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Der Namahadi-Fluss im Grenzgebiet zwischen Lesotho und Südafrika.

© Eurac Research | Stefano Terzi

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Der Faktor Mensch

Mathematische Modelle für das Dürremanagement wären effektiver, wenn sie soziale und kulturelle Variablen einbeziehen würden. Wie das am besten zu bewerkstelligen ist, untersucht ein Forschungsteam.

by Giovanni Blandino

Algorithmen und statistische Modelle für die Wasserwirtschaft werden immer genauer. Vor allem in Europa und den wirtschaftlich entwickelten Ländern verarbeiten Prognosemodelle eine riesige Menge sehr detaillierter Daten von Wetterstationen und Satellitenbildern zur Schneebedeckung. In Verbindung mit anderen physikalischen Daten gelangt das Forschungsteam so zu einer Schätzung, wie viel Wasser in einem bestimmten Gebiet in naher Zukunft verfügbar sein wird. Doch offenbar funktioniert nicht immer alles so, wie es sollte.

Vorhersagen über die Wasserressourcen in einem bestimmten Gebiet sind ein grundlegendes Instrument für viele Bereiche: Landwirtschaft, städtische Wasserversorgung, Stromerzeugung aus Wasserkraft, Freizeitgestaltung und Tourismus. Die mathematischen Modelle, die diese Art von Vorhersage ermöglichen, werden in einem Szenario häufigerer und längerer Dürreperioden auf Grund des Klimawandels in ihrer Bedeutung zunehmen.

Obwohl immer präzisere technologische Instrumente zur Verfügung stehen, um Wasserressourcen zu untersuchen und zu überwachen, gehen die Nutzungskonflikte weiter, und in einigen Fällen eskalieren sie sogar: Alles wird berechnet, aber etwas funktioniert offenbar nicht – warum? Stefano Terzi, Umweltingenieur am Zentrum für Klimawandel und Transformation von Eurac Research, untersucht die mit der Wasserknappheit verbundenen Risiken. Bei seiner Arbeit vor Ort ist er zu dem Schluss gekommen, dass Modelle, die ausschließlich auf physikalischen und quantitativen Daten basieren, eine wesentliche Variable vernachlässigen: den Faktor Mensch. Tatsächlich werden Entscheidungen und politische Maßnahmen zum Wassermanagement von einer Reihe Variablen beeinflusst, die sich nur schwer quantifizieren lassen, denn sie sind sozialer, kultureller und politischer Natur.

Es braucht daher einen völlig anderen Ansatz, um diesen so genannten menschlichen Faktor im Wassermanagement zu berücksichtigen.

Wassermanagement von den Alpen bis zu den Bergen Afrikas

Eines der Gebiete, die Stefano Terzi kürzlich im Rahmen des Forschungsprojekts AquaMount (siehe Box) besuchte, war Maloti-Drakensberg, ein Berg- und Naturschutzgebiet zwischen Lesotho und der Republik Südafrika. „In Maloti-Drakensberg haben wir sehr komplexe Bedingungen vorgefunden, die sich natürlich stark von denen in den Alpen unterscheiden“, sagt Terzi. „Die Infrastruktur ist prekär und in einem schlechten Zustand, während die Region einen demografischen Boom erlebt. Diese beiden Faktoren sind die Hauptursachen für die Wasserknappheit in dem Gebiet.“

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Maloti-Drakensberg, ein Berg- und Naturschutzgebiet zwischen Lesotho und Südafrika.© Eurac Research - Stefano Terzi
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The Maloti-Drakensberg, a mountain and nature conservation area between Lesotho and South Africa.© Eurac Research - Stefano Terzi
Ein im März 2022 aufgenommenes Foto des Fika-Patso-Damms bei maximalem Wasserstand des Stausees. Der aus losem Material und Felsen bestehende Damm fängt das Wasser des Namahadi-Flusses auf und befindet sich südlich der Stadt Phuthadijhaba; der Stausee deckt 80 Prozent des häuslichen und industriellen Wasserbedarfs der Stadt.

In Maloti-Drakensberg wurde Stefano Terzi von Jessica Delves begleitet, Programm-Mitarbeiterin am Zentrum zum Schutz und Erhalt von Gebirgsräumen (GLOMOS). Um das Wassermanagement in dem Gebiet und die damit verbundenen Risiken zu analysieren, entschieden die beiden sich für einen explorativen Ansatz. „In den europäischen Alpen verfügen wir über sehr gute Wetterstationsdaten und über äußerst genaue Karten, doch in Südafrika ist das nicht der Fall. Deshalb haben wir einen Ansatz gewählt, bei dem wir quantitative Daten, sofern verfügbar, mit den Informationen aus Gesprächen vor Ort kombinierten.“

„Die Idee war, keine festen Vorstellungen zu haben. Je länger wir zuhörten, desto deutlicher trat eine kohärente Geschichte zutage.“

Das kleine Forschungsteam führte 30 Interviews mit Landwirten, Wissenschaftlern und den so genannten Chiefs oder Gemeindevorstehern der Region. „Die Idee war, keine festen Vorstellungen zu haben und die Geschichte und die Probleme der Wasserbewirtschaftung in der Region auf induktive Weise zu rekonstruieren. Je länger wir zuhörten, desto deutlicher trat eine kohärente Geschichte zutage.“

Stefano Terzi und Jessica Delves mit Vertretern der königlichen Familie Botlokwa, einer der beiden Königsfamilien in Phuthadijhaba. Die königlichen Familien nehmen an den Regierungssitzungen als Beobachter ohne Stimmrecht teil. Dennoch haben sie große Bedeutung für die Menschen in dem Gebiet, die sich in Fragen der alltäglichen Verwaltung an sie wenden.

Eine der drängendsten Fragen ist die nach der Regierungsgewalt: Wer trifft die Entscheidungen? In der Vergangenheit verwalteten die Häuptlinge der Gemeinschaften das Gebiet. Seit 1994, dem Ende der Apartheid, regieren sowohl die demokratisch gewählte Regierung als auch die Häuptlinge – manchmal unabhängig voneinander. Heute geraten diese beiden Regierungsformen häufig in Konflikt, und es ist schwierig, langfristige Entscheidungen zu treffen. „Wir haben zum Beispiel beobachtet, dass über den Hauptlinien der Wasserleitung oft Häuser gebaut und ohne jegliche Planung illegal angeschlossen werden. Dadurch entstehen in den Leitungen Brüche, deren Reparatur enorme Probleme verursacht. Die Gefahr der Wasserknappheit wird durch Probleme mit der Stromversorgung noch verschärft. Häufige Stromausfälle machen die Pumpen und damit ganze Abschnitte der Wasserleitung unbrauchbar.“

Die Konflikte um die Etsch in Norditalien

Doch soziale und kulturelle Aspekte der Wasser-Governance spielen auch in Europa, in den Alpen, eine wichtige Rolle. Im Rahmen von Nexogenesis, einem großen europäischen Forschungsprojekt, analysiert ein Team von Eurac Research – Silvia Cocuccioni, Fabio Carnelli, Giacomo Bertoldi und Stefano Terzi – den Fall der Etsch, des zweitgrößten Wasserlaufs Italiens, der sich durch Südtirol, das Trentino und Venetien windet. Zwischen 2016 und 2017 lösten einige längere Dürreperioden heftige Diskussionen unter den Nutznießern dieser wichtigen Wasserressource aus. Flussaufwärts, in Südtirol, spielen die Stauseen eine wichtige Rolle für die Stromerzeugung aus Wasserkraft, während flussabwärts, in Venetien, das Wasser hauptsächlich für landwirtschaftliche Zwecke genutzt wird.

„Ohne gemeinsames Management werden die Konflikte zwangsläufig eskalieren.”

„Kulturelle und wirtschaftliche Unterschiede gehören zu den Faktoren, die bei der Schaffung eines Gremiums zum Wassermanagement, woran wir arbeiten, berücksichtigt werden müssen. Ohne gemeinsames Management werden die Konflikte zwangsläufig eskalieren, sobald nicht mehr reichlich Wasser für alle verfügbar ist und die flussaufwärts gelegenen Gebiete sozusagen im Vorteil sind“, so Stefano Terzi.

Algorithmen für den menschlichen Faktor

Trotz hervorragender Daten, Prognosemodelle und guter Infrastruktur bleiben die Probleme des Wassermanagements und die damit verbundenen Risiken bestehen und werden sich durch den Klimawandel noch verschärfen. „Meiner Meinung nach ist es definitiv notwendig, in Risikomanagementmodellen auch die soziale und kulturelle Komponente – sozusagen den menschlichen Faktor – zu berücksichtigen“, erklärt Terzi; „denn wenn wir diese wichtige Variable ausklammern, funktionieren unsere Analysen möglicherweise nicht.“

„Es ist notwendig, in Risikomanagementmodellen auch die soziale und kulturelle Komponente zu berücksichtigen, denn wenn wir diese wichtige Variable ausklammern, funktionieren unsere Analysen möglicherweise nicht.“

In die Analyse und Prognose von Wasserressourcen auch sozioökonomische Variablen zu integrieren, ist eines der Ziele des Nexogenesis-Projekts. Für die Etsch-Fallstudie organisierte das Forschungsteam von Eurac Research zwischen 2022 und Anfang 2023 eine Reihe von Treffen und Interviews, um alle, die das Wasser der Etsch auf die eine oder andere Weise nutzen, an einen Tisch zu bringen. An dem Treffen in Trient, den am besten besuchten, nahmen beispielsweise die Betreiber des Wasserkraftwerks Santa Giustina, die Fischereiverbände, die Wasserbehörde der Provinz Trient, Vertreter der Landwirte und natürlich die lokale Verwaltung teil. Es war eines der ersten Male, dass sich so viele „Verbraucher“ des Etschwassers – aus flussaufwärts und flussabwärts gelegenen Gebieten – an einen Tisch setzten.

„Wir brauchen eine Plattform für das Wassermanagement, die sich auf die tatsächlichen Gegebenheiten des Gebiets stützt.“

„An diesem gegenseitigen Austausch teilzunehmen, ist für uns Forscher von fundamentaler Bedeutung“, erklärt Stefano Terzi, „denn so können wir die Beziehungen, Normen und etablierten Praktiken zwischen den verschiedenen Nutznießern der Etsch besser verstehen und sie in unser Simulationsmodell einbringen.“ Das Modell wird biophysikalische Daten – wie den aktuellen Wasserstand, die Gletscherschmelze und die Niederschläge – mit Informationen zu gesetzlichen Bestimmungen und zu den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen kombinieren, die die Nachfrage der wichtigsten Wasserverbraucher (zum Beispiel Wasserkraft und Landwirtschaft) entlang des Flusses beeinflussen. „Ziel ist es, eine Plattform zu schaffen, die allen hilft, die Wassernutzung vorherzusagen und zu verwalten – eine Plattform, die sich auf die realen Bedingungen des Gebiets stützt und nicht nur auf die Zahlen“, so Stefano Terzi. „Die Daten sagen uns viel über die Situation, erklären aber nicht vollständig, wie das Wasser tatsächlich verteilt und genutzt wird, insbesondere in Fällen von Dürre.“

Eine solche Plattform, die Techniken des maschinellen Lernens nutzt, wird dazu beitragen, das Wassermanagement besser zu verstehen und im Notfall richtig zu reagieren; sie wird den Verwaltungen helfen, Entscheidungen zu treffen und mögliche künftige Konflikte um die Nutzung des Etschwassers zu vermeiden.

Stefano Terzi

Stefano Terzi absolvierte eine Ausbildung zum Umweltingenieur an der Universität Genua und promovierte in Zusammenarbeit mit Eurac Research in Umweltwissenschaften an der Ca' Foscari Universität Venedig. Während seiner Promotion, die sich mit Multi-Risiko-Bewertungen in Bergregionen vor dem Hintergrund des Klimawandels befasste, arbeitete er mit dem UN-IHE Institute for Water Education (Delft, Niederlande) zusammen und beschäftigte sich mit der systemdynamischen Modellierung zur Bewertung von Wasserangebot und -nachfrage in einem alpinen Einzugsgebiet. Terzi arbeitet derzeit als Post-Doc am Zentrum für Klimawandel und Transformation von Eurac Research und am Centre for Global Mountain Safeguard Research, einer gemeinsamen Initiative von Eurac Research und der Universität der Vereinten Nationen – Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit (UNU-EHS). Seine Forschung zielt darauf ab, die Dynamik, die zu Wasserknappheitsrisiken führt, aus einer systemischen Perspektive und mit Schwerpunkt auf Bergregionen besser zu verstehen.

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Das Projekt AquaMount

Das Projekt AquaMount untersucht die aus Wasserknappheit resultierenden Risikoprozesse in zwei verschiedenen Berggebieten: im nördlichen Maloti-Drakensberg-Gebiet in Lesotho-Südafrika und in Trentino-Südtirol, in der Fallstudie des Flusses Noce. Es handelt sich um eine vergleichende Studie zum besseren Verständnis der biophysikalischen und sozioökonomischen Faktoren, die Wasserknappheit beeinflussen. Das Hauptziel von AquaMount ist die Verbesserung der Entscheidungsprozesse für die aktuelle Wasserbewirtschaftung und die Anpassung an sich ändernde klimatische und sozioökonomische Bedingungen. Das Projekt wird von der Autonomen Provinz Bozen finanziert (Förderung der Mobilität von Forschenden, Wettbewerbsausschreibung 2020) und wird in Zusammenarbeit mit der Universität der Vereinten Nationen – Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit in Bonn durchgeführt. Nähere Informationen auf der Website

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Das Projekt NEXOGENESIS

NEXOGENESIS ist ein großes europäisches Projekt, an dem 20 Partner aus 11 europäischen Ländern und aus Südafrika beteiligt sind. Ziel des Projekts ist die Entwicklung von Strategien für ein effizientes Ressourcenmanagement und die Vermeidung von Konflikten zwischen den Nutzern. Im Rahmen des Projekts führt Eurac Research nicht nur die Etsch-Fallstudie durch, sondern trägt auch Fachwissen über die Modellierung komplexer Systeme und die Anwendung partizipativer Ansätze zur Einbeziehung lokaler Interessengruppen bei. Das Projekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union finanziert. Nähere Informationen auf der Website

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