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Ein Bild von jedem Baum

Wie Meran neue Technologie nutzt, um alte Bäume zu schützen

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„Digitale Zwillinge“ von Meraner Bäumen: Die Daten einer Laservermessung aus der Luft liefern für jeden Baum eine Vielzahl von Informationen – neben dem Standort beispielsweise die Gesamthöhe, sowie Kronenhöhe, - umfang- und -oberfläche, und ob es sich um einen Laub- oder Nadelbaum handelt. Im digitalen Baumkataster werden alle Bäume der Stadt verzeichnet sein, auch die privaten.

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TS Photogrammetrie & Geoinformatik
by Barbara Baumgartner

Sie bringen Kühlung, verbessern die Luft, verhindern Überflutung, sind Lebensraum für viele Arten: In Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise muss Städten mehr denn je daran gelegen sein, ihre Bäume zu erhalten. Meran setzt dabei auf neue Technologie – und auf ein neues Bewusstsein.

An zwei aufeinanderfolgenden klaren Tagen Mitte Februar dieses Jahres kreiste etwa 400 Meter hoch über Meran ein Hubschrauber, um mit einer speziellen Laser-Technik (Lidar) die schönste Besonderheit der Stadt zu vermessen: den historischen Baumbestand. Mehr als 200 Arten wachsen in der Stadt, darunter viele Exoten – ein Erbe ihrer Kurortkarriere, als man Pflanzen aus aller Welt heranschiffte. Viele dieser Bäume sind über hundert, die ältesten über 150 Jahre alt. Je nach Standort sind sie mehr oder weniger den urbanen Zumutungen ausgesetzt – Bodenverdichtung, Abgasen, Streusalz, Hundeurin … –, alle jedoch müssen die größere Hitze und längeren Dürreperioden ertragen, die der Klimawandel mit sich bringt. Diese Bäume brauchen viel Aufmerksamkeit und Pflege, und die gut 8000 auf städtischen Flächen haben beides in den vergangenen Jahren in hohem Maß erhalten. „Wir kennen jeden öffentlichen Baum sehr genau“, sagt die Forstwirtin Anni Schwarz, die als ehemalige Direktorin der Stadtgärtnerei lange für diese Zuwendung verantwortlich war. Jetzt hat Schwarz als technische Funktionärin die Leitung eines Projekts übernommen (JUSTNature, finanziert durch das Horizon Programm der EU), das weiter greift: Man will auch die Bäume in Privatbesitz genauer kennen, um sie besser zu schützen. Der Laserscan vom Hubschrauber aus war der erste Schritt.

Bei der großflächigen Vermessung mit Laserscan (Lidar-Technik) tasten Laserstrahlen das Untersuchungsgebiet ab, um räumliche Strukturen zu erfassen – je nach Profil fallen die Reflexionen unterschiedlich aus. Es entstehen sogenannte Punktwolken mit Millionen Messdaten. Nicht benötigte Informationen werden herausgefiltert; eine erste Klassifizierung sortiert die Vegetation in niedere, mittlere und hohe.© | TS Photogrammetrie & Geoinformatik

Im EU-Projekt JUSTNature arbeiten Pilotstädte in ganz Europa daran, durch „naturbasierte“ Lösungen bessere Lebensbedingungen für alle zu schaffen. Dass Meran dabei den Blick auch auf die privaten Bäume richtet, sei „interessant und wichtig“, sagt die Biologin und Raumplanungsexpertin Sonja Gantioler von Eurac Research, die das gesamte Projekt koordiniert. „Meist werden naturbasierte Lösungen vor allem in Bezug auf öffentliche Flächen diskutiert. In einigen Städten ist der meiste Grünraum jedoch in Privatbesitz.“ Beim Grün von Meran sind es gut zwei Drittel. Doch wie viele Bäume stehen in diesen privaten Parks und Gärten? Welcher Art und Größe? Wer sind ihre Besitzer? Auf all diese Fragen wird man Antwort haben, ist die riesige Menge Lidar-Daten, eine Punktwolke so groß wie das Stadtgebiet, erst einmal fertig ausgewertet. Im Idealfall wird man von den privaten Bäumen ein ähnlich vollständiges Inventar anlegen können, wie die Stadt es von den öffentlichen mit dem Baumkataster schon besitzt (wobei die „Identitätskarten“ der öffentlichen Bäume bei der Identifizierung der privaten sehr hilfreich sein werden). Aus der riesigen Menge privater Bäume werden dann hundert bis zweihundert besonders wertvolle herausgefiltert, um mit Projektmitteln fachmännisch begutachten zu lassen, wie es um ihre Gesundheit steht, und ob Maßnahmen nötig sind – ob etwa Totholz entfernt oder ein Ast gesichert werden muss. Dank der Lidar-Daten wird es zudem von jedem Baum der Stadt einen „digitalen Zwilling“ geben: eine digitale 3D-Darstellung, die ihn in seiner Position und mit seinen Merkmalen abbildet.

Bäume haben für Städte zunehmend existenzielle Bedeutung.

Diese Zwillinge könnten irgendwann vielleicht sogar als eine Art „Labor“ dienen, an denen man veränderte Bedingungen simuliert und die Auswirkungen beobachten kann, erklärt Gantioler. Ganz unmittelbar nützlich werden die Aufnahmen beispielsweise für die Landschaftskommission sein, um sich ein wirklichkeitsgetreues Bild der Situation zu verschaffen, wenn sie Bauprojekte begutachten muss: Stehen da wirklich nur drei kleine Bäume, wie der Projektleiter behauptet, oder sind es prächtige Exemplare? Denn so unscharf die Vorstellung vom privaten Grün bisher im Detail sein mag, eines weiß man seit Langem: Der Druck, es zuzubauen, ist enorm. „Die Stadt ist sehr attraktiv; sie wächst, soll jedoch nicht über ihre Grenzen hinauswachsen. Das bedeutet: Verdichtung“, erklärt Schwarz.

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Ob sich jede einzelne Baumart genau identifizieren lässt, muss sich noch zeigen. Mit Sicherheit bestimmen kann man aber Kronenhöhe und Kronendurchmesser – wichtige Indikatoren für die Durchgrünung der Stadt. Unmittelbar nützlich sind die Aufnahmen auch für die Landschaftskommission, um sich ein wirklichkeitsgetreues Bild der Situation zu verschaffen, wenn sie Bauprojekte begutachten muss.© - TS Photogrammetrie & Geoinformatik
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Inwieweit es möglich sein wird, alle Bäume zu identifizieren, muss sich noch zeigen: Palmen sind sehr gut zu erkennen, bei Zedern, die oft mehrere Kronen haben, ist die Sache weniger einfach. Was man jedoch sehr exakt bestimmen kann, sind neben Baumhöhe und Stammdicke auch Kronenhöhe und Kronendurchmesser jedes Baums. „Diese Parameter sind gute Indikatoren für die Durchgrünung, liefern weit mehr Informationen als nur die Anzahl der Bäume oder die Größe grüner Oberfläche“, erklärt Schwarz. „Ich kann besser erkennen: Wo in der Stadt gibt es Schwachstellen? Wo müssen wir etwas tun?“ „Durchgrünung“ hat nämlich für Städte heute neben des offensichtlichen ästhetischen Werts eine zunehmend existenzielle Bedeutung: Grün schützt das Klima, denn Pflanzen absorbieren CO2, und Grün mildert die Auswirkungen des Klimawandels. Bäume leisten besonders viel. Der Schatten großer Baumkronen verhindert, dass Stein- und Betonflächen sich extrem aufheizen, die Blätter sorgen für Abkühlung durch Evaporation, und weil Luft von heißen zu kühlen Bereichen strömt, entstehen sogar leichte Brisen. All dies wirkt gegen die berüchtigten urbanen Hitzeinseln. Auch Überflutungen nach Starkregen werden unwahrscheinlicher, denn die Pflanzen nehmen schon überirdisch Wasser auf und unter der Erde verbessern die Wurzelsysteme die Speicherfähigkeit des Bodens. Bäume filtern schädliche Gase aus die Luft und binden Feinstaub, sind Lebensraum für Vögel, Kleintiere und Insekten. Bäume dämpfen den Straßenlärm. Kurz: Soll das Leben in der Stadt auch im Sommer erträglich bleiben, brauchen wir Bäume.

Das dominierende Gefühl bei Besitzern alter Bäume ist die Angst vor der Verantwortung.

Anni Schwarz

Doch die Bäume können uns nur retten, wenn wir sie retten. In Meran hat man das früher als andernorts in Südtirol erkannt, und als erste Stadt der Provinz 2001 eine Baumschutzsatzung verabschiedet: Bäume, deren Stamm auf ein Meter Höhe einen Durchmesser von 30 cm oder mehr hat, dürfen seitdem nicht mehr ohne Genehmigung gefällt werden. Ist die Fällung nötig, muss man die verlorenen Bäume durch geeignete neue ersetzen. Wobei „geeignet“ heute auch heißt, dass sie mit den Bedingungen des Klimawandels zurechtkommen. Starke Hitze und Wassermangel schwächt viele Baumarten, sie werden anfälliger für Krankheiten. Städte, deren Baumbestand nur aus wenigen Arten besteht, sind in keiner guten Lage: Wird eine der Arten von Krankheit befallen, verliert die Stadt möglicherweise auf einen Schlag gerade dann einen großen Teil ihrer in vielen Jahrzehnten gewachsenen Schattenspender, wenn sie sie am notwendigsten bräuchte. Meran, 2022 für den erfolgreichen Erhalt des wertvollen Baumbestands mit dem internationalen Award „European City of the Trees“ ausgezeichnet, schützt die große Vielfalt der Arten vor so einem Albtraum.

Nicht jedoch vor einem anderen Risiko des Klimawandels: den zunehmenden Extremereignissen, in denen Bäume selber zur Gefahr werden können. 2019 beschädigten oder entwurzelten starke Windböen in Meran mehrere Bäume, eine Mutter und ihr Kind wurden verletzt. „Das war schon eine Art Trauma für die ganze Stadt“, sagt Schwarz, der die Leitung der Stadtgärtnerei nicht nur Einblick in Gärten mit prächtigen alten Bäumen verschaffte, sondern auch in die Gemütslage der Besitzer: „Das dominierende Gefühl ist da die Angst vor der Verantwortung.“ Sie versteht diese Angst gut, schließlich war sie für tausende Bäume verantwortlich. „Wenn man eine alte Zeder vor dem Haus stehen hat und sieht, wie die sich bei Sturm hin und her neigt: Das kann einem schon den Schlaf rauben.“ Deshalb sei das zentrale Ziel des Projekts, die Baumbesitzer zu unterstützen – und zwar in einem viel weiteren Sinn, als durch die kostenlosen Gutachten (eine Hilfe, die ohnehin durch das verfügbare Budget für die nächsten drei Jahre begrenzt ist). „Es geht vor allem auch darum, den Baumbesitzern mehr Wertschätzung entgegenzubringen, denn sie leisten enorm Wichtiges für die Allgemeinheit, indem sie sich um diese Bäume kümmern – eine Leistung, die mit Kosten, Arbeit und eben auch Verantwortung verbunden ist.“ Doch statt Anerkennung zu erhalten, seien Baumbesitzer und -besitzerinnen häufig sogar „Anfeindungen“ ausgesetzt, heißt es in einer Presseaussendung der Stadt Meran: wegen des Laubs im Herbst, oder weil der im Sommer willkommene Schatten in den anderen Jahreszeiten weniger willkommen ist. Dazu sei der Konflikt mit Photovoltaik-Anlagen gekommen, sagt Schwarz.

Entlang Merans Promenaden und Straßen, in den öffentlichen Parks und Gärten wachsen mehr als 8000 Bäume, viele über 100 Jahre alt. Die Stadt tut viel, um diesen Schatz zu erhalten. Doch das Grün Merans ist nur zu einem Drittel öffentlich – deshalb will man nun auch mehr über die privaten Bäume wissen.© Adobe Stock | C3434 Klaus Nowottnick

Angesichts dieser Herausforderungen möchte man in Meran ein neues Bewusstsein schaffen. Statt unter dunklen Vorahnungen und bösen Blicken der Nachbarn zu leiden, sollen Menschen stolz auf den Baumbestand in ihrem Garten sein und auf den Beitrag, den sie für die urbane Lebensqualität leisten, wie Marco Masin sagt, der neue Dienststellenleiter der Stadtgärtnerei. Es gibt auch schon Ideen dazu, wie man dieses Gefühl stärken könnte, etwa durch organisierte Führungen zu besonders wertvollen Privatbäumen oder Baum-Patenschaften. Eine andere Möglichkeit sei, die digitalen Zwillinge auf einer Plattform zur Co-Governance von Grünraum zu veröffentlichen, wie sie im Rahmen von JUSTNature gerade entwickelt wird, erklärt Gantioler: „Wer möchte, soll Verantwortung für ein Stück Grün übernehmen können und mitgestalten dürfen. Auch für bestimmte Bäume könnten Menschen sich so engagieren.“ Das wäre dann ein weiterer Schritt: Eine innovative Umsetzung der schönen Idee, dass Bäume, egal wo sie stehen, alle angehen.

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Das EU-Projekt JUSTNature

Koordiniert von Eurac Research untersuchen 20 europäische Partner in einem fünfjährigen Forschungsprojekt, wie ein gerechter Übergang zu klimafreundlicheren Städten aussehen kann. In sieben Städten mit unterschiedlichen klimatischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen – von Leuven in Belgien bis Gzira auf Malta –, sollen „naturbasierte Lösungen“ umgesetzt werden, die zu besserer Luftqualität und niedrigeren Emissionen beitragen; zudem sollen die Lösungen den Zugang zu ökologischem Raum besonders für bislang in dieser Hinsicht benachteiligte Bevölkerungsgruppen verbessern. In Südtirol sind Bozen und Meran Projektpartner. https://justnatureproject.eu/

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