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Integration und soziale Landwirtschaft: Ein Beispiel aus Südtirol wie es funktionieren könnte

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Integration und soziale Landwirtschaft: Ein Beispiel aus Südtirol wie es funktionieren könnte
Integration und soziale Landwirtschaft: Ein Beispiel aus Südtirol wie es funktionieren könnte -

Integration und soziale Landwirtschaft

Im angespannten Massendiskurs zum Thema Flüchtlinge und Asylwerber*Innen finden wir in jüngster Zeit immer wieder Vorzeige – Praxisbeispiele, die einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Integration neuer Mitbürger beitragen. Zum Beispiel die Arbeitsintegration von Flüchtlingen im Weingut Pföstl (2016), das Projekt „Salewa Garten“ (2017), das Projekt „Blühende Sprache“ (2016/2017) sowie der Bericht über „Moussas neuem Zuhause am Berghof Mairfeld“ (Dolomiten 30. Juni 2017 S. 22). Ein weiteres Beispiel ist die Geschichte von Foday aus Gambia der an der Fachschule für Land- und Hauswirtschaft Salern ein Ausbildungspraktikum absolviert.

Vier Jahre lang arbeitete der 19-jährige Junge nach der Schule als Soldat in Gambia, bis er unter dem diktatorischen Regime gefangen genommen wurde. Ihm gelang die Flucht, doch dafür wurde sein Vater festgenommen und schließlich hingerichtet. Foday floh über Senegal, Mali und Libyen und kam 2015 mit dem Boot nach Italien. Nach einigen Monaten auf Lampedusa erreichte er Bozen und wurde anschließend dem Haus Miriam in Brixen zugeteilt. Immer wieder arbeitete er in Kurzzeitjobs mal als Kellner, mal als Reinigungskraft. Seit April dieses Jahres macht Foday ein Ausbildungs-Orientierungspraktikum (500 Stunden) in der Fachschule für Land- und Hauswirtschaft Salern. Hauptsächlich arbeitet er mit den Gärtnern der Schule zusammen, pflanzt neue Kräuter und Gemüsesorten, jätet und kümmert sich um die Kühe im Stall, hilft beim Käsemachen und beim Mähen. Dieses Projekt geht in Richtung soziale Landwirtschaft, die ein neues Diversifizierungspotential für landwirtschaftliche Betriebe darstellt. Darunter fallen neue Integrationstätigkeiten, Therapie-, Betreuungs- und Rehabilitationsleistungen, die in Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Ressourcen – Pflanzen und Tieren, für Personen mit unterschiedlicher Benachteiligung angeboten werden.

Die Arbeit im Garten, auf dem Feld und im Stall hilft Foday sich abzulenken und Neues zu lernen sowie Vergangenes zu verarbeiten. Ein solches Ausbildung- und Orientierungspraktikum können Asylbewerber*Innen in privaten Betrieben, bei Freiberuflern, Vereinen, Genossenschaften und öffentlichen Körperschaften für höchstens 500 Stunden durchführen und dafür bekommen sie am Ende ein Entgelt. Ein solches Praktikum ist wichtig für Menschen, die im Aufnahmeland neu ankommen und am Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Es ermöglicht Ihnen einer Beschäftigung nachzugehen und den direkten Kontakt zur Aufnahmebevölkerung zu pflegen. Grundsätzlich können Asylbewerber*Innen laut Art. 22 des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 142/15 in Italien 60 Tage ab Antrag auf internationalen Schutz arbeiten.

Nicht nur im landwirtschaftlichen Bereich hilft Foday mit, auch überall sonst, wo es etwas zu tun gibt. Etwa beim Saubermachen der Küche oder anderer Räumlichkeiten. Zu Mittag isst er dann gemeinsam mit den anderen Angestellten und kann somit sein soziales Netzwerk festigen. Anfangs waren seine Kollegen*Innen ihm gegenüber etwas skeptisch, aber inzwischen haben sie ihn ins Herz geschlossen „Wir wussten nicht was uns erwarten würde, aber er ist sehr fleißig und hilft überall, wo es nur braucht“. Die Sprache war zu Beginn auch eine kleine Hürde, aber wie es einer der Gärtner beschreibt: „Ich kann nicht gut Italienisch und er kann nicht gut Deutsch, aber wir verstehen uns und im Garten und auf dem Feld kann ich ihm Vieles zeigen, also – „learning by doing“. Im Haus Miriam besucht Foday den Italienisch- und Deutschkurs. Italienisch kann er bereits sprechen und Deutsch versteht er immer besser, besonders seit er das Praktikum macht und viele mit ihm Deutsch sprechen, kann er auf informelle Weise die Sprache vertiefen.

Foday hat bereits Zuhause in Gambia in der Landwirtschaft gearbeitet, da sein Vater Landwirt war. Dennoch gibt es Unterschiede bei der Arbeit zwischen seiner Heimat und hier in Südtirol. „Hier in Salern arbeiten wir oft mit Maschinen und es ist im Vergleich zu Zuhause einfacher. In Gambia machen wir alles mit der Hand oder mit den Tieren“, meint Foday und fügt hinzu, dass ihm die Arbeit mit den Pflanzen und Tieren sehr gut gefällt. Die Gärtner erklären ihm die Bedienung der Geräte und begleiten ihn besonders bei neuen Aufgaben oder beim Gebrauch neuer Maschinen. „Er ist lernfreudig und aufmerksam und viele Pflanzen kannte er nicht“, erklärt einer der Gärtner.

Es war nie seine Absicht nach Europa zu kommen, doch Foday war gezwungen zu fliehen. Heute vermisst er seine Mutter und seine Geschwister und er möchte gerne zurück oder sie besuchen. Durch den Tod seines Vaters fühlt er sich verantwortlich für die Familie, denn so ist es in Gambia üblich. „Ich muss für meine Mutter und Geschwister sorgen, auch wenn ich selbst einmal eine eigene Familie habe, weil ich der Älteste bin. Das ist auch ein wesentlicher Unterschied zwischen meiner Heimat und Südtirol, zumindest generell.“

Ende Juni hat Foday sein Praktikum an der Schule abgeschlossen, ob er noch weiter dort arbeiten darf oder ob er sich einen neuen Job suchen muss, ist noch unklar. Wenn alles gut geht darf er einem der Gärtner für diese Saison am Bauernhof aushelfen. Eines ist jedoch sicher, er hat viel dazugelernt, neue Freunde gefunden und seinen Arbeitskollegen*Innen ein positives Bild hinterlassen. So könnte Zusammenarbeit und Integration zwischen alten und neuen Mitbürgern in Südtirol aussehen.

Die soziale Landwirtschaft biete dabei eine komplementäre Möglichkeit zu bereits bestehenden Strukturen, die sich mit Integration von Flüchtlingen und Asylbewerber*Innen beschäftigen. Die „informelle“ Integrationsarbeit der sozialen Landwirtschaft hat eine doppelte Wirkung: Zum einen können neue Mitbürger*Innen durch die persönliche Beziehung zum Bauer oder Projektkoordinator Vertrauen aufbauen sowie die Landesprachen individuell und im Alltag vertiefen, was die Integration erleichtern kann. Zudem können neue Fähigkeiten entwickelt werden, die als Sprungbrett für den Arbeitsmarkt dienen und somit Selbständigkeit und Beteiligung an der Gesellschaft fördern. Zum anderen liegt der Mehrwert für den Bauern darin, dass eine Arbeitskraft vorhanden ist und neue kulturelle Vielfalt auf den Hof gebracht wird, was zur Sensibilisierung der Bevölkerung beitragen kann. Für die Provinz Südtirol kann diese neue innovative Form der Integration zu einer dezentralen Verteilung und Entlastung der Aufnahmestrukturen beitragen und somit den ländlichen Raum, der häufig von Abwanderung gefährdet ist neu beleben. Für einen Teil der Flüchtlinge und Asylbewerber*Innen kann soziale Landwirtschaft eine neue Chance für Integration sein, dafür müssen sie allerdings von der Ankunftsbevölkerung als Ressource und nicht als Last angesehen werden.

Autorin: Clare Giuliani

 

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Citation

https://doi.org/10.57708/b22008198
Giuliani, C. Integration und soziale Landwirtschaft: Ein Beispiel aus Südtirol wie es funktionieren könnte. https://doi.org/10.57708/B22008198

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