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Teure Blockade

Seit in der Ukraine Krieg ist, zahlt Italien einen hohen Preis dafür, dass die Bürokratie den Ausbau erneuerbarer Energien verhindert. Der Experte Wolfram Sparber erklärt, was sich dringend ändern muss.

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Gebremste Energie: Das Genehmigungsverfahren einer Windkraftanlage dauert in Italien im Durchschnitt fünf Jahre statt der angestrebten sechs Monate.

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Caurus di Fiorenzo Fiori
by Barbara Baumgartner

Die Ukrainekrise hat die Dekarbonisierung noch dringlicher gemacht, neben dem Klimaschutz steht nun die Unabhängigkeit von Energieimporten ganz oben auf der Agenda. Doch solange Genehmigungsverfahren für Wind- oder Solaranlagen in Italien mehrere Jahre dauern, liegt eine solche Unabhängigkeit in weiter Ferne, sagt der Experte für erneuerbare Energien Wolfram Sparber, der mit seinem Team in einer Studie detaillierte Szenarien entwickelt hat, wie das Land auch wirtschaftlich von der Energiewende profitieren kann.

Vor drei Jahren hat eines Ihrer Forschungsteams tausende mögliche Energieszenarien für Italien durchgerechnet und dadurch ein ideales Szenario ermittelt, in dem das Land durch Umstieg auf erneuerbare Energien und höherer Energieeffizienz jährlich 7,3 Milliarden Euro weniger für den Import fossiler Brennstoffe ausgegeben hätte. Wie sähe diese Rechnung heute aus?

Wolfram Sparber: In der aktuellen Situation wäre die Einsparung zwei bis drei Mal höher, würde sich also auf 14 bis 20 Milliarden Euro jährlich belaufen. Der Strompreis, in Italien historisch bei etwa 50 Euro pro Megawattstunde, ist in den vergangenen Wochen auf Spitzenwerte von über 250 Euro gestiegen und hat sich zur Zeit auf einem Niveau von deutlich über 100 Euro stabilisiert – wobei hier auch eine Rolle spielt, dass der Bedarf im Frühling vergleichsweise gering ist, die Heizungen sind aus- und die Klimaanalgen noch nicht eingeschaltet. Unsere Studie zeigt, wie man die CO2-Emissionen volkswirtschaftlich vernünftig maximal reduzieren kann; da das Hand in Hand mit der Reduzierung des Gas- und Ölverbrauchs geht, wird man natürlich gleichzeitig unabhängiger von Importen.

Wodurch ersetzen wir Öl und Gas?

Sparber: Es ist ein Mix aus diversen Maßnahmen im Bereich Effizienz und Erneuerbaren, im Wesentlichen aber durch Strom aus erneuerbaren Quellen. Im Wärmesektor werden mit Strom betriebene Wärmepumpen die wichtigste Alternative sein, um die Gasheizung abzulösen, die in Italien die vorherrschende Technologie ist; in der Mobilität gilt es von Benzin- oder Dieselantrieb auf Elektromotoren umzusteigen. Wir brauchen also viel mehr erneuerbaren Strom, insbesondere aus Wind- und Sonnenenergie. Italien hat glücklicherweise bei beiden ein hohes Potenzial. Es geht also darum, die heutigen Kosten für importiertes Öl und Gas in Investitionen in das italienische Energiesystem zu verwandeln: in mehr Windkraft- und Photovoltaikanlagen, in den Ausbau der Stromnetze, in die Energieeffizienz von Gebäuden.

Jede Investition in Gas-Infrastruktur bedeutet, dass ein massives Interesse besteht, sie über Jahrzehnte zu nutzen.

Wolfram Sparber

Klimaschutz und Befreiung aus verhängnisvoller Abhängigkeit: Alles spricht dafür, dass endgültig die Stunde der erneuerbaren Energie gekommen ist. Doch nun sollen Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen werden, die Steuern auf Treibstoff werden reduziert: Wirft die aktuelle Krise uns also eher zurück?

Sparber: Das ist eine gute Frage. Ich sehe Impulse in verschiedene Richtungen. Zum einen wird stark in Gasinfrastruktur investiert: in Gasleitungen, Gasbohrungen. Staaten wie Italien und Deutschland klappern im Moment sämtliche gas- und ölexportierende Länder ab und bitten fast auf Knien: Liefert uns mehr! Das ist bis zu einem gewissen Punkt verständlich, weil man nach kurzfristigen Alternativen sucht. In meinen Augen ist es aber die falsche Richtung, denn jede Investition in diese Infrastruktur bedeutet, dass ein massives Interesse besteht, sie über Jahrzehnte zu nutzen. Es handelt sich hier um Investitionen von vielen Milliarden Euro, getätigt von privaten Unternehmen, die dann natürlich möglichst lange damit Profite erwirtschaften wollen. Das heißt, hier wird ein Lock-In geschaffen, wir schließen uns in eine Technologie ein, die wir eigentlich zurückfahren müssten. Andererseits hat die Regierung aber auch angekündigt, die Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien vereinfachen und beschleunigen zu wollen.

Bislang sieht es da schlecht aus: Laut der Umweltorganisation „Legambiente“ dauert das Genehmigungsverfahren einer Windanlage im Durchschnitt fünf Jahre statt der angestrebten sechs Monate.

Sparber: Ja – und hier hört mein Verständnis auf. Tausende Projekte für Anlagen erneuerbarer Energie stecken derzeit in Italien in der Genehmigungspipeline fest. Projekte privater Investoren, die die öffentliche Hand keinen Euro kosten. Der Staat muss nur entscheiden, ob sie gebaut werden dürfen, eventuell mit welchen Auflagen, oder nicht. Wenn aber vier, fünf, manchmal acht Jahre vergehen, bis diese Entscheidung fällt, dann kann man sich vorstellen, wie lange es dauern wird, bis Italien von Energieimporten unabhängig wird.

Insbesondere auf lokaler Ebene neigen Ämter stark dazu, Anträge aus Angst vor Kritik oder vor Rekursen zurückzuweisen.

Wolfram Sparber

Warum dauern die Verfahren so lange?

Sparber: Das Problem ist, dass zu viele verschiedenen Ebenen mitentscheiden: Hat ein Projekt eine Stufe überwunden, besteht immer das Risiko, dass es bei der nächsten wieder zurückgeworfen wird. Insbesondere auf lokaler Ebene neigen Ämter stark dazu, Anträge aus Angst vor Kritik oder vor Rekursen zurückzuweisen. Investoren haben mir erzählt, dass Gemeindevertreter ihnen ganz offen sagen: „Ich finde dein Projekt gut, doch ich kann mir im Moment keine Kritik leisten; deshalb werde ich es ablehnen und du gehst vor Gericht – das zieht sich dann zwar ein paar Jahre hin, aber du wirst den Prozess gewinnen, weil du alle Auflagen erfüllst; und ich handle dann auf Anordnung des Gerichts, kann also den Kritikern sagen, ich hatte keine Wahl.“ Die Anlage wird schließlich gebaut – aber man hat so viel Zeit verloren!

Und das Projekt ist inzwischen womöglich überholt?

Sparber: Das ist eines der großen Probleme. Während ein Projekt auf die Genehmigung wartet, geht die technologische Entwicklung natürlich weiter. Ein konkretes Beispiel. Bei der Windenergie ist heute der klare Trend, größere Anlagen zu bauen, von denen man dann weniger braucht, weil sie mehr Strom erzeugen. Die neuen Anlagen drehen sich langsamer, und die Eingriffe im Gelände sind geringer: Man muss weniger Fundamente legen, weniger Straßen bauen. Ein Projekt, das nach acht Jahren Verfahren die Genehmigung erhält, wurde vor zehn Jahren ausgearbeitet. Der Windradhersteller hat in der Zwischenzeit aber seine Anlagen längst weiterentwickelt, die alten bietet er gar nicht mehr an. Der Investor muss also versuchen, die ursprünglichen Anlagen noch auf irgendeinem Zweitmarkt zu bekommen – oder ein neues Ansuchen starten, weil er seinen Windpark neu planen muss.

Stoßen Windkraftanlagen nach Ihrer Beobachtung auf mehr Widerstand als Sonnenenergie?

Sparber: Das könnte man annehmen, weil man einen Windpark aus größeren Entfernungen sieht. Aber de facto ist es nicht so: Italien ist generell leider im Augenblick ein Land, in dem sehr wenig genehmigt wird.

Mehr davon: Südtirol nutzt derzeit höchstens ein Sechstel seines Solarpotenzials.© Eurac Research

Trifft dies auch auf Südtirol zu?

Sparber: Auf einer kleineren Ebene. Auch in Südtirol sind in den letzten Jahren sehr wenige Anlagen realisiert worden (wenige MW pro Jahr an neu installierter Leistung), und die Probleme sind ähnlich. Die Haltung „Nicht bei mir“ bzw. „Nicht in meiner Amtszeit“ ist auch bei uns nicht unbekannt. Natürlich ist Sensibilität für die Landschaft wichtig, natürlich müssen wir die historischen Ortskerne schützen. Aber angesichts der Herausforderungen brauchen wir auch ein wenig Mut, Neues zuzulassen, neue Lösungen zu finden. Und insbesondere brauchen wir klare Richtlinien, mit kurzen Entscheidungswegen.

Wie viel Sonnenergie lässt Südtirol ungenutzt?

Sparber: 2014 haben wir im Rahmen der Studie Solar Tirol das Photovoltaik-Potenzial erhoben und sind zu dem Schluss gekommen, dass damals nur ein Fünftel davon ausgeschöpft wurde. Wobei unsere Berechnung nur Dächer einbezogen hat – und keine Norddächer – , keine hypothetischen Bodenanlagen, keine historischen Stadtkerne, kein landwirtschaftliches Grün … Also wir sind sehr restriktiv vorgegangen. In den Jahren seitdem wurde in Südtirol nur sehr wenig Photovoltaik dazu gebaut, Solarzellen sind aber deutlich effizienter geworden. Also man kann davon ausgehen, dass Südtirol heute nur ein Sechstel oder ein Siebtel des Potenzials nutzt. Die Vorteile für die einzelnen Verbraucher und Verbraucherinnen sind dabei auf kleiner Skala die gleichen wie in der großen Energiepolitik: Unabhängigkeit und Kostensicherheit. Wenn ich meinen eigenen Strom produziere, bin ich keinen Preisschwankungen unterworfen, zudem fallen die Kostenkomponenten des Netzes weg.

Wo eine bestehende Anlage auf gleicher Fläche durch eine neue, effizientere ersetzt werden kann, sollte dem nichts im Wege stehen.

Wolfram Sparber

Was wären in ihren Augen die dringendsten Maßnahmen, damit der Ausbau erneuerbarer Energien in Italien schneller vorankommt?

Sparber: Klare Regeln und kurze Entscheidungswege. Die amerikanische Regierung unter Joe Biden hat angekündigt, bis 2025 auf öffentlichen Flächen 25 GW Erneuerbare-Energien-Anlagen zu genehmigen. Vor wenigen Wochen wurde mitgeteilt, dass sie dieses Ziel nicht nur erreichen sondern voraussichtlich deutlich überschreiten wird. Das Land Niederösterreich hat vor kurzem entschieden dass PV-Anlagen bis zu einem MW in vielen Fällen ohne Genehmigung realisiert werden können. In der Schweiz hingegen sind – mit klaren Auflagen und Einschränkungen – auch auf historischen Gebäuden Anlagen erlaubt. Wer sich an die strengen Auflagen hält und auf gute architektonische Einbindung achtet, kann in kurzen Zeiten mit positiver Evaluierung rechnen. In einer vor kurzem erschienen Publikation haben wir uns ausführlich genau mit diesem Thema und dem Rechtsrahmen in der Schweiz und in diversen italienischen Regionen auseinandergesetzt. Dies sind nur einige Beispiele, wie andere Länder und Regierungen mit diesem Thema umgehen. Früher waren die hohen Kosten das Problem der Erneuerbaren Energien. Dies ist heute in den allermeisten Fällen kein Thema, die Investitionen rechnen sich von alleine. Wichtig ist aber ein klarer Rechtsrahmen, sodass Interessierte von Anfang an Flächen suchen können, auf denen sie ihre Projekte mit hoher Wahrscheinlichkeit realisieren können – und jene meiden, bei welchen das Gegenteil der Fall ist –, und in überschaubaren Fristen klare, verbindliche Rückmeldung auf ihr Ansuchen erhalten. Genau dies war in Italien bisher leider nicht der Fall. Auch in Fällen, in denen eigentlich einer Neu-Errichtung nichts im Wege stehen sollte, wie zum Beispiel beim Repowering: Also in Fällen, wo eine bestehende Anlage, auf gleicher Fläche, durch eine neue, effizientere ersetzt werden soll. Beispiel Ploaghe in Sardinien: Da wurde ein Windpark abgelehnt, der einen bereits bestehenden ersetzen sollte. Statt 51 Windkraftanlagen hätte der Park nur noch 27, allerdings sehr viel effizientere, Anlagen, die Stromproduktion würde sich fast verdreifachen. Das ist nur ein Beispiel von mehreren, die Legambiente in ihrem Bericht „Scacco matto alle fonti rinnovabili“ nennt.

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Studie: Die Chancen der Dekarbonisierung

2019 veröffentlichte das Institut für erneuerbare Energien eine Studie, die aufzeigt, wie Italien wirtschaftlich von der Energiewende profitieren kann. Anhand eines selbst entwickelten Simulationsmodells berechneten und bewerteten die Forscher Tausende möglicher Szenarien und verglichen im Detail drei Szenarien: die Situation von 2015, das im nationalen Energie- und Klimaplan (PNIEC) vorgesehene Energieszenario und ein ideales Szenario, das bei gleichen Kosten eine deutliche höhere Emissionsreduzierung erreicht. Obwohl die Rahmenbedingungen sich verändert haben (s. Interview), sind die grundlegenden Erkenntnisse der Studie noch genauso gültig: Auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu setzen, ist nicht aus ökologischer Perspektive notwendig, sondern birgt auch wirtschaftliche Chancen; weniger fossile Brennstoffe zu importieren setzt Ressourcen frei, die in die Erzeugung sauberer Energie, in die energetische Sanierung von Gebäuden und in ein flexibleres Energiesystem investiert werden können, was Arbeitsplätze schafft und die lokale Wirtschaft unterstützt.

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