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„Der Tourismus kann nur funktionieren, wenn er von der Bevölkerung mitgetragen wird.“

Das Landestourismusentwicklungskonzept 2030+ für Südtirol

Alex Filz
© IDM/Südtiroler Apfelkonsortium | Alex Filz

Unter dem Titel „Ambition Lebensraum Südtirol. Auf dem Weg zu einer neuen Tourismuskultur” hat ein interdisziplinäres Forschungsteam von Eurac Research die wissenschaftliche Grundlage für das Landestourismusentwicklungskonzept ausgearbeitet. Eng verbunden mit der Raumordnung des Landes und mit besonderem Augenmerk auf die lokale Bevölkerung, liefert das Konzept erstmals eine standardisierte und datenbasierte Grundlage, um die touristische Entwicklung in Südtirol messen, beobachten und steuern zu können.

Wie soll die Zukunft des Tourismus aussehen und wie kommen wir dorthin? Das ist die Frage, die im Mittelpunkt des Landestourismusentwicklungskonzepts steht. Wirft man einen Blick auf die bestehenden Daten zum Tourismus in Südtirol – vor allem jene aus der Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus in Südtirol (STOST) –, zeigt es sich, dass die Südtiroler Bevölkerung mit dem Tourismus nach wie vor sehr zufrieden ist, obwohl er auch einige Herausforderungen mit sich bringt. So hat der Tourismus spürbare Auswirkungen auf die Natur, die Raumnutzung und die Mobilität im Land. Gleichzeitig ist die Entwicklung der Tourismusbetriebe eng verbunden mit einem steigenden Ressourcenverbrauch. Spätestens die Pandemie hat deutlich gemacht, dass ein nachhaltiger Tourismus unsere endlichen Ressourcen, Klimaveränderungen, aber auch wirtschaftliche und soziale Krisen im Blick behalten muss.

Der Tourismus in Südtirol braucht zeitgemäße Betriebskonzepte, die die Wertschöpfung und Wertschätzung in den Mittelpunkt stellen. Wertschätzung nicht nur gegenüber den Gästen, sondern auch gegenüber der Bevölkerung.

Harald Pechlaner, wissenschaftlicher Leiter der Studie

Vor diesem Hintergrund hat das Forschungsteam die touristische Entwicklung Südtirols mit einem besonderen Bezug zur Raumplanung analysiert: Für alle Gemeinden Südtirols wurde das Ausmaß ihrer touristischen Exponiertheit – der Tourism Exposure Index – errechnet. Dafür wurde die Gesamtzahl der Betten, die Fläche der Gemeinden, die jährlichen Übernachtungen sowie die Daten der Volkszählung herangezogen – als Referenzjahr für alle Daten diente 2019. Je nach ihrer Exponiertheit wurden die Gemeinden in drei Kategorien eingeteilt: in touristisch gering entwickelte (25 Prozent der Gemeinden), touristisch entwickelte (50 Prozent) und touristisch stark entwickelte Gemeinden (25 Prozent).

Dreiteilung der Gemeinden nach dem Tourism Exposure Index

Auf der Grundlage der Einteilung aller Gemeinden untersuchte das Forschungsteam jede Kategorie anhand verschiedener Indikatoren wie etwa Wirtschaftsstruktur, Betten pro Widmungszone, Bettenauslastung oder Betriebsgröße. Daraus ließen sich besondere Kennzeichen der jeweiligen Kategorie ableiten, die auch ihre Problematiken deutlich machen, wie zum Beispiel, dass in touristisch stark entwickelten Gemeinden die Mietpreise deutlich höher sind als in den anderen Gemeindekategorien; oder dass die durchschnittliche Bettenauslastung in touristisch gering entwickelten Gemeinden deutlich niedriger ist als in den entwickelten und stark entwickelten Gemeinden.

In touristisch stark entwickelten Gemeinden, sind die Mietpreise deutlich höher als in den anderen Gemeindekategorien

Die durchschnittliche Bruttobettenauslastung in touristisch gering entwickelten Gemeinden ist deutlich niedriger als in den touristisch stark entwickelten und den touristisch entwickelten Gemeinden

Die Tourismusintensität hat in den touristisch stark entwickelten Gemeinden seit 2014 stärker zugenommen als in den Gemeinden der anderen beiden Kategorien

Das Ziel dieser wissenschaftlichen Grundlage ist es, ein ambitioniertes Lebensraummanagement auf den Weg zu bringen, das auch den Klimaplan und die Nachhaltigkeitsziele als Grundlage berücksichtigt.

Anna Scuttari, Center for Advanced Studies von Eurac Research

Die regelmäßige Kategorisierung der Gemeinden bietet zusammen mit dem Instrument der Sensitivitätsampel erstmals eine einheitliche und messbare Grundlage für zukünftige Handlungsempfehlungen. „Der Tourismus in Südtirol braucht zeitgemäße Betriebskonzepte, die sich nicht nur auf die Bettenanzahl konzentrieren, sondern die Wertschöpfung und Wertschätzung in den Mittelpunkt stellen. Wertschätzung nicht nur gegenüber den Gästen, sondern auch gegenüber der Bevölkerung“, betont Harald Pechlaner, Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research und wissenschaftlicher Leiter der Studie. „Der Tourismus in Südtirol kann nur funktionieren, wenn er von der breiten Bevölkerung in den Gemeinden mitgetragen wird“, schließt Pechlaner.

„Das Ziel dieser wissenschaftlichen Grundlage ist es, ein ambitioniertes Lebensraummanagement auf den Weg zu bringen, das auch den Klimaplan und die Nachhaltigkeitsziele als Grundlage berücksichtigt“, erklärt Mirjam Gruber, Forscherin am Center for Advanced Studies von Eurac Research. Das umfasse eine landschaftsschonende und ausgewogene Entwicklung, die auf der Basis von messbaren Indikatoren angegangen wird. Es umfasse auch eine bewusstere Zusammenarbeit, sowohl zwischen Betrieben, Akteuren im Bereich der Mobilität, der Landwirtschaft und der touristischen Hotspots, als auch zwischen den Gemeinden. Schlussendlich zeige die Studie, dass verschiedene Beherbergungsformen ausgewogen entwickelt werden sollten und klein- und mittelständischen Betrieben eine besondere Wichtigkeit zukommen sollte.

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Hintergrund und Ablauf der Studie

Die Studie ist die wissenschaftliche Grundlage für das Landestourismusentwicklungskonzept 2030+. Sie liefert einen Überblick über die Ist-Situation des Tourismus in Südtirol bis ins Jahr 2019. Sie zeigt einen Ausblick inklusive Soll-Szenario für eine wünschenswerte Entwicklung für 2030+ auf und formuliert tourismuspolitische Handlungsempfehlungen, die nicht nur für Südtirol und die Region, sondern besonders für die Gemeinden eine wertvolle Hilfe sein sollen, um ihre weitere touristische Entwicklung nachhaltig planen zu können. Die Erarbeitung erfolgte in Zusammenarbeit mit der School of International Business and Entrepreneurship (SIBE) der Steinbeis-Hochschule sowie dem Tourism Research Cluster der Curtin University und unter Einbeziehung der „Future Rooms“ von IDM Südtirol. Zentraler Baustein der Studie waren die Daten aus der Beobachtungsstelle für den nachhaltigen Tourismus in Südtirol, welche zum Internationalen Netzwerk der Beobachtungsstellen für Nachhaltigen Tourismus (INSTO) der Welttourismusorganisation (UNWTO) gehört. Im Laufe der Ausarbeitung wurde das Konzept verschiedenen Interessengruppen vorgestellt; Rückmeldungen – etwa von Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinden und des HGV – sind in das Dokument laufend mit eingeflossen. Zur gleichen Zeit wurden verschiedene Bereiche, etwa aus Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Kulturpolitik und Bildungspolitik in die Studie integriert.

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