlichen Sauerstoff braucht der menschliche Körper dort oben?

Das Sauerstoffatemgerät, das Edmund Hillary und Tensing Norgay 1953 bei der Erstbesteigung des Everest verwendeten.© Journal of Physiology, J E Cotes

Um dies zu verstehen, erstellte Griffith Pugh Hochrechnungen auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Daten. Dabei wurden der erwartete Luftdruck auf dem Gipfel und der maximale Sauerstoffverbrauch der Bergsteiger berücksichtigt. Letzterer – kurz: VO2max – gibt an, wie viel Sauerstoff maximal von der arbeitenden Muskulatur verbraucht werden kann, also die aerobe Leistungsfähigkeit eines einzelnen Menschen. Vor dem Start wurde der maximale Sauerstoffverbrauch von Edmund Hillary zwei Mal gemessen: auf Meereshöhe – in Oxford, während der Bergsteiger auf einem Laufband lief – und auf 4.000 Metern Höhe. Anders als zu erwarten war, waren Hillarys Werte nicht außergewöhnlich. Nach seinen Berechnungen beschloss Griffith Pugh daher, dass die beiden Bergsteiger schwere Sauerstoffflaschen mit sich führen mussten, die bis zu vier Liter Sauerstoff pro Minute lieferten. Die bei der Erstbesteigung des Everest und bei späteren Expeditionen gesammelten Daten bestärkten ihn in der Auffassung, dass auf den Achttausendern zusätzlicher Sauerstoff unbedingt notwendig war.

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Wie wichtig ist der VO2max-Faktor?

In einer kürzlich erschienenen wissenschaftlichen Arbeit wurden physiologische Daten analysiert, die vor, während und nach einigen historischen Everest-Besteigungen erhoben wurden: die Erstbesteigung durch Edmund Hillary und Tensing Norgay im Jahr 1953, die Leistung von Reinhold Messner und Peter Habeler im Jahr 1978, die ohne zusätzlichen Sauerstoff erfolgte, wissenschaftliche Studien wie AMREE und Operation Everest II. Die Autoren verglichen die historischen Daten mit den physiologischen Standards von damals und heute. Bei historischen Besteigungen galt „VO2max“ als zentraler Parameter, um den Bedarf an zusätzlichem Sauerstoff zu ermitteln. In der Publikation wird festgestellt, dass die Bedeutung dieses Parameters seit den 1990er Jahren herabgestuft wurde. Große Unterschiede im VO2max-Wert, die auf Meereshöhe bestehen – zum Beispiel zwischen einem Profisportler und einem „normalen“ Menschen –, verschwinden in der Höhe. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass hohe VO2max-Werte, wie sie bei Profisportlerinnen und -sportlern zu finden sind, nicht notwendig sind, um die höchsten Gipfel der Erde zu besteigen. Der Artikel "A revision of maximum oxygen consumption and exercise capacity at altitude 70 years after the first climb of Mount Everest” von Giacomo Strapazzon, dem Leiter des Instituts für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research, und Guido Ferretti, Physiologe an der Universität Brescia, wurde in der Zeitschrift The Journal of Physiology veröffentlicht. Der Artikel ist frei zugänglich.

Die Silver Hut Expedition: nicht nur Interesse für den Yeti...

Fast zehn Jahre nach der erfolgreichen Erstbesteigung des Everest organisierten Edmund Hillary und Griffith Pugh eine weitere Expedition in den Himalaya. Diesmal war die Absicht in erster Linie eine wissenschaftliche: Es sollte die Physiologie der Akklimatisierung eines Menschen untersucht werden, der sich über einen längeren Zeitraum in extremen Höhen aufhält.

Im Zusammenhang mit der Studie gab es aber auch andere Herausforderungen, die die damalige Presse weit mehr faszinierten. Ärzte und Bergsteiger nutzten die Gelegenheit, um nach wissenschaftlichen Beweisen für die Existenz des Yeti zu suchen, des legendären Schneemenschen, der Teil der lokalen Kultur ist. Sie versuchten auch die Besteigung des Makalu, der mit 8.470 Metern der fünfthöchste Gipfel der Erde ist und von dem Edmund Hillary annahm, dass er ohne zusätzlichen Sauerstoff erreicht werden könnte.

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Die Mitglieder der Silver Hut Expedition.© Courtesy of Hermann Brugger
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Der Bau der Silver Hut.© Courtesy of Hermann Brugger
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Die Silver Hut ist fertig, der Rakpa Peak im Hintergrund.© Courtesy of Hermann Brugger

Die Expedition trug den Namen Himalayan Scientific and Mountaineering Expedition, wurde aber später als Silver Hut Expedition bekannt. Man schrieb das Jahr 1960. Aus wissenschaftlicher Sicht war die Silver Hut Expedition ein Erfolg. Einige der durchgeführten Messungen blieben über 40 Jahre lang maßgebend. Das von Griffith Pugh und Edmund Hillary ausgewählte Team bestand vor allem aus Physiologen, Bergsteigern und verschiedenen Spezialisten – darunter prominente Vertreter der Bergmedizin wie James (Jim) Milledge und der Amerikaner John West. Griffith Pugh hatte eine lange Liste von Phänomenen zu untersuchen, insbesondere wollte er die Auswirkungen der Höhe auf die körperliche Leistungsfähigkeit akklimatisierter Menschen und die Auswirkungen von Hypoxie auf das Sauerstofftransportsystem des Körpers verstehen, von der Lunge bis zum menschlichen Gewebe. Konkret ähnelte die Studie einem futuristischen Schlachtfeld: Einige der Tests fanden sogar in 7.740 Metern Höhe statt. Dazu wurde eine vorgefertigte Hütte genutzt, die notwendigen Messinstrumente wurden mit Yaks in die Höhe gebracht – ein außergewöhnlicher Transport, der alles andere als einfach war. Ein speziell für diesen Zweck angefertigtes Ergometer ließ sich leicht auf- und abbauen und auf den Schultern der Träger platzieren. Es wurden Atemluftproben gesammelt, ein tragbares Gerät machte EKGs. Ein vom Physiologen John West – ebenfalls Mitglied der Expedition – erfundenes Ohrgerät diente der Messung des Sauerstoffdrucks. Ein ausführlicher Bericht von James Milledge beschreibt die wissenschaftlichen Fragen, die untersucht wurden. Die maßgebliche Frage lautete: Wie verhält sich unser Organismus unter Stress in extremen Höhen? Bis heute sind viele Aspekte dieser Frage unbeantwortet geblieben.

Wie kann der Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff bewältigt werden?

Doch kehren wir zurück zu der grundlegenden Frage des Alpinismus und der Höhenphysiologie des vergangenen Jahrhunderts: Wie hoch ist der maximale Sauerstoffverbrauch in extremen Höhen? Beziehungsweise, kann man den Gipfel des Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff erreichen? Reinhold Messner und Peter Habeler beantworteten diese Frage 1978 auf ihre Weise und revolutionierten damit den Alpinismus und die Forschung auf einen Schlag.

Wie bei jeder neuen Entdeckung gibt es auch hier einen Vordenker. Sein Name ist Alexander Kellas. Er war ein schottischer Chemiker, der bereits um die Jahrhundertwende voraussagte, dass der Gipfel des Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff erreicht werden kann. „Der Everest kann von einem Mann mit hervorragender körperlicher und geistiger Verfassung und in ausgezeichneter Kondition ohne Hilfsmittel bestiegen werden“, schrieb er, „vorausgesetzt, dass die physischen Schwierigkeiten am Berg nicht zu groß sind.“ Der heute auf dem Gipfel gemessene Sauerstoffverbrauch liegt erstaunlich nahe an dem von Kellas vorhergesagten Wert. Dem Erfolg von Kellas' Theorie war es sicher nicht zuträglich, dass der einzige Bergsteiger, der den Everest nach seinen Prinzipien zu besteigen versuchte, dabei ums Leben kam. Es handelte sich um George Mallory, einen der größten Bergsteiger seiner Zeit, der während des Besteigungsversuchs im Jahr 1924 verschwand. Die ersten, die es erneut ohne Sauerstoff versuchten, waren Reinhold Messner und Peter Habeler.

Medizinisch begleitet wurde die Expedition 1978 von Oswald Oelz, einem Berner Arzt und Reinhold Messners Berater seines Vertrauens. Damals glaubte man noch, dass Bergsteiger außergewöhnliche physiologische Eigenschaften hätten, die denen von Spitzensportlern gleichkämen. Die Messungen von Oelz bewiesen das Gegenteil. Parameter wie maximaler Sauerstoffverbrauch, Muskelfasern und maximale anaerobe Leistung waren bei erfolgreichen Bergsteigern wie Messner und Habeler alles andere als außergewöhnlich.

Wie war es dann möglich, den Gipfel der Welt ohne Sauerstofflaschen zu erreichen?

AMREE und die Operation Everest II

Um diese Frage zu beantworten, wurde 1981 eine weitere Besteigung organisiert: die Expedition AMREE – ein Akronym für „American Medical Research Expedition to Everest“. Die Idee von John West, dem australisch-amerikanischen Physiologen, der der erste Förderer der Studie war, bestand darin, den Gipfel des Everest im Rahmen einer reinen wissenschaftlichen Forschung zu erreichen. Der Everest wurde zu einer Art Labor. Zwei Ärzte der Expedition erreichten den Gipfel. Einer von ihnen, Chris Pizzo, sammelte Proben aus der Luft, die er auf dem Gipfel ausatmete, um die Zusammensetzung der alveolären Luft – der Luft in unserer Lunge – in 8.848 Metern Höhe zu untersuchen. Es war ein Wert, der noch nie gemessen wurde. Vier Luftproben, die auf dem Gipfel gesammelt worden waren, und weitere 30 in verschiedenen Höhen, wurden nach unten gebracht. Der zweite Arzt, der den Gipfel erreichte, war Peter Hackett, einer der Pioniere der Höhenmedizin und heute Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research.

Chris Pizzo nimmt auf dem Mount Everest Atemluftproben von sich selbst.© American Physiological Society

Zum ersten Mal wurde auch der barometrische Luftdruck auf dem Gipfel gemessen, um die Hochrechnungen endlich durch tatsächliche Daten zu ersetzen. Weitere Messungen wurden zum maximalen Sauerstoffverbrauch in der Höhe durchgeführt. Aus AMREE ging zudem eine bahnbrechende Idee hervor: Bergsteiger sollten in eine hypobare Kammer gebracht werden, in der sie die Höhe des Everest simulieren und so viele Messungen wie möglich in verschiedenen Höhen durchführen konnten. Ziel war es, in einer kontrollierten Umgebung die Reaktion des Atmungssystems auf die Exposition gegenüber Hypoxie sowohl in Ruhe als auch während der Belastung in verschiedenen Phasen der Höhenakklimatisierung zu untersuchen. Die Studie trug den Namen Operation Everest II.

Sie fand im Oktober 1985 in Natick, Massachusetts, statt. Acht Probanden und 27 Mitglieder eines Forschungskomitees kamen unter der Leitung von Charles Houston – dem Leiter der Operation Everest von 1946 – in den hypobaren Kammern des United States Army Research Institute for Environmental Medicine (USARIEM) zusammen, um die Reaktionen des menschlichen Körpers auf eine simulierte 40-tägige Besteigung des Mount Everest zu untersuchen. Bis heute ist diese Studie beispielhaft für die Zusammenarbeit verschiedener Forschungsbereiche.

Physiologische Parameter, Wunsch und Motivation von „außergewöhnlichen Individuen”

Wir befinden uns in der Mitte der 1980er Jahre, und zum ersten Mal bestätigen einige Daten, dass Messners und Habelers Leistung ein Jahrzehnt zuvor in gewisser Weise auch physiologisch machbar war. Der in der AMREE-Studie gemessene VO2max-Wert deutet zum Beispiel darauf hin, dass Menschen mit besonderer Leistungsfähigkeit den Everest tatsächlich ohne Sauerstoffflaschen besteigen können. Alle sind sich jedoch einig, dass es neben den physiologischen Parametern noch etwas anderes geben muss: Was macht diese „außergewöhnlichen“ Menschen aus? 1986 kam der Arzt Oswald Oelz in einer Publikation zu dem Schluss: „Die wichtigsten Merkmale eines erfolgreichen Bergsteigers sind neben einem optimalen funktionellen Gleichgewicht und einer außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit eine starke Motivation und ein außergewöhnlicher Antrieb. Reinhold Messner, der erste Bergsteiger, der die 8.500 Meter-Grenze ohne zusätzlichen Sauerstoff überschritt, war der Inbegriff eines solchen Bergsteigers. Er zeichnete sich durch eher normale physiologische Merkmale aus, aber durch das zwanghafte Bedürfnis, der Erste und der Beste zu sein, und zwar mit ‚fairen Mitteln‘, wie er es selbst ausdrückte, also ohne die Hilfe von Sauerstoff in jeglicher Phase des Aufstiegs.“

2014 treffen sich einige der Akteure dieser Geschichte in Bozen auf dem X. Weltkongress World Congress on High Altitude Medicine and Physiology & Mountain Emergency Medicine Hypoxia and Cold. Von rechts: Oswald Oelz, Peter Hackett, Hermann Brugger, Reinhold Messner und ein Fotograf.© Courtesy of Hermann Brugger

Motivation, Wille und Strategie: Bei Studien zum Körper von Bergsteigerinnen und Bergsteigern dürfen auch diese Merkmale nicht außer Acht gelassen werden. In den 1990er Jahren haben physiologische Studien die Bedeutung des Parameters VO2max herabgestuft. Je höher man klettert, desto geringer werden die Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen bei diesem Wert. Fazit: Man braucht keine extrem guten VO2max-Werte auf Meereshöhe, wie sie z.B. Spitzensportler haben, um den Everest ohne Sauerstoffflaschen besteigen zu können. Messner und Habeler hatten dies bereits zwanzig Jahre zuvor empirisch nachgewiesen.

Im neuen Jahrtausend sind die wissenschaftlichen Studien dazu keineswegs versiegt. So wurden 2007 im Rahmen der Caudwell Xtreme Everest Expedition arterielle Blutproben fast in Everest-Höhe entnommen, die bei nicht akklimatisierten Probanden lebensgefährliche Sättigungswerte aufwiesen.

Auch wenn manche immer noch nach den perfekten wissenschaftlichen Testbedingungen suchen, mit denen die Ergebnisse von noch nie zuvor unternommenen Leistungen vorhergesagt werden können, ist heute klar, dass es keine vollständig vorhersagbaren physiologischen Faktoren gibt, die bestätigen können, ob eine Expedition erfolgreich sein wird oder nicht, und auf welche Weise. Bergsteigen ist eben nicht nur Physiologie.

Und die Bergsteigerinnen? Eine medizinische Studie von Eurac Research begleitet die erste Frauenexpedition zum K2, die vom italienischen Alpenverein CAI zum 70. Jahrestag der italienischen Erstbesteigung organisiert wird


Acht Frauen – vier Italienerinnen und vier Pakistanerinnen – werden im Juni zum Karakorum-Gebirge aufbrechen. Ihr Ziel ist der zweithöchste Gipfel der Welt, der zugleich einer der schwierigsten ist. Sie werden auf den Spuren der italienischen Expedition wandeln, die Lacedelli und Compagnoni 1954 auf den Gipfel des K2 führte. Anlässlich des Jubiläums hat der italienische Alpenverein CAI (Club Alpino Italiano) dieses Projekt ins Leben gerufen. Das Ziel ist dieses Mal jedoch nicht nur der Gipfel, vielmehr ist es auch eine Initiative für die Forschung und die Förderung kultureller und sozialer Werte.

Dass es sich um eine reine Frauenseilschaft handelt, macht die Expedition zu einer einzigartigen Gelegenheit für die Wissenschaft: Forscherinnen und Forscher von Eurac Research werden die Expedition mit einer Studie begleiten, um mehr über die weibliche Physiologie in extremen Höhen herauszufinden, einen Bereich, über den – immer noch – nur wenig bekannt ist.

Eurac Research hat die Studie ins Leben gerufen, um die physiologischen Vorgänge im Körper von trainierten Alpinistinnen vor und nach einer realen Besteigung zu untersuchen und nach ihrer Rückkehr in der hypobaren Kammer des terraXcube in Bozen einer simulierten Höhe von bis zu 8.849 Metern. Das Forschungsteam wird sich auch mit dem Prozess der De-Akklimatisierung befassen.

Es handelt sich um ein innovatives Forschungsvorhaben, das physiologische Phänomene erforscht, die noch nie zuvor bei Frauen untersucht wurden. Was die Studie einzigartig macht, ist neben dem Fokus auf die weibliche Physiologie die Untersuchung der akklimatisierten Alpinistinnen in extremer Höhe im terraXcube und die Möglichkeit, den Prozess der De-Akklimatisierung zu beobachten.


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