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„Demokratie ist riskant“

Gespräche zwischen Disziplinen: Die Limnologin Roberta Bottarin und der Verfassungsrechtler Francesco Palermo im Interview.

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by Valentina Bergonzi, Sigrid Hechensteiner

Ihre Erfahrungen sind aus erster Hand: Die Limnologin Roberta Bottarin begann ihre Arbeit bei Eurac Research im Jahr 1998, der Verfassungsrechtler Francesco Palermo vier Jahre früher. Gemeinsam analysieren sie, wie sich Forschung - und die Forschenden - im Laufe der Jahre verändert haben und erläutern, warum es immer wichtiger ist, Forschungsarbeit öffentlich zu kommunizieren.

© Eurac Research | Tiberio Sorvillo

"An einer Universität ist es leichter, sich im Labor oder in der Bibliothek einzuschließen. Im Forschungszentrum Eurac Research hingegen ist die soziale Verantwortung von Forschung viel stärker ausgeprägt".

Francesco Palermo

Wann haben Sie das letzte Mal einem nicht fachkundigen Publikum von Ihren Forschungsarbeiten berichtet und wie haben Sie sich dabei gefühlt?

Roberta Bottarin: Das letzte Mal war gerade vor ein paar Tagen – am Strand. Jemand hatte Meeresalgen gefunden, auf dem winzige Tierchen zu sehen waren. Kurz darauf war ich umkreist von Badegästen, denen ich die Wichtigkeit dieser Organismen erklärte. Es hat mir Spaß gemacht – wie immer! In Unterhaltungen stößt man leicht auf das Thema Wasser und ich spreche leidenschaftlich gerne darüber. Wissenschaftskommunikation habe ich schon immer als lohnend empfunden. Meine Mentoren sind mit gutem Beispiel voran gegangen und haben mein Interesse gefördert.

Francesco Palermo: Ich habe gestern beim Abendessen das letzte Mal über die Verfassung gesprochen. Ich habe meinen Kindern erklärt, wie der Präsident der Republik gewählt wird. Ich denke unser Faible für breite Wissenschaftskommunikation ist eng mit unserem wissenschaftlichen Wachstumsprozess bei Eurac Research verknüpft. An einer Universität ist es leichter, sich im Labor oder in der Bibliothek einzuschließen. Hier hingegen ist die soziale Verantwortung von Forschung viel stärker ausgeprägt. Und wenn man sich mit den Rechten von Personen beschäftigt, wird die Arbeit ohnehin schnell steril, wenn man sich in Ihr Arbeitszimmer einschließt.

Doch kann es nicht gerade in diesen Zeiten manchmal frustrierend sein, außerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft über Demokratie zu sprechen?

Palermo: Im Gegenteil – die Genugtuung ist noch größer, weil offensichtlich ist, wie grundlegend wichtig Demokratie ist. Und wenn die Kommunikation funktioniert, schenkt man damit der Forschungsarbeit ihren wahren Sinn. Klar, durch die sozialen Medien hat sich die Situation geändert. Der Kreis derer, die sich einbringen können, ist viel größer geworden und der Druck, der auf Entscheidungsträger ausgeübt werden kann, ist um vieles höher, als man es mit Zeitungen je erreichen konnte. Das ist nicht immer gut: Einen „Shitstorm“ auf den sozialen Medien zu managen, kann wirklich schwierig sein. Denken Sie nur an Kampagnen, die darauf beharren, dass sich die Gesellschaft unzureichend sicher fühlt, während alle Daten belegen, dass die Anzahl an Verbrechen zurückgeht.

Bottarin: Das Problem ist, dass die Gefahr der Informationsverzerrung in den sozialen Medien so hoch ist. Allzu oft bezieht man sich nur auf Kommentare und verliert die eigentliche Nachricht und die Verlässlichkeit der Quelle aus den Augen.

Palermo: Ja, genau! Es ist oft schwierig so viele Informationen zu überprüfen. Da fällt mir eine Anekdote aus meiner Zeit im Senat ein: Wir mussten über die Fristverlängerung zur Durchführung einer Verordnung abstimmen, die von den Molkereien verlangte, die Produktionsbereiche für Weich- und Hartkäse zu trennen. Ich kannte mich in diesem Bereich gar nicht aus und es war auch keine Zeit mehr, irgendetwas zu recherchieren. Während die Regierung uns aufforderte, über die Fristverlängerung abzustimmen, um den Kleinbetrieben entgegenzukommen, brach in den sozialen Medien ein Bombardement an Kommentaren los. Man behauptete dort, hinter der Anfrage stünde die Lobby der Camorra, die sich in die Mozzarellafabrikationsbetriebe Kampaniens eingeschleust habe. Ob wir nun die Camorra unterstützt haben oder nicht, wissen wir in 20 Jahren. Vielleicht.

Haben die Social Media auch die Art und Weise des Forschens verändert?

Palermo: Und wie! Sehen Sie diesen Bücherstapel auf meinem Schreibtisch? Ich nehme mir immer wieder vor, die Bücher zu lesen. Doch so sehr ich mich auch Selbstvorwürfen aussetze, die Wahrheit ist, dass der Stapel früher oder später zusammenbrechen wird, da ich stets doch anderen – schnelleren - Informationsquellen den Vorzug gebe: maßgeblichen Blogs oder Online-Zeitschriften. Als Rechercheinstrument nutze ich auch Twitter. Ich folge den Profilen von Kollegen und Organisationen.

Bottarin: Die Tatsache, dass wir immer größere Netzwerke an Menschen einfacher und schneller einbinden können, macht auch bisher undenkbare Science & Society-Projekte möglich. Ich denke da an eine unserer Umwelt-Monitoring-Initiativen: Dank eines vereinfachten Forschungsprotokolls konnte uns jeder, der Lust dazu hatte, Fotos von Schmetterlingen mit einigen Daten schicken und uns so helfen, ein alpines Repertorium zu vervollständigen. Und ich denke auch an die Bauern im Matschertal, die uns per Telefon warnen, wenn beispielsweise Kühe unsere Wetterstationen beschädigen. Wir haben die Bauern von Anfang an miteinbezogen und nun nehmen sie sich – zumindest einige von ihnen – unsere Arbeit zu Herzen. Das freut uns natürlich sehr!

Ist diese neue Empfänglichkeit vor allem auf die agileren Werkzeuge zurückzuführen oder hat das Interesse an Wissensbildungsprozessen im Allgemeinen zugenommen?

Bottarin: Ich hoffe doch, dass es uns gelungen ist, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren!

Palermo: Ich denke da ähnlich, bin aber nicht so optimistisch. Soziale Medien sind in einigen Fällen der einzige Weg, die jüngere Generation zu erreichen - ich denke dabei an einige unserer partizipativen Projekte in den Gemeinden, aber sie reichen nicht aus. Im Netz ist es viel zu einfach, nur das zu finden, was die eigenen Ideen untermauert.

Zu denjenigen, die wissen, wie man soziale Medien gekonnt einsetzt, gehört Greta Thunberg. Wie sehen Sie das Phänomen? Nutzt sie der Wissenschaft?

Bottarin: Sie hat sicher so einige wachgerüttelt, die bestimmte Nachrichten einfach nicht beachtet hatten, obwohl sie eigentlich schon seit Jahren diskutiert wurden. Das ist großartig! Problematisch ist, dass die Wissenschaftlichkeit unter Umständen ein bisschen verloren geht, denn nicht alle Details ihrer Botschaften sind immer korrekt. Und das ist für Forschende, die seit Jahren über diese Themen sprechen, ein bisschen frustrierend.

Palermo: Ihre Anklage findet großen Widerhall in den Medien, man wird sehen, ob sie auch proaktive Wirkung zeigen wird. Leider haben wir aus den zahlreichen Notsituationen der letzten Jahre, vom Terrorismus bis zur Pandemie, von der Finanzkrise bis zur Steuerung der Migrationsströme, nichts gelernt. Wir haben uns nicht bemüht und bemühen uns immer noch nicht, ein rechtliches Grundgerüst zu errichten, das uns davor bewahrt, in aller Eile Gesetze verabschieden zu müssen, wenn das Dach bereits brennt. Das Problem ist, dass wir in der nächsten Krise, der Umweltkrise, bereits drinstecken.

© Eurac Research | Tiberio Sorvillo

"Wenn wir wollen, dass die Menschen an einem Strang ziehen, dürfen wir nicht immer nur auf Mängel hinweisen. Wir müssen auch die positiven Ergebnisse loben."

Roberta Bottarin

Was können Sie als Vertreter der Wissenschaft konkret tun, um der Klimakrise zu begegnen?

Bottarin: Ehrlich gesagt sind selbst für uns viele Aspekte noch nicht ganz klar, vor allem was den zeitlichen Verlauf und die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Sektoren anbelangt. Es ist, als wäre unser Planet ein Patient mit vielen Krankheiten: Einzeln könnte man sie wahrscheinlich heilen, aber in ihrer Gesamtheit ist das Bild kritisch. Selbst eine unbedeutende Kleinigkeit könnte schwere Folgen haben und wir können weder vorhersagen, welcher Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen kann, noch wann das eintreten wird.

Palermo: Die Geschichte zeigt, dass die Stimme der Forschung eine Art einsamer Rufer in der Wüste ist. Es sind oft Generationen nötig, bis sich die Menschen mit den von der Wissenschaft aufgeworfenen Fragen auseinandersetzen. Das liegt daran, dass der Mensch selbstzerstörerisch ist und, wie Max Weber erklärte, sich die kollektive Intelligenz von der individuellen Intelligenz deutlich unterscheidet. Bislang hat es funktioniert. Werden wir es auch dieses Mal rechtzeitig schaffen?

Bottarin: Dem stimme ich zu, doch möchte ich auch klar sagen, wie wichtig es ist, eindeutige Daten zu vermitteln und klare Ansagen zu treffen, ohne sie mit Panik zu würzen. Wenn wir wollen, dass die Menschen an einem Strang ziehen, dürfen wir nicht immer nur auf Mängel hinweisen. Wir müssen auch die positiven Ergebnisse loben. Durch funktionierende Reinigungssysteme sind die Schadstoffe zurückgegangen, und gut konzipierte Wasserkraftwerke ermöglichen es uns, sauberere Energie zu erzeugen, ohne die Wasserqualität stark zu beeinträchtigen. Gemeinsam können wir etwas tun. Dabei ist es wichtig, das lobend hervorzuheben, was getan wird. Das motiviert die Menschen weiterzumachen.

Sollten Wissenschaftler ein bisschen mehr Politiker und Politiker ein bisschen mehr Wissenschaftler sein?

Palermo: Wir müssen uns vor Superstar-Forschern in Acht nehmen – so nützlich sie auch sein mögen. Sie sind allzu leicht durch die Medien manipulierbar. So ist es beispielsweise wichtig, schon jetzt vor einer sehr plausiblen Umwelt-Notstandsgesetzgebung zu warnen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie kommen wird. Ihr werden drastische, schmerzhaften Verbote zugrunde liegen. Als Wissenschaftler können wir lediglich Daten und unsere Vorhersagen so nah wie möglich an die Entscheidungsträger herantragen, so dass sie sie in ihrer Arbeit berücksichtigen. Den letzten Schritt können wir nicht gehen. Wir können nur nie müde werden, über das zu schreiben, was wir studieren und stets bereit sein, widerlegt zu werden.

Wie wird denn - angesichts der Tatsache, dass Forschung stets mit Unsicherheit einhergeht – die Qualität von Forschung sichergestellt? Wie haben sich die Bewertungssysteme in den letzten 30 Jahren entwickelt und wie sehen die Zukunftsperspektiven aus?

Bottarin: Jeder hält sich heute für einen Spezialisten. Wir sind umgeben von einer Welt von Spezialisten, die alles wissen - die alles besser wissen! Das war noch nie so offensichtlich wie heute. Daher ist es so wichtig, Quellen zu überprüfen, auch wenn das nicht immer einfach ist. Die Datenvalidierungsprozesse sind heute strenger als früher: Bei den Peer-Review-Verfahren werden die Ergebnisse vor der Veröffentlichung von Experten überprüft, was uns vor „Meinungsmachern“ schützt. Bei Eurac Research können wir außerdem auf die Unterstützung eines Statistik- und eines Kommunikationsbüros zählen, die uns helfen, klare und unmissverständliche Botschaften zu vermitteln.

Palermo: Das System des Peer-Reviewings hat seine Grenzen, vor allem in nicht-bibliometrischen Disziplinen, die eher fließend sind, aber es ist trotzdem ein guter Weg. Dasselbe gilt für Open Science, also für die öffentliche Bereitstellung von Materialien und Daten.

Die Pandemie hat Begriffe wie Preprint oder Open Data sowie die Namen von Zeitschriften und Datenbanken geläufig gemacht, die vorher kaum bekannt waren. Ist es demokratischer oder riskanter jedem zu allem Zugang zu gewähren?

Palermo: Demokratie ist riskant, aber ohne Alternativen.

Als Sie den Weg in die Forschung eingeschlagen haben, war die Forschungslandschaft in Südtirol noch eine andere. Wenn Sie Ihre Karriere heute beginnen würden, was wäre anders?

Palermo: Heute ist das Klima auf jeden Fall offener. Zunächst einmal würde ich heute Unterstützung für meine Promotion erhalten, anstatt sie auf halb-geheimem Wege machen zu müssen. Und dann hätte ich wahrscheinlich auch nicht mehr den Ehrgeiz, sofort eine Universitätsprofessur zu bekommen. Damals schien es das einzig mögliche Ziel zu sein, heute sind die Wege viel durchlässiger.

Bottarin: Ich hatte das Glück, schon als Kind zu wissen, dass ich Biologin werden wollte. Ich war immer davon überzeugt, auch als mein Vater mich drängte, Jura oder Medizin zu studieren, weil es in Südtirol nur wenige Stellen für Biologen gab und ich nach dem Studium wahrscheinlich nicht mehr zurückkommen könnte. Ich habe es durchgezogen und bin zurückgekommen, und zwar um bei Eurac Research zu arbeiten. Heute würde ich wahrscheinlich stur denselben Weg einschlagen, aber mit viel weniger Hindernissen.

Ändern sich, und wenn ja, wie ändern sich die Lebensläufe Ihrer Mitarbeiter?

Bottarin: Die jüngere Generation hat eine Welt von Möglichkeiten, die ihnen bereits die Oberschulen eröffnen. Ich nehme immer gerne an den Orientierungsveranstaltungen der MINT-Initiative teil, weil ich mich in diesen Jugendlichen wiedererkenne. Die Mädchen und Jungen sind brilliant, haben Auslandsaufenthalte hinter sich und unterschiedlichen Spezialisierungen durchlaufen. Sogar ihre Lebensläufe sind mit ihrem personalisiertem Layout ansprechender als unsere standardisierten CV’s auf dem europäischen Vordruck!

Roberta Bottarin

Roberta Bottarin ist Limnologin mit Spezialisierung im Bereich der alpinen Fließgewässer. Sie hat in Ferrara und Parma studiert. Neben ihrer Tätigkeit als stellvertretende Leiterin des Instituts für Alpine Umwelt ist sie seit 2016 auch stellvertretende Direktorin von Eurac Research. Sie liebt es, Wildbäche in hohen Stiefeln zu beproben, bei Volleyballspielen ihr Lieblingsteam zu bejubeln und zu fotografieren.

Francesco Palermo

Francesco Palermo ist ordentlicher Professor für vergleichendes Verfassungsrecht an der Universität Verona und Leiter des Instituts für Vergleichende Föderalismusforschung bei Eurac Research. Er hat an mehreren europäischen und amerikanischen Universitäten gelehrt und für die OSZE, den Europarat und die Europäische Union gearbeitet, insbesondere im Bereich der Autonomie und der Minderheitenrechte. Er schläft wenig und reist zu viel, liebt Lesen, Eishockey und die Berge.

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