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„Integration gilt in Südtirol noch als Randthema“

Viele Initiativen, doch keine verbindliche Planung – eine Studie von Eurac Research hat die Integrationspolitik in Südtirol untersucht

Annelie Bortolotti
Credit: Eurac Research | Annelie Bortolotti
by Laura Defranceschi

Angebote zur Lese- und Sprachförderung, Kultur- und Kochabende – Initiativen für ein gutes Zusammenleben zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gibt es in den Südtiroler Gemeinden viele. Doch fehlt es noch an langfristigen Strategien, wie die Studie „Integration vor Ort: Perspektiven und Potentiale“ zeigt. Im Interview erklärt Studienleiterin und Migrationsexpertin Verena Wisthaler, warum viele Integrationsbeauftragte aufgeben und wo dringend angesetzt werden muss.

Immer wieder wird in lokalen Medien über Gewaltvorfälle berichtet, in die Jugendliche mit Migrationshintergrund involviert sind – woraus dann geschlossen wird, Südtirol habe ein „Migrationsproblem“. Wird in Südtirol zu wenig für ein gutes Zusammenleben zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund getan?

Verena Wisthaler: Ich glaube nicht, dass zu wenig getan wird. Die Gewaltprobleme betreffen hauptsächlich drei Städte: Bozen, Meran und Brixen. Und ich glaube, dass hier nicht der Migrationshintergrund das primäre Problem ist, sondern sozioökonomische Schwierigkeiten. Das Problem sehe ich hier vor allem darin, dass zu wenig für Jugendliche getan wird, die sich in schwierigen Situationen befinden. Um das Zusammenleben und den Austausch zu fördern, wird in den Gemeinden viel getan. Es gibt viele Projekte speziell für Frauen – zum Beispiel Sprachkurse – , in denen versucht wird, sie gemeinsam mit ihren Kindern in das Dorfleben zu integrieren. Was es aber nicht gibt, ist eine verbindliche Planung. Es fehlt zum Beispiel eine langfristige Strategie zur Integration sowohl auf Gemeinde- als auch auf Landesebene. Ein weiteres Problem ist auch, dass die einheimische Bevölkerung viele Initiativen als Angebot an Menschen mit Migrationshintergrund begreift und sich nicht beteiligt, womit sie sich nicht besonders auf das „Zusammenleben“ auswirken können. Beispiel Gröden: Dort wird einmal im Monat ein gemeinsames Wandern für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund organisiert. Doch gehen dort nur wenige Einheimische mit, da sie ohnehin wandern gehen und sich fragen, warum sie darüber hinaus auch noch „mit denen“ mitgehen sollen. Und so endet die Initiative, die den Austausch fördern sollte, damit, dass die Neubürgerinnen und Neubürger schlussendlich unter sich bleiben.

Wie steht Südtirol im Vergleich mit den Nachbarregionen da?

Wisthaler: In Tirol beispielweise fokussiert man sich viel mehr auf Leitbilder oder Integrationspläne – fast jede Gemeinde hat sie. Bei uns in der Provinz gibt es dazu aber unterschiedliche Meinungen. Manche sagen, ähnlich wie beim Klimaplan brauche es ein verbindliches Dokument mit klaren Vorgaben und Zielen auch für die Integration. Andere sind jedoch der Meinung, dass so etwas vielleicht in der Wirtschaftswelt wirkt; wendet man es aber auf Kultur oder andere Phänomene wie Migration oder Integration an, sei es nicht sinnvoll. Denn diese Themen erfordern Flexibilität, es geht mehr um Sensibilisierung – darum, eine bestimmte Haltung zum Thema aufzubauen, weniger um klare Vorgaben und Ziele, die einfach abgehakt werden können, aber keine Garantie geben, dass sich im Zusammenleben tatsächlich etwas verbessert.

Es fehlt eine langfristige Strategie zur Integration sowohl auf Gemeinde- als auch auf Landesebene.

Verena Wisthaler, Migrationsexpertin von Eurac Research

Ihr habt Integrationsbeauftragte in allen Südtiroler Gemeinden gefragt, wie es ihnen mit ihrer Arbeit geht. Gab es Aussagen, die euch Forscherinnen überrascht oder besonders bewegt haben?

Wisthaler: Es ist immer dasselbe: Einige sind extrem motiviert; irgendwann merken sie, dass nichts zurückkommt und fühlen sich alleingelassen. Das führt dazu, dass sie immer demotivierter werden und schlussendlich aufgeben. Das ist eben die große Herausforderung: Wie kann man es schaffen, dass diese Leute ihre Motivation nicht verlieren. Das Budget ist meistens nicht hoch, die Anerkennung im Gemeinderat ist auch nicht groß, weil Integration eher als Randthema angesehen wird. Was mich überrascht hat, war, dass sich einige Gemeinden in Eigeninitiative mit ihren Nachbargemeinden zusammengeschlossen haben, weil sie gemeinsam mehr Leute erreichen und mehr Möglichkeiten haben. Es sind ohnehin immer dieselben Problematiken in den Gemeinden. Das funktioniert zum Beispiel in Gröden sehr gut oder auch im Unterland. So bündeln sie ihre Energie, und es wird leichter, im Netzwerk zu agieren.

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Eurac Research/ Oscar Diodoro, Fabio Dalvit

Wo muss in der Migrationspolitik in Südtirol angesetzt werden? Was braucht es dringend?

Wisthaler: Ich finde, das Thema braucht mehr öffentliche Aufmerksamkeit, aber im positiven Sinne – nicht immer als Migrationsproblem und Sicherheitsproblem mit dem Ansatz „die wollen sich nicht integrieren und können unsere Sprache nicht; die Kinder in den Schulen sind ein Problem für die anderen, weil sie den Unterricht bremsen“. Es braucht erstens ein Bekenntnis, dass die Integration neuer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu uns und zu Südtirol gehört. Das ist ein Teil von uns. Wir müssen diesem gesellschaftlichen Wandel positiv entgegenschauen, etwas dafür tun, dass er von allen akzeptiert wird und die positiven Seiten sehen.

Welche wären das?

Wisthaler: Einmal, dass es in Südtirol nicht langweilig wird, finde ich. Denn unterschiedliche Meinungen, Religionen, Sprachen und Kulturen sind immer etwas Spannendes, eine Gelegenheit, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und die eigene Perspektive zu überdenken. Die ganze Gesellschaft profitiert von Migration: Es kommen neue, dringend nötige Arbeitskräfte, das Problem der alternden Bevölkerung wird abgemildert. Zudem ist Migration ein Phänomen, das die ganze Welt betrifft; man kann es nicht einfach zum Verschwinden bringen.

Was passiert jetzt mit den Ergebnissen der Studie?

Wisthaler: Als erstes stellen wir die Ergebnisse vor. Wir diskutieren sie mit den Integrationsbeauftragten und schauen, was sie in den Gemeinden umsetzen können und was sie anders machen können. Zweitens braucht die Provinz einen Mehrjahresplan zur Integration. Diese Ergebnisse sind die Grundlage dafür. Drittens wollen wir versuchen, gemeinsam mit der Landeskoordinierungsstelle und mit den Gemeinden mehr zusammenzuarbeiten – also Netzwerke aufzubauen, sie besser zu begleiten, Inputs zu geben oder auch über die Provinz hinaus einen Austausch mit anderen italienischen Regionen und mit Tirol zu fördern.

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Zur Studie „Integration vor Ort: Perspektiven und Potentiale“

Einige Ergebnisse im Überblick: Die Südtiroler Gemeinden setzen eine Vielzahl an Einzelmaßnahmen um, es fehlt aber an langfristigen und nachhaltigen Strategien.

Integrationsbeauftragte sind zentral für die Integrationsarbeit vor Ort, es fehlt aber oft an Strukturen, Budget und Stabilität.

Institutionalisierung sowie eine langfristige und nachhaltige Planung des Politikfelds Integration fehlen.

Die Studie „Integrationspolitik vor Ort: Perspektiven und Potentiale“ hat das Institut für Minderheitenrecht von Eurac Research im Auftrag der Koordinierungsstelle für Integration des Landes durchgeführt. Die Datengrundlage der Studie bildet einerseits ein Fragebogen, der an die Integrationsbe-auftragten aller 116 Südtiroler Gemeinden verschickt und von 62 Prozent beantwor¬tet wurde, sowie 19 Interviews mit Integrationsbeauftragten und Vertre¬tern und Vertreterinnen von Politik und Verwaltung, die im Bereich Integration tätig sind.

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