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Die Schönheit der Struktur

Ein Neurowissenschaftler erklärt den faszinierenden Fortschritt in der Mikroskopie.

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Mit Hilfe hochentwickelter Konfokalmikroskopie-Systeme ermöglicht Alexandros A. Lavdas Zelleinblicke, die grundlegend sind für ein besseres Verständnis der Abläufe und Mechanismen.

© Eurac Research | Ivo Corra'

Ivo Corra'
by Barbara Baumgartner

Der Neurowissenschaftler Alexandros A. Lavdas ist Experte für Bildgebung – und allem Anschein nach ein glücklicher Mensch: Die Einblicke ins Innenleben der Zellen befriedigen nicht nur seinen Erkenntnistrieb als Forscher, sondern bereiten ihm auch großen ästhetischen Genuss.

Wenn der Neurowissenschaftler Alexandros Lavdas Aufnahmen der Großhirnrinde schildert – „da ist diese sechsschichtige Struktur, und jede Schicht besteht aus anderen Zellen, und das Ganze sieht wunderschön und sehr kompliziert und kunstvoll aus“ -, dann klingt er ähnlich fasziniert wie bei der Beschreibung der Makrofotos, die er von Blättern oder Früchten macht: „Mit der richtigen Linse werden die fantastischsten Details sichtbar!“

Lavdas ist Experte für Bildgebung (Imaging) in der biomedizinischen Forschung und leidenschaftlicher Amateurfotograf, und beides hängt mit seiner ausgeprägten „Neigung zu Bilder“ zusammen. Als Student fiel er damit aus der Reihe: „Die meisten meiner Kommilitonen waren total gefangen von Molekularbiologie“, erzählt der Wissenschaftler, der als Sohn zweier klassischer Musiker in Athen aufwuchs. „Ich hatte daran nicht das geringste Interesse. Natürlich ist das schrecklich aufregend und absolut grundlegend – nur für mich ist es nichts.“ Sein Interesse galt der Morphologie, allem, was mit Formen zu tun hat. Und diese Vorliebe, verbunden mit seiner Begeisterung für die Fotografie, ließ ihn wiederum „Konzepte der Bildgebung verstehen, mit denen die meisten Biowissenschaftler sich nicht wirklich befassen wollen.“ Obwohl er in einem Künstlerhaushalt aufwuchs und „Kunst so nötig hat wie Sauerstoff“, wusste er schon als Junge, dass er den Weg der Wissenschaft einschlagen würde. Eine Zeitlang dachte er an Physik; als er sich schließlich für Biologie entschied, war es mit dem klaren Ziel, Neurowissenschaftler zu werden.

Am University College London forschte er zur Entwicklung der Großhirnrinde, und später, am Pasteur-Institut in Athen, zu Verletzung und Heilung des zentralen Nervensystems – „aber inoffiziell war ich da schon der Mann fürs Imaging; alle fragten mich, wenn sie Rat oder Hilfe brauchten, weil ich am meisten Erfahrung damit hatte.“

Wenn man Ergebnisse publizieren will, muss man quantifizieren. Die Image Software kann aber, neben der Quantifizierung, Resultate klar sichtbar machen.

Alexandros Lavdas

Ganz offiziell verantwortlich für Bildgebung wurde er am Institut für Biomedizin von Eurac Research, wo er den Bereich 2014 aufbaute. Mit seinem Wissen und hochentwickelten Konfokalmikroskopie-Systemen ermöglicht er Zelleinblicke, die grundlegend sind für ein besseres Verständnis der Abläufe und Mechanismen, sowohl was die Entstehung und Entwicklung von Krankheiten betrifft wie die Wirkung von Medikamenten. Er selbst zieht daraus neben Erkenntnis auch ästhetisches Vergnügen: „Oh ja, ich habe großen Gefallen an den Bildern.“

In der Analyse kommen dann natürlich die Zahlen ins Spiel. „Wenn man Ergebnisse publizieren will, muss man quantifizieren. Die Image Software kann aber, neben der Quantifizierung, Resultate klar sichtbar machen. In der Farbcodierung kann ich beispielsweise festlegen: Wenn dieser Wert eine bestimmte Höhe erreicht, dann soll es grün werden. Und plötzlich taucht irgendwo im Bild etwas Grünes auf, und ich weiß, da haben wir die gesuchten Werte. Es wird greifbarer dadurch.“

Häufig untersucht Lavdas Mitochondrien, die kleinen Organellen, die die Zelle mit Energie versorgen, denn ihr Zustand sagt viel über die Zellgesundheit. Fragmentierung ist ein schlechtes Zeichen. „Ich kann der Software vorgeben: Je kürzer die Fragmente, desto kühler der Farbton. Und dann habe ich zwei Zellen vor mir – eine eher blau, die andere eher rötlich. Die rote ist gesünder.“

3-D-Modellierung von Mitochondrien in zwei Zellen, mit Farbkodierung für die Länge der Mitochondriensegmente: Warme Farben entsprechen längeren Segmenten, kühle Farben kürzeren.© Eurac Research | Alexandros Lavdas

Die Mitochondrien führt Lavdas auch als Beispiel an, wie verbesserte Technologie unser Bild von der Wirklichkeit verändert. Aus der Darstellung in seinem Universitätslehrbuch musste man den Eindruck gewinnen, diese Organellen seien hier und da in der Zelle verstreut, „denn so sehen sie unter dem Elektronenmikroskop aus.“ Für Elektronenmikroskopie werden Proben jedoch einer Prozedur („Tortur“, sagt Lavdas) unterzogen, die sie von ihrem natürlichen Zustand ziemlich weit entfernt: Sie werden fixiert, dehydriert, in Kunststoff eingebettet – „sie kommen bei 70 Grad in den Ofen, werden Osmium ausgesetzt … diese Zellen gehen durch die Hölle!“ Er lacht. Er kann heute Videos von Mitochondrien in lebenden Zellen machen, „und man sieht: Sie sind überall! Vom Rand des Zellkerns bis zum Zellrand, ein Netzwerk aus verzweigten Röhren, das sich formiert und bricht und neu formiert, da ist eine Dynamik.“ Die Schönheit der Mitochondrien begeistert ihn wie die des Cortex.

Hätte man diese Möglichkeiten Biowissenschaftlern vor ein paar Jahrzehnten geschildert, wären sie den meisten wie Science Fiction erschienen.

Alexandros Lavdas

Lavdas hat in der Bildgebung so etwas wie eine Revolution erlebt, seit ihn ein Professor für Zellbiologie als Student an der Universität in Athen mit 21 allein am Elektronenmikroskop arbeiten ließ (was einige Leute an der Fakultät ziemlich nervös machte). „Die Revolution besteht darin, dass wir die Zelle in einem so natürlichen Zustand wie möglich beobachten, mit einer Auflösung, die zwar nicht so hoch wie in der Elektronenmikroskopie ist, aber hoch genug.“ Zu dieser Entwicklung haben Fortschritte in vielen Feldern beigetragen, nicht zuletzt immens vergrößerte Computerkapazität. Für die Daten eines Experiments, wie es am Institut heute jeden Tag gemacht wird, hätte vor Jahren ein ganzes Computerlaufwerk nicht ausgereicht. In der Optik wurde unter anderem Konfokalmikroskopie entscheidend weiterentwickelt, „Tomographie für Zellen“, wie Lavdas erklärt: „Die Probe wird dabei optisch in Schichten geschnitten, meist mit Laser, die der Computer dann wieder in 3D zusammensetzt; nachdem man verschiedene Proteine durch Antikörper mit unterschiedlichen Farben markiert hat, kann man die Zelle umdrehen, sie von allen Seiten betrachten ... . Man erhält also eine ganze Fülle von Informationen über die Morphologie und den Inhalt der Zelle.“ Hätte man diese Möglichkeiten Biowissenschaftlern vor ein paar Jahrzehnten geschildert, wären sie den meisten „wie Science Fiction erschienen“, sagt Lavdas. „Und alle diese Dinge werden immer besser; die Sensitivität der Detektoren nimmt zu, also braucht man weniger intensive Laser, und das wiederum bedeutet weniger Schaden für die Zelle.“ Er selbst hat in einem Gemeinschaftsprojekt von Eurac Research, dem Politecnico di Milano, der University of Cambridge und dem Bozner Unternehmen Micro Photon Devices an der Entwicklung eines neuartigen Systems gearbeitet, das die „FLIM-Bildgebung“ nutzt, eine Technik, mit der biochemische Informationen aus den Zellen gewonnen werden können.

Die Heatmap zeigt, mit welcher Wahrscheinlichkeit der erste Blick (3-5 Sekunden nach der Bildpräsentation) auf bestimmte Bereiche einer städtischen Szene fällt; berechnet wurde sie von einer mit realen Eye-Tracking-Daten trainierten KI-Software. Wärmere Farben stehen für eine höhere Wahrscheinlichkeit den ersten Blick anzuziehen, kühlere Farben für eine geringere Wahrscheinlichkeit, während Bereiche ohne Farbe den Blick wahrscheinlich nicht anziehen. Solche Heatmaps helfen uns zu verstehen, welche morphologischen Merkmale in Gebäuden oder generell städtischen oder natürlichen Szenen unseren Blick auf sich ziehen.© Eurac Research / Alexandros Lavdas | © Eurac Research / Alexandros Lavdas

Doch neben dem Imaging beschäftigt Alexandros Lavdas noch ein anderes großes Thema: Neuroästhetik. Im Besonderen erforscht er, wie unser Gehirn Formen wahrnimmt, welche Formen wir schön finden, und aus welchem Grund. In einer Studie mit der Landschaftsökologin Uta Schirpke zeigte er vor zwei Jahren, dass uns Formen mit einer bestimmten Art organisierter Komplexität besonders anziehen – Formen, die nachweislich einen positiven Effekt auf unser Wohlbefinden haben. Dies gilt für Landschaften (das Thema seiner jüngsten Arbeit mit Uta Schirpke und Erich Tasser) ebenso wie für Architektur, ein Feld, das Lavdas besonders interessiert – zu seinen bevorzugten Fotomotiven gehören Gebäude. In seinen neuesten Arbeiten geht es um die Entwicklung quantitativer Instrumente zur Messung der Attraktivität und Wirkung von Gebäuden auf den Menschen. Außerdem ist er seit vergangenem Jahr im Vorstand des amerikanischen Human Architecture and Planning Institutes, das unser Verständnis davon verbessern will, wie Menschen ihre gebaute Umwelt erfahren. Alexandros Lavdas, der sich mit Formen beschäftigt: Es passt alles ins Bild.

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