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© Eurac Research | Annelie Bortolotti

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„Wir sind ein Knotenpunkt zwischen medizinischen Netzwerken in Nord und Süd“

Ein Gespräch mit Hermann Brugger, dem Leiter des Instituts für Alpine Notfallmedizin.

Vier Wochen sind vergangen, seit Ministerpräsident Conte aufgrund der Corona-Pandemie ganz Italien zur Sperrzone erklärt hat. Die sanitäre Krise hat die italienischen Notärzte fest im Griff, und schnell wird klar, dass die Situation in den Intensivstationen der Lombardei eine Vorausschau auf das sein kann, was auch auf die Nachbarländer zukommt. Mit seinen deutsch-, italienisch- und englischsprachigen Mitarbeitern ist das Institut für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research ein Bindeglied zwischen Rettungsorganisationen aus den verschiedenen Sprachräumen.

Vor wenigen Wochen hätte sich niemand eine solche Situation vorstellen können. Wie hat Covid-19 ihren Forschungsalltag in dieser kurzen Zeit verändert? Wie geht es Ihnen und Ihren Mitarbeitern in diesem Moment?

Hermann Brugger: Ich denke, es geht uns wie allen anderen; wir kommunizieren über Online-Konferenzen, und das funktioniert perfekt. Aber der soziale Kontakt untereinander geht uns ab – das ist traurig. Denn wir haben eine sehr kollegiale Atmosphäre in unserem Institut. Deshalb machen wir zumindest einmal in der Woche ein Online-Meeting, an dem alle Mitarbeiter des Instituts teilnehmen.

Ab 2020 werden alle Rettungsorganisationen besondere Vorkehrungen treffen müssen, wenn sie zu einem Unfall kommen und nicht wissen, ob ein Patient Corona-positiv ist oder nicht.

Hermann Brugger, Leiter des Instituts für Alpine Notfallmedizin

Schwerpunkte an Ihrem Institut sind die Behandlung von Unterkühlten und Lawinenopfern, sowie die Berg- und Höhenmedizin – inwiefern ist Ihre Forschungsarbeit in dieser Krise gefragt?

Hermann Brugger: Wir sind keine Epidemiologen oder Virologen, aber wir sind Mediziner und zum Teil auch Intensivmediziner, die derzeit in den Krankenhäusern im Einsatz sind. Was wir beobachtet haben, ist, dass die italienischen Ärzte Therapieprotokolle und Erfahrungsberichte aus den Krankenhäusern im Netz verbreitet haben – vor allem zu Beginn, als die Epidemie ausgebrochen ist. Wir haben ziemlich schnell begonnen, diese meist in italienischer Sprache verfassten Protokolle zu sammeln. Sie haben keinen wissenschaftlichen Anspruch, enthalten jedoch ganz handfeste Angaben und Tipps, zum Beispiel zur Handhabung der Schutzausrüstung; das Hauptproblem dabei ist nämlich nicht das Anziehen, sondern das Ausziehen. Oder Angaben zur intensivmedizinischen Therapie und Beatmung von Covid-19-Patienten: teilweise werden diese auf dem Bauch gelagert, damit können Lungenflügel besser beatmet werden. Am Institut kommunizieren wir in drei Sprachen und befinden uns in Südtirol an der Schnittstelle zwischen Norden und Süden bzw. zwischen dem italienischen und deutschen Sprachraum; außerdem sind wir durch unsere Arbeit in internationale Netzwerke eingebunden, in denen Englisch verwendet wird. So haben wir in einer Art Blitzaktion Protokolle übersetzt, ein Netzwerk entwickelt und die praktischen Empfehlungen direkt an Anästhesisten und Intensivmediziner in Österreich, Deutschland und der Schweiz, sowie an internationale medizinische Netzwerke weitergegeben zur besseren Vorbereitung. Das hat sehr schnell und unkompliziert funktioniert und wurde mit großer Dankbarkeit aufgenommen.

Ein Blick in die Zukunft: Wenn diese erste Phase der Pandemie vorbei sein wird – inwiefern wird sich Ihr Forschungsfeld durch Covid-19 verändern?

Hermann Brugger: Ich kann dazu nur sagen: Ein Forscherkollege aus den Vereinigten Staaten hat mir die aufgrund von Covid-19 aktualisierten amerikanischen Richtlinien für Bergretter geschickt. Und dort zeigt sich schon eine wichtige Veränderung: Ab 2020 werden alle Rettungsorganisationen besondere Vorkehrungen treffen müssen, wenn sie zu einem Unfall kommen und nicht wissen, ob ein Patient Corona-positiv ist oder nicht. Was unsere spezifische Forschungsarbeit betrifft, haben wir schon einige Ideen. Zum Beispiel arbeiten einige Bergrettungsteams mit Tracking-Apps, die man auch umfunktionieren könnte, um den Überblick über die Corona-Infektionen zu verbessern. Ich arbeite derzeit auch mit dem Max Planck Institut in Leipzig zusammen, um eine innovative Online Plattform zur Suche von sogenannten Preprints in allen medizinischen Bereichen zu erstellen, die mit COVID-19 in Zusammenhang stehen. Der Zugang zu solchen Vorab-Publikationen ist extrem wichtig, um brandneue Forschungsergebnisse über Open Science allen Ärzte zur Verfügung zu stellen. Damit kann das gesamte Coronawissen in Echtzeit verbreitet werden. Weiteres wird noch entstehen, denn es kommen sehr viele Informationen zu uns. Gerade in diesen Zeiten zeigt es sich, dass wir ein wichtiger internationaler Knotenpunkt zwischen medizinischen Netzwerken sind und nützliche Informationen verteilen können.

Hermann Brugger

leitet das Institut für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research.

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