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Die Luft wird immer dünner

Im Extremklimasimulator terraXcube untersucht ein Forscherteam erstmals weltweit, wie sich Pflanzen und Mikroorganismen an den geringen Luftdruck in der Höhe anpassen

Annelie Bortolotti
© Eurac Research | Annelie Bortolotti
by Giovanni Blandino

Der Klimawandel und die steigenden Temperaturen führen dazu, dass Tier- und Pflanzenarten sowie Mikroorganismen in höhere Lagen wandern. Doch wie passen sich die Lebewesen an die neuen Bedingungen in der Höhe an? In einem weltweit einzigartigen Experiment im terraXcube – dem Extremklimasimulator von Eurac Research – beobachtet ein Forscherteam von Eurac Research und der Universität Innsbruck, wie sich der geringe Luftdruck auf die Photosynthese und Transpiration der Pflanzen auswirkt. Außerdem analysiert es, welche Mikroorganismen im Boden die Anpassung der Pflanzen unterstützen könnten.

Dass bestimmte Pflanzenarten aufgrund des Klimawandels immer weiter nach oben wandern, belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien (diese beispielsweise und auch diese). Bilder, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Bergen aufgenommen wurden, sprechen eine deutliche Sprache: In vielen Gebieten hat sich die Waldgrenze – die überraschend klare Linie, jenseits derer Bäume nicht mehr leben können – nach oben verschoben. Teilweise ist das veränderte Landschaftsbild auf die Abwanderung zurückzuführen, anderseits auf die neuen klimatischen Bedingungen.

„Forscherinnen und Forscher haben ältere Pflanzenproben untersucht und nachgewiesen aus welcher Zeit die Entnahme sie stammen“, erzählt Matteo Dainese, Ökologe am Institut für Alpine Umwelt von Eurac Research. „Bei diesen Erhebungen haben die Botaniker festgestellt, dass sich die Zusammensetzung der verschiedenen Pflanzen verändert hat . In einigen Fällen konnten sie Arten nachweisen, die früher 200 oder 300 Meter weiter unten zu finden waren“.

The tree line in an alpine environment© Adobe Stock | Lauren

Wie andere Lebewesen reagieren auch Pflanzen auf den Temperaturanstieg in ihrem Lebensraum auf unterschiedliche Weise. Einige Arten passen sich an die neuen Umweltbedingungen an oder auch nicht, andere wiederum wandern höher nach oben. „Durch Wind, Tiere oder Menschen gelangen Samen in höhere Lagen, wo Temperaturen herrschen, die jenen vor dem aktuellen Klimawandel entsprechen“, erklärt Matteo Dainese.

In großer Höhe finden die Pflanzen jedoch völlig neue Umweltbedingungen vor, wie beispielsweise einen geringeren Luftdruck. Doch wie werden sie sich diesem anpassen?

Die Anpassung von Pflanzen – untersucht in der kontrollierten Umgebung des terraXcube

Verschiedene Studien haben zwar bestätigt, dass einige Pflanzenarten in höhere Lagen wandern, wie sie jedoch physiologisch auf diese Veränderung reagieren, wurde bislang selten beobachtet. So wurde beispielsweise noch nie untersucht, wie die Organismen auf den geringen Luftdruck reagieren und wie sich Mechanismen wie Photosynthese und Transpiration der Pflanzen verändern.

"Wenn wir Organismen in ihrem natürlichen Lebensraum untersuchen, sind bestimmte Umweltbedingungen eng miteinander verbunden. Sie getrennt voneinander zu untersuchen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit"

Matteo Dainese, Ökologe

„Es ist äußerst komplex, den Einfluss einzelner Umweltfaktoren, beispielsweise des Luftdrucks, im freien Gelände zu untersuchen“, erklärt Matteo Dainese. „Wenn wir Organismen in ihrem natürlichen Lebensraum beobachten, sind bestimmte Umweltbedingungen – beispielsweise Luftdruck und Temperatur – eng miteinander verbunden. Sie getrennt voneinander zu untersuchen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.“
Aus diesem Grund hat das Forscherteam von Eurac Research und der Universität Innsbruck einen speziellen Test entwickelt, der in diesen Wochen im terraXcube – dem Extremklimasimulator von Eurac Research im NOI Techpark – durchgeführt wird. In dieser innovativen Infrastruktur bringen die Forscher unterschiedliche, für den Alpenraum typische Pflanzenarten, auf Knopfdruck in unterschiedliche Höhenlagen und beobachten, wie sie darauf reagieren. Und nicht nur das.

© Eurac Research | Annelie Bortolotti

Ein weltweit einmaliges Experiment

In den hypobaren Kammern des terraXcube bringen die Forscherinnen und Forscher ausgewählte Pflanzenarten, die heute im Matschertal auf rund 1.500 Höhenmetern wachsen, künstlich in höhere Lagen. Gleichzeitig bleiben Faktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lichtverhältnisse unverändert.
„Auf diese Weise können wir im Laufe einiger Wochen beobachten, wie sich der geringe Luftdruck in höheren Lagen auf die Pflanzen auswirkt“, erklärt Matteo Dainese. Insbesondere analysieren das Forscherteam, wie sich Mechanismen wie Photosynthese und Transpiration der Pflanzen verändern. „Die Transpiration regelt den Gasaustausch zwischen der Pflanze und der Atmosphäre. Tagsüber dringt unter anderem Co2 in den Organismus ein und Wasser entweicht in Form von Dampf“, so der Forscher. Pflanzen regulieren diesen Austausch, indem sie die Spaltöffnungen, kleine Poren, die sich hauptsächlich an der Unterseite der Blätter befinden, offen oder geschlossen halten. „Wir glauben, dass die Transpiration von Pflanzen in höheren Lagen stärker ist und sie dadurch empfindlicher auf Wassermangel reagieren. Durch unsere Tests wird es möglich sein zu beobachten, welche Pflanzen sich höheren Lagen besser anpassen.

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Brachypodium rupestre© Jean-Luc GORREMANS (cc-by-sa)
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Silene vulgaris© Adobe Stock - Iker
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Trifolium pratense© Adobe Stock - paulst15

Diese Pflanzenarten bringt das Forscherteam künstlich in höhere Lagen


Im Fokus des Experiments stehen drei Pflanzenarten; sie wachsen vorwiegend auf den Wiesen im Matschertal, einem Seitental des Vinschgaus in Südtirol.

Brachypodium rupestre, die Stein-Zwenke aus der Familie der Süßgräser. Trifolium pratense, der Wiesenklee aus der Gattung Klee. Silene vulgaris, das Taubenkropf-Leimkraut auch Klatschnelke genannt, aus der Gattung der Leimkräuter.

Sie sind im Matschertal stark vertreten und stehen auch auf dem Speiseplan von Wildtieren und anderen Tieren.

Auf Knopfdruck bis auf 4.000 Höhenmeter

Das Forscherteam von Eurac Research und der Universität Innsbruck hat einen speziellen Test entwickelt, der in den Small Cubes des terraXcube durchgeführt wird: In vier Klimakammern stellen die Forscher unterschiedliche – für den Alpenraum typische – Umweltbedingungen nach, und zwar unabhängig voneinander. In einer der Kammern wird der Luftdruck des Matschertals auf 1.500 Höhenmeter simuliert. In einer anderen bleiben die Organismen auf Bozner Höhe (200 m), während das Forscherteam in der dritten Klimakammer die Pflanzen und Organismen in 2.500 Meter Höhe bringen. „Das ist wohl eines der wahrscheinlichen Szenarien, die wir laut bestimmten Klimamodellen um das Jahr 2100 haben könnten. Sollten die weltweiten Emissionen nicht eingedämmt werden, sehen diese Modelle bis zum Ende des Jahrhunderts einen Temperaturanstieg zwischen 4 °C und 7 °C vor. Das bedeutet, dass Pflanzenarten etwa 600 bis 1.000 Meter weiter nach oben wandern könnten”, erklärt Matteo Dainese.

In der dritten Klimakammern bringen wir die Pflanzen und Organismen in 2.500 Meter Höhe, eines der wohl wahrscheinlichsten Szenarien, wenn die weltweiten Emissionen nicht eingedämmt werden

In der vierten Klimakammer werden 4.000 Höhenmeter simuliert „Diese extremen Bedingungen sind zwar nicht realistisch, sie erlauben uns aber, genauer zu beobachten, wie Pflanzen auf geringen Luftdruck reagieren. Diese Höhe ist die Obergrenze für das Vorkommen von Pflanzen in der gemäßigten Zone“. Neben Pflanzen werden auch Mikroorganismen im Boden untersucht, die dazu beitragen könnten, dass sich die Pflanzen an ihren neuen Lebensraum anpassen. Einige Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass Bodenmikroorganismen eine vermittelnde Funktion bei den Anpassungsmechanismen von Pflanzen an neue Lebensräume haben könnten.

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Klimakammer in 4.000 Meter Höhe© Eurac Research - Annelie Bortolotti
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Messung des Pflanzenwachstums© Eurac Research - Annelie Bortolotti
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Messung des Chlorophyllgehalts der Blätter© Eurac Research - Annelie Bortolotti

Wie wirken Mikroorganismen im Boden auf die Anpassung der Pflanzen?

Mikrobiologen der Universität Innsbruck untersuchen im terraXcube, wie sich die Höhenlage auf die Mikroorganismen im Boden auswirkt – allein und in Wechselwirkung mit den Pflanzen.

Ein Teil der Pflanzen wird in sterilisiertem Boden ohne Mikroorganismen gezüchtet, andere Pflanzen im Boden des Matschertals, mit den dort vorkommenden Mikroorganismen. Außerdem testet das Forscherteam die physiologische Reaktion verschiedener mikrobieller Reinkulturen, sowohl Pilzen als auch Bakterien. „Wir wollen durch diese Tests verstehen, welche Mikroorganismen sich höheren Lagen am besten anpassen, wie sich ihre Leistungen im System Boden verändern und welche Organismen imstande sind, die negativen Auswirkungen auf die Pflanzen zu reduzieren, die sich direkt oder indirekt durch die Höhe ergeben“, erklärt der Mikrobiologe Paul Illmer, der unter anderem die Arbeitsgruppe Mikrobiologie und Klimawandel der Universität Innsbruck leitet.

Laufzeit des Projekts: Drei Jahre

Klimakammer im terraXcube© Eurac Research | Annelie Bortolotti

Die ersten Tests im terraXcube werden eine begrenzte Dauer von etwa einem Monat haben. „Wir wollen zunächst die unmittelbare Reaktion der Pflanze auf den veränderten Luftdruck beobachten. Bei Untersuchungen im freien Gelände ist das geradezu unmöglich“. Das Projekt UPSHIFT, in dessen Rahmen dieses erste Experiment stattfindet, wird bis Ende 2024 fortgesetzt. „Bei den nächsten Experimenten werden wir untersuchen, wie sich Mikroorganismen und Pflanzen verhalten, die aus anderen Lebensräumen und Höhenlagen stammen und analysieren, wie sie als neues Ökosystem miteinander interagieren“, so Dainese.

Im terraXcube können Forscherinnen und Forscher jetzt schon beobachten, wie Ökosysteme in Zukunft aussehen könnten – mit einem Vorsprung von einigen Jahrzehnten.

Aufgrund des Klimawandels werden sich nicht alle Organismen auf die gleiche Weise verändern oder anpassen. In Zukunft werden sich Ökosysteme nämlich aus neuen Arten sowie neuen Kombinationen von Pflanzen, Insekten und Bodenorganismen aus unterschiedlichen Höhenlagen zusammensetzen. Im terraXcube können die Forscherinnen und Forscher jetzt schon – mit einem Vorsprung von einigen Jahrzehnten – beobachten, wie diese Ökosysteme in Zukunft aussehen könnten.

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Das Projekt UPSHIFT

UPSHIFT ist eine Zusammenarbeit zwischen Eurac Research und der Universität Innsbruck. Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren und wird von der Autonomen Provinz Bozen und dem österreichischen Wissenschaftsfonds finanziert.

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