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Auf der Suche nach Ötzis Mutter

Studien zur mitochondrialen DNA des Iceman

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© apud Helvetio Longe | Name Surname

Das Auftreten des genetischen Codes von Ötzis Vater in modernen Europäern wurde in frühen DNA-Studien am Y-Chromosom der 5.000 Jahre alten Gletschermumie nachgewiesen. Was aber geschah mit Ötzis mütterlicher DNA? Die Biologin Valentina Coia beschloss nach genetischen Beweisen für die Mutter des Iceman zu suchen und kam zum Schluss, dass ihre Nachkommenschaft leider längst ausgestorben ist.

In den letzten 25 Jahren hat die Erforschung der genetischen Struktur von Populationen den Wissenschaftlern ermöglicht, eine völlig neue Karte Europas zu zeichnen. Sie beruht nicht auf politischen Grenzen, sondern auf gemeinsamen Mutationen in unserer DNA. Und obwohl die Schweden ihre mongolischen Gene am schwedischen Nationalfeiertag vielleicht noch nicht mit mongolischen Pferderennen und in Hammelfett frittierten Knödeln feiern, ergibt die Kartierung dieser genetischen Beziehungen zumindest für die Wissenschaftler ein nützliches Bild der europäischen Migration seit der Jungsteinzeit. Es handelt sich um sorgfältige Detektivarbeit, wobei die Ergebnisse künftige biomedizinische Behandlungen beeinflussen können, da sich die Möglichkeit eröffnet, Gentherapien auf bestimmte Bevölkerungsgruppen zuzuschneiden. Aber für Valentina Coia von Eurac Research ging es bei ihrer Detektivarbeit darum, ein Geheimnis zu lüften: Sie wollte herausfinden, ob Ötzis mütterliche DNA in modernen europäischen Populationen noch vorhanden ist. „Die mitochondriale DNA (mtDNA), die nur von der Mutter vererbt wird, ist eine eigene genetische Linie, die im Laufe der Zeit ihre eigene Mutationsgeschichte hat“, erklärt Coia. „Obwohl Studien über die Entwicklung der mtDNA von Ötzi durchgeführt wurden, gibt es keine schlüssigen Beweise dafür, dass diese Haplogruppe heute noch in europäischen Populationen existiert. Haplogruppen sind wie Stammbäume von genetischen Mutationen. Diese alphanumerischen „Familiennamen“ (z. B. K1b1b) stehen für eine einzigartige DNA. Wenn ein Genetiker eine neue Mutation entdeckt, wird eine neue Haplogruppe gebildet und der Name entwickelt sich weiter (z. B. K1b1b1).

Die Mutter – eine Stubenhockerin

Die Haplogruppe von Ötzis Vater wird mit G2a-L91 bezeichnet; sie ist heute im gesamten Mittelmeerraum weit verbreitet. Durch den Vergleich von Ötzis genetischen Daten mit denen anderer europäischer Proben aus dem Neolithikum und mit denen moderner Populationen stellten Coia und ihr Team fest, dass die mitochondriale Abstammungslinie von Ötzis Mutter, K1f, lokal in den Alpen in einer Population entstanden ist, die demographisch nicht gewachsen und heute ausgestorben ist. Um festzustellen, ob K1f noch in modernen europäischen Populationen vorkommt, analysierte Coias Team anschließend 1077 moderne mtDNA-Proben der Haplogruppe K. Zweiundvierzig Teilnehmer stammten aus den Alpen und hatten Mütter und Großmütter, deren Herkunft aus dieser Region bestätigt wurde. Die Schlussfolgerung: Ötzis mtDNA, K1f, ist heute nirgends mehr zu finden (mit 95%iger Sicherheit weniger als 0,3% Häufigkeit). „Zur Ötzis Zeiten hatte sich die Haplogruppe G2a seines Vaters in ganz Europa verbreitet und war mit recht hoher Häufigkeit vorhanden. Im Gegensatz dazu, kam die Haplogruppe K1f seiner Mutter nur in den Alpen und wahrscheinlich in sehr geringer Häufigkeit vor“, so Coia. Spätere demografische Veränderungen, die in Europa nach 5.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung stattfanden, haben die genetische Struktur der Europäer geprägt, indem sie viele genetische Linien ersetzt haben. Archäologische Daten deuten darauf hin, dass K1f aufgrund seiner geringen Häufigkeit und der geringen Bevölkerungsdichte der alpinen Gruppen in Ötzis Gebiet (dem Vinschgau) während der Jungsteinzeit und der Kupferzeit (vor 5.450-4.150 Jahren) stärker gefährdet war. „Diese demografischen Veränderungen ersetzten teilweise die G2a-Linie, waren aber im Laufe der Zeit tödlich für die K1f-Linie. Sie ist einfach ausgestorben“, so Coia abschließend.

Im Laufe der Zeit…


Drei Karten aus Coias Studie zeigen, wie sich Ötzis Abstammungslinien im Laufe der Zeit bewegt haben.

Vor etwa 8.000 Jahren...
Während der frühen Jungsteinzeit gelangten Ötzis mütterliche Linie mtDNA (K1) und väterliches Y-Chromosom (G2a) durch die Migrationen frühneolithischer Populationen aus dem Nahen Osten nach Europa.

Vor etwa 5.000 Jahren...
Später, vor 5.000 Jahren, hatten sich K1 (Kreise) und G2a (Rechtecke) in ganz Europa verbreitet. Die Karte zeigt ihre Häufigkeit in 14 verschiedenen archäologischen Fundorten in Europa. Ötzis G2a-Haplogruppe ist die vorherrschende Abstammungslinie, sie entwickelte sich aus dem Nahen Osten während der Jungsteinzeit. Die Haplogruppe K1f hingegen kommt nur in den Alpen vor, wo Ötzis mütterliche Linie ihren Ursprung hat.

Heute...
Während Ötzis väterliche Haplogruppe G2a-L91 auch noch in heutigen Populationen zu finden ist, ist seine mütterliche Linie - nach bedeutenden demografischen Veränderungen - aus der Karte des heutigen Europas vollständig verschwunden. (Bemerkenswert ist die hohe Häufigkeit von G2a-L91 auf den Inseln Sardinien und Korsika: Durch die Isolation blieb dort eine hohe Häufigkeit der Haplogruppe erhalten).

Dieser Artikel von Peter Farbridge wurde im Juli 2016 in der Zeitschrift Academia unter dem Titel "Looking for Mommy." veröffentlicht.

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Wissenschaftliche Publikation

Hier geht's zum Fachartikel: https://www.nature.com/articles/srep18932

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