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„Eine so weitreichende Konvention würden die Staaten heute nicht mehr unterzeichnen“

Zum 32. Geburtstag der Alpenkonvention: Ein Gespräch mit der Generalsekretärin

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Alenka Smerkolj ist seit Juli 2019 Generalsekretärin der Alpenkonvention; sie ist die erste Frau in diesem Amt.

© Eurac Research | Annelie Bortolotti

Annelie Bortolotti
by Barbara Baumgartner, Sigrid Hechensteiner

Die Slowenin Alenka Smerkolj ist seit 2019 Generalsekretärin der Alpenkonvention, die als internationaler Vertrag die nachhaltige Entwicklung und den Schutz der Alpen garantieren soll. Im Interview erklärt Smerkolj, was sie als größte Errungenschaft des Abkommens sieht, welcher offizielle Besuch sie sehr glücklich machte und warum eine heute unterzeichnete Konvention sicher weniger ambitioniert wäre.

32 Jahre Alpenkonvention: Wo würden die Alpen ohne sie definitiv schlechter dastehen?

Alenka Smerkolj: Sicher beim Klimaschutz, auch wenn es von außen betrachtet nicht so aussehen mag: Der Begriff Klimawandel kommt ja in der Konvention nicht einmal vor, denn als sie ausgearbeitet wurde, konnten selbst Fachleute damit noch wenig anfangen. Wir haben in diesem Bereich aber in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht und uns auf sehr konkrete Maßnahmenbündel geeinigt. Das andere Feld ist Verkehr. Auch hier gibt es einen konkreten Aktionsplan, unterzeichnet von den Umwelt- und Verkehrsministern, um zu einem nachhaltigen Verkehrssystem zu gelangen. So soll der Alpenraum bis spätestens 2050 zum Vorreiter bei alternativen Mobilitätsmodellen werden, etwa durch die gemeinsame Entwicklung und Umsetzung von nationalen, regionalen und lokalen Masterplänen um das Radfahren und Zufußgehen zu fördern.

Konnte dank der Konvention auch konkreter Schaden abgewendet werden?

Smerkolj: Oh ja, da gibt es mehrere Beispiele – ein perfektes hier vor der Haustür: Das Projekt, Venedig und München mit einer Autobahn zu verbinden, der Alemagna. Das Verkehrsprotokoll der Alpenkonvention enthält dazu eine klare Aussage. In Artikel 11 verpflichten sich die Vertragsparteien, auf den Bau neuer hochrangiger Straßen für den alpenquerenden Verkehr zu verzichten. Das Protokoll ist seit 2002 in Kraft und ist Teil der EU-Gesetzgebung. Ungeachtet dessen hat die Region Venetien das Projekt bei einer Generalversammlung der EUSALP (EU-Alpenraumstrategie) vor ein paar Jahren wieder aufs Tapet gebracht. Und das war nicht der erste Versuch, die Idee der Alemagna-Weiterführung (von Mestre bis Belluno gibt es die Autobahn ja schon) wiederzubeleben. Also wie man sieht, geistern solche Projekte immer noch durch die Köpfe – und ohne die Alpenkonvention würden sie womöglich verwirklicht werden.

Acht Staaten, 190.700 km²: das Gebiet der Alpenkonvention© Ständiges Sekretariat der Alpenkonvention

Sie haben einmal gesagt: Würde die Alpenkonvention heute ausgearbeitet, sie wäre mit Sicherheit nicht so weitreichend. War die Politik damals mutiger?

Smerkolj: Das ist keine Frage von Mut oder Ängstlichkeit, es waren einfach völlig andere Zeitumstände. In den frühen neunziger Jahren herrschte eine besondere Stimmung und Energie, auch in der Politik. Man vertraute darauf, Probleme gemeinsam lösen zu können. Einige wichtige globale Abkommen wurden in jenen Jahren ausgearbeitet, etwa das Kyoto-Protokoll, das 1997 unterzeichnet wurde und erstmals verbindliche Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen festschrieb. Was die Alpenkonvention angeht, muss man trotzdem sagen, dass ihre Initiatoren wirkliche Visionäre waren. Wer redete denn vor 32 Jahren schon von nachhaltiger Entwicklung? Selbst im Jahr 2000 wussten viele noch nicht, was genau damit gemeint ist.

Das Verkehrsprotokoll hat Zähne: Damit kann man vor Gericht gehen und etwas erreichen.

Alenka Smerkolj

In welchen Punkten wäre eine Einigung heute schwieriger?

Smerkolj: Zweifellos in den Bereichen Energie und Landnutzung, wo Naturschutz und Sicherung der Energieversorgung häufig in Konflikt miteinander stehen. Man denke nur an die Schwierigkeiten für Landschafts- und Naturschutz, wenn neue Windräder oder neue Wasserkraftwerke gebaut werden sollen. Und natürlich beim Verkehr: Ein Verkehrsprotokoll in dieser Form wäre heute nicht mehr möglich. Es war schon damals das komplizierteste Protokoll, die Verhandlungen zogen sich zehn Jahre lang hin, es gab sehr schwierige Auseinandersetzungen. Dafür ist es jetzt eines der Protokolle, die wirklich Zähne haben, wie wir sagen: Mit diesen Protokollen kann man vor Gericht gehen und etwas erreichen. Dagegen ist etwa das Protokoll zum Tourismus weicher: Es verpflichtet zu wenig, alles, was darin enthalten ist, beruht auf dem freiwilligen, verantwortungsvollen Handeln der Vertragsparteien.

Kann die Alpenkonvention denn beim Thema Klimaschutz ein konkretes rechtliches Instrument sein – obwohl er, wie Sie hervorgehoben haben, in den Protokollen nicht ausdrücklich erwähnt ist?

Smerkolj: Unbedingt. Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe, da spielen sehr viele Bereich herein. Liest man die Alpenkonvention, sieht man: Auch wenn der Begriff nicht vorkommt, ist Klimaschutz und -anpassung dort schon verankert. Und zusammengenommen sind diese Protokolle – zu Naturschutz und Landschaftspflege, Bodenschutz, Verkehr, Energie etc. – sehr stark. Wir haben oft darüber diskutiert, ob wir das Thema Klimaschutz direkt in die Protokolle aufnehmen sollten. Doch das hieße, neu zu verhandeln – und herauskommen würden mit Sicherheit schwächere Protokolle, denn die Regierungen sind derzeit nicht bereit, starke Verpflichtungen einzugehen. Letztlich schien es uns deshalb immer besser, die Protokolle nicht anzurühren und mit dem zu arbeiten, was da ist. Denn damit kann man arbeiten: In Österreich wurde unter Berufung auf das Protokoll zum Bodenschutz erfolgreich die Erweiterung einer Liftanlage verhindert.
Die Bedeutung der Alpenkonvention als rechtliches Instrument ist nicht sonderlich bekannt – aber wenn Menschen, Gemeinden, oder Regionen es brauchen, wissen sie das Instrument sehr gut zu nutzen.

Klimaschutz ist in der Konvention tief verankert, auch wenn der Begriff nicht vorkommt.

Alenka Smerkolj

2019 setzte die Alpenkonvention sich in der „Erklärung von Innsbruck“ zum Ziel, bis 2050 klimaneutral und klimaresilient zu werden: Ist das zu schaffen?

Smerkolj: Das ist eine Frage für die Fachleute – von denen manche sagen, vollständige Klimaneutralität ist überhaupt nicht zu erreichen. Sicher ist, dass wir Fortschritte machen; genauso sicher, dass es viel zu langsam geht. Dennoch bin ich optimistisch in dem Sinne, dass ich glaube, die Natur selbst wird uns zwingen, sehr viel schneller zu handeln als wir es vorhatten; wir haben ja gesehen, was dieses Jahr überall in den Alpen passiert ist – die starken Regenfälle, die Flüsse über die Ufer treten ließen, die Erdrutsche, Schlammlawinen, Hagelstürme. Es ist aber an uns allen, zu handeln, das ist nicht nur eine Sache der Regierungen oder Investoren: Jeder Einzelne muss für sich selbst entscheiden, auf welcher Seite er stehen will.

Vom Klimawandel sind Berggebiete weltweit besonders betroffen – ist es Zeit für ein globales Bündnis?

Smerkolj: Mit jedem Jahr in dieser Position bin ich mehr davon überzeugt: Die Stimmen zu vereinen, ist der einzige Weg. Zum Glück geht die Entwicklung genau in diese Richtung. Im der Hindukusch-Himalaya-Region, wo die Auswirkungen extrem stark zu spüren sind, hat der Klimawandel Länder zusammengebracht, die mehr oder weniger alle in offenem Konflikt miteinander stehen – es klang für mich wie ein Traum, als ich zum ersten Mal davon hörte! Eine hochrangige Arbeitsgruppe ist nun dabei, die Basis einer institutionellen Struktur für den Austausch und die Zusammenarbeit zu schaffen: Man will gemeinsam erörtern, wie man in der Anpassung vorankommen und Katastrophen verhindern kann. Und vergangenes Jahr hatten wir das große Privileg, diese Arbeitsgruppe mit Vertretern verschiedener Länder ein paar Tage zu einem Studienbesuch bei uns zu haben – ich war da wohl einer der glücklichsten Menschen auf der Erde. Sie wollten sehen, wie wir in der Alpenkonvention arbeiten, mit welchen Herausforderungen wir zu kämpfen haben, was in Verhandlungen funktioniert und was nicht … Die gesammelte Erfahrung der Alpenkonvention ist für andere Bergregionen sehr wertvoll.

Die Stimmen der Berggebiete zu vereinen ist der einzige Weg.

Alenka Smerkolj

Den Staaten im Hindukusch-Himalaya-Hochgebirge dient die Alpenkonvention also als Modell?

Smerkolj: Nur als Inspiration. Eine Konvention werden sie nicht unterzeichnen, für diesen Grad rechtlicher Verbindlichkeit sind sie noch nicht bereit; aber es scheint, dass sie ein zwischenstaatliches Forum in der Art des Arktischen Rats schaffen wollen. Wir haben ihnen bei der Ausarbeitung der Dokumente geholfen, und wirklich sehr viel Zeit investiert – aber ich denke, jedes Abkommen, das die Länder im Hindukusch-Himalaya schließen, kommt nicht nur ihnen, sondern dem gesamten Planeten zugute.

Als Ministerin haben Sie in Slowenien den nationalen Plan für nachhaltige Entwicklung ausgearbeitet – eine gute Vorbereitung auf Ihre aktuelle Aufgabe?

Smerkolj: Dieses Projekt bedeutete für mich eine große Ernüchterung – und genau darin lag auch seine größte Lehre. Ich habe erfahren, wie Ministerien arbeiten: Jedes für sich. Obwohl die Probleme und Herausforderungen so offensichtlich zusammenhängen, so eng verflochten sind, dass man Lösungen nur gemeinsam finden kann. Diese Silo-Mentalität verhindert wichtige Fortschritte in der politischen Gestaltung. Ich dachte damals, es handle sich um ein slowenisches Problem, aber inzwischen weiß ich: Sobald man sich auf Ministeriumsebene bewegt, sieht es überall gleich aus. Wir müssen unsere Regierungsmodelle und Strukturen dringend modernisieren. Warum nicht themenbezogen arbeiten, anstatt nach Ressorts, wo doch jede Entscheidung eines Ressorts viele andere beeinflusst? Ich glaube, hier liegt die größte Leistung der Alpenkonvention: Dass man erkannt hat, wie eng verflochten die Herausforderungen im Alpenraum sind und deshalb immer wieder die verschiedenen Ebenen und Bereiche miteinander ins Gespräch gebracht hat: Stimmen aus den Regionen und Gemeinden, der Zivilgesellschaft, Beamtenschaft, Fachleute und Laien. Und alle sind gezwungen, miteinander zu reden und sich gegenseitig zuzuhören, denn am Ende müssen wir zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen.

Die Alpenkonvention


Die Alpenkonvention ist ein verbindlicher völkerrechtlicher Vertrag zum Schutz der Alpen – ihrer sensiblen Ökosysteme ebenso wie der kulturellen Identitäten. Sie wurde am 7. November 1991 von den Alpenländern und der EU unterzeichnet. Die Rahmenkonvention enthält die Leitprinzipien für ein nachhaltiges Leben in den Alpen, spezifische Verpflichtungen sind in thematischen Zusatzprotokollen niedergelegt. Das ständige Sekretariat der Alpenkonvention hat seinen Sitz in Innsbruck und eine Außenstelle in Bozen, am Hauptsitz von Eurac Research. Das Büro in Bozen koordiniert alpenweite Forschungsaktivitäten der Konvention und ermöglicht „den direkten Kontakt mit der Wissenschaft“, wie Generalsekretärin Alenka Smerkolj sagt, die besonders den engen Austausch mit Forschungsteams von Eurac Research in Bereichen wie Regionalentwicklung, alpine Umwelt oder Erdbeobachtung hervorhebt, ebenso wie mit dem Zentrum zum Schutz und Erhalt von Gebirgsräumen. Der Vorsitz der Alpenkonvention wechselt alle zwei Jahre, 2023 hat ihn Slowenien übernommen und drei thematische Schwerpunkte gesetzt, die sich mit denen des mehrjährigen Arbeitsprogramms der Konvention decken: Klimawandel, Biodiversität und Lebensqualität. Zum Thema Lebensqualität ist gerade ein umfassender Bericht über die Situation in den Alpen in Ausarbeitung, der das Instrument sein soll, um die Lebensumstände in den verschiedenen Alpenregionen je nach den spezifischen Bedürfnissen zu verbessern. 2025 übernimmt Italien den Vorsitz der Alpenkonvention. Das Thema Biodiversität wird mit Sicherheit auch unter italienischer Präsidentschaft zentral bleiben. Es wurde auch schon ein Projektvorschlag für ein alpenweites Programm zum Biodiversitätsmonitoring eingereicht, koordiniert von Eurac Research.

Alenka Smerkolj

Alenka Smerkolj ist Absolventin der Philosophischen Fakultät der Universität von Ljubljana. Sie war viele Jahre lang Direktorin in der größten slowenischen Bankengruppe, der Nova Ljubljanska Banka, und für die internationalen Aktivitäten und Finanzmärkte der Bank zuständig. Ab 2014 war sie Ministerin für Entwicklung und Kohäsionsfonds in der slowenischen Regierung. Im Juli 2019 wurde Smerkolj die erste Frau an der Spitze des Ständigen Sekretariats der Alpenkonvention.

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