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Was man vor der Teilnahme an einer medizinischen Studie wissen sollte
Biobanken, Datenschutz und ethische Forschung
Viele Pharmaunternehmen wünschen sich mehr Freiheit bei der Nutzung von Daten. Die Gesetze hinken dem technischen Fortschritt hinterher. Und viele Menschen haben Mühe zu verstehen, wozu sie ihre Zustimmung geben. Ist eine ethische Forschung möglich, die die Privacy und die Selbstbestimmung der Teilnehmenden und die wissenschaftliche Arbeit respektiert? Wir haben Deborah Mascalzoni, Expertin für Bioethik, zu dem Thema interviewt. Spoiler: Die Antwort lautet ja, und der Schlüssel dazu ist das dynamische Einwilligungsverfahren, das für die CHRIS-Studie entwickelt wurde.
Im November 2023 deckten journalistische Recherchen auf, dass die größte nicht-kommerzielle Biobank der Welt, die UK Biobank, angeblich Daten an einige Versicherungsgesellschaften weitergegeben hat. Obwohl die Biobank selbst wiederholt erklärt hatte, dass sie dies nicht tun würde. Es folgte eine Richtigstellung, in der die Vorwürfe als Missverständnisse abgetan wurden, aber der Schaden war schon angerichtet.
Wie hoch das Risiko solcher Vorfälle ist, hängt davon ab, wie viel in den so genannten „ethical framework“, also den ethischen Rahmen, der Studien investiert wird.
„Was sollen sie mit meinen Daten schon groß anstellen?“ Datenschutz vs. ethische Forschung
Wer an einer medizinischen Studie teilnimmt oder seine biologischen Proben im Zuge einer Bevölkerungsstudie einer Biobank anvertraut, gibt sehr persönliche Daten weiter. Es liegt auf der Hand, dass die erste Sorge der Vertraulichkeit gilt, also dem Schutz der Privacy. Wir wollen nicht, dass unsere persönlichen, genetischen und unseren Lebensstil betreffenden Daten in der Öffentlichkeit bekannt werden. „Die Garantie, dass die Anonymität der Teilnehmenden gewährleistet ist, ist sicherlich ein grundlegender Aspekt, aber nur ein kleiner Teil dessen, was die Menschen berücksichtigen sollten, bevor sie ihre Zustimmung geben“, erklärt Deborah Mascalzoni, außerordentliche Professorin für biomedizinische Ethik an der Universität Uppsala und Leiterin der Forschungsgruppe, die sich bei Eurac Research mit den ethischen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen der Forschung befasst.
Wenn eine Versicherungsgesellschaft freien Zugang zu den Daten einer Biobank hat, könnte sie ihre Polizzen gezielt ändern.
Auch mit anonymisierten Daten lassen sich recht genaue Profile bestimmter geografischer Regionen oder ethnischer Gruppen erstellen: Bei unsachgemäßer Verwendung könnten die Folgen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen sein. Die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch beispielsweise prangert seit Jahren die systematische Erstellung von Profilen der uigurischen Bevölkerung in China an: Das erklärte Ziel des wissenschaftlichen Programms, das den Rahmen für die Datenerhebung bildet, ist der Gesundheitsschutz, aber darüber hinaus diene die Erstellung von Profilen dazu, Angehörige dieser Bevölkerungsgruppe zu isolieren und zu stigmatisieren.
Selbst in einem weniger extremen Kontext gibt es Risiken. Wenn eine Versicherungsgesellschaft freien Zugang zu den Daten einer Biobank hat und feststellt, dass in einer bestimmten Region Schizophrenie oder Alkoholismus häufiger vorkommen, könnte sie ihre Polizzen gezielt ändern, indem sie beispielsweise die Deckungssummen für bestimmte Krankheiten senkt und damit die dort lebenden Menschen benachteiligt.
„Gerade in der heutigen, von Spannungen geprägten Welt sollten wir, neben dem Schutz der Privacy, vor allem auch über ethische Forschung sprechen“, so Mascalzoni weiter. „Die wissenschaftliche Forschung ist nicht per se absolut legitim. Sondern Forschung muss, wie meine Wiener Kollegin Barbara Prainsack immer wieder wiederholt, solidarisch sein, das heißt, sie muss gerechte und nicht-diskriminierende soziale Folgen haben“.
Ein dynamisches Einwilligungsverfahren als Lösung
In Italien hat die Datenschutzbehörde verhältnismäßig strenge Regeln für medizinische Studien mit spezifischen Zielen aufgestellt: Jeder Vorschlag muss von Ethikausschüssen geprüft werden, die seine Angemessenheit beurteilen. Allerdings würden Mascalzoni und ihre Kollegen und Kolleginnen es begrüßen, wenn in diesen Ausschüssen neben Ärztinnen, Ärzten und medizinischem Fachpersonal auch mehr Bioethiker und Bioethikerinnen sitzen würden... Auf diese Weise, so argumentieren sie, würde man sich nicht nur darauf konzentrieren, was das Gesetz erlaubt, sondern auch die ethischen Implikationen stärker berücksichtigen.
Auf internationaler Ebene gibt es hingegen keine verbindlichen Vereinbarungen. Es gibt die WMA Deklaration von Helsinki, die Deklaration von Taipeh und eine Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation, in der Mascalzoni Italien vertritt, die neue Leitlinien für die ethische Nutzung genetischer Daten erarbeitet. All diese Initiativen zielen darauf ab, dem Phänomen des Biokolonialismus e[GS1] ntgegenzuwirken, aber keines dieser Dokumente ist bindend.
Für ethischen Schutz gibt es keinen kleinsten gemeinsamen Nenner. Hat man das Einverständnis der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, kann mit ihren Daten praktisch alles oder fast alles gemacht werden.
Es hängt also alles von der Unterzeichnung der Einverständniserklärung ab.
„Wenn ich eingeladen würde, an einer medizinischen Studie oder einer Biobank teilzunehmen, würde ich mich vor zu allgemein gehaltenen Formularen hüten, die mir keine exakten und detaillierten Informationen über die Ziele der Forschung geben und darüber, von wem und wo meine Daten verwaltet werden“, warnt Mascalzoni.
Ich sehe das als Manipulation: Wenn du nicht bedingungslos zustimmst, willst du nichts Gutes tun.
Deborah Mascalzoni, Expertin für Bioethik
Ein Zwischenfall wie jener, über den die britische Biobank gestolpert ist, hätte mit einem so genannten „dynamischen“ Einwilligungsverfahren, wie es für die 2011 von Eurac Research und dem Südtiroler Sanitätsbetrieb im Vinschgau gestartete epidemiologische CHRIS-Studie entwickelt wurde, nicht passieren können. Wer es unterschreibt, hat nämlich verschiedene Optionen und kann genau auswählen, was erlaubt wird. So gibt man beispielsweise keine pauschale Erlaubnis zu Zusammenarbeiten außerhalb der Datenbank, sondern man kann wählen, ob man seine Daten nur mit europäischen Forschungspartnern oder auch Dritten oder anderen Forschungsdatenbanken teilen möchte. Man kann außerdem wählen, ob die eigenen Daten im Falle von Unzurechnungsfähigkeit oder Tod gelöscht werden sollen. Und, was am wichtigsten ist: Man kann seine Meinung ändern und seine Entscheidungen jederzeit anpassen.
Darüber hinaus werden die Informationen, die eine informierte und damit bewusste Entscheidung ermöglichen, auf vielfältige Weise vermittelt, so dass jeder und jede einen geeigneten Kanal finden kann: Es gibt kurze Videos, sehr ausführliche technische Broschüren und zusammenfassende Kurzbeschreibungen. Das dynamische Einwilligungsverfahren nach Aufklärung ist Teil der Governance der Biobank. Auch ein Zugangsausschuss gehört dazu, der für jedes Projekt prüft, ob es innerhalb der Grenzen der erteilten Einwilligung liegt; ist dies nicht der Fall, wird die teilnehmende Person erneut kontaktiert, um sie zu informieren und um ihre Einwilligung zu bitten.
Das dynamische Einwilligungsverfahren, das für die CHRIS-Studie verwendet wurde, war das erste seiner Art, das in einer Bevölkerungsstudie eingesetzt wurde. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit Studien, die einen ähnlichen Ansatz gewählt haben, wie beispielsweise die Rudy-Studie der Universität Oxford über seltene Krankheiten, und diese Erfahrungen haben andere Biobanken zu einer ähnlichen Vorgehensweise inspiriert.
Das Narrativ von der guten Tat und der Einsatz des Bewusstseins
Vor allem für Privatunternehmen, aber auch für einige Forschungsgruppen ist die Ausarbeitung einer artikulierten und personalisierten Einwilligungserklärung mühsam. Die meisten träumen von einer breiten und unbegrenzten Zustimmung, die vor allem auf Vertrauensbasis im Namen der Großzügigkeit gegeben wird.
Für das Wohl der Wissenschaft.
„Das ist ein Narrativ, das ich ablehne. Denn man kann von einer Person nicht verlangen, dass sie zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Recht der Wissenschaft wählt. Ich sehe das als Manipulation: Wenn du nicht bedingungslos zustimmst, willst du nichts Gutes tun“, wendet Mascalzoni ein. „Denn so ist es nicht. Es ist sicherlich notwendig, menschliche und wirtschaftliche Ressourcen dafür aufzuwenden, vor allem in der Anfangsphase einer Studie. Aber man investiert so in das bewusste Vertrauen der Menschen, das ich für unerlässlich halte und das sich mit der Zeit auszahlt. Wenn wir über Solidarität sprechen wollen, dann sollten wir es ernsthaft tun. Solidarität ist keine Einbahnstraße, sondern geht immer in zwei Richtungen: Für die an der Forschung Beteiligten muss eine Beziehung des gegenseitigen Respekt gewährleistet sein. Das schafft Vertrauen“.
Die Zahlen der ersten Phase der CHRIS-Studie, an der über einen Zeitraum von zehn Jahren etwa 13.000 Personen teilnahmen, scheinen ihr Recht zu geben: Die große Mehrheit der Teilnehmer und Teilnehmerinnen gaben eine umfassende Zustimmung zur Verwendung der Daten. Andererseits haben nur sehr wenige Personen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihre Zustimmung zu ändern, eine Möglichkeit, die aber dennoch geschätzt wird. Besonders im Hinblick darauf, dass bei den meisten anderen Studien die einzige Option darin besteht, das Programm abzubrechen.
Daten aus der CHRIS-Studie
22
Personen änderten ihre Zustimmung zwischen 2011 und 2028
4,88%
Ersuchen um Löschung der Daten im Todesfall oder bei Unzurechnungsfähigkeit
99,66%
Bereitschaft, für neue Studien kontaktiert zu werden
100%
Zustimmung zur Aufbewahrung der Daten und Proben in der Biobank für 30 Jahre
Aber wer weiß, vielleicht hätten all diese Menschen auch ohne eine so eingehende Vorbereitungsarbeit eine gleich weitreichende Einwilligung gegeben?
Mascalzoni hat keine Zweifel: „Die größtmögliche Transparenz, die offen gelassenen Optionen und nicht zuletzt die kontinuierlichen Updates über die Verwendung der Daten haben dazu geführt, dass mehr als die Hälfte der Menschen sich bereit erklärt hat, an einer neuen Studie über den Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der Covid-Erkrankung und genetischen Faktoren teilzunehmen, als wir sie 2020 erneut kontaktiert haben. Und das, obwohl die Studie ein erhebliches Engagement erfordert hat: neue Proben abgeben, monatlich einen Fragebogen ausfüllen. Das ist eine Bestätigung für die gute Zusammenarbeit, die im Laufe der Jahre aufgebaut wurde“.
Natürlich muss ein Gleichgewicht gefunden werden, die Anfragen dürfen sich nicht zu sehr häufen.
Im vergangenen Sommer hat die Datenschutzbehörde ihre Leitlinien verschärft, und auch das CHRIS-Team musste seinen Ansatz in dieser Hinsicht anpassen. Heute ist für jede Teilstudie eine neue ausdrückliche Einwilligung erforderlich, auch wenn das Projekt von demselben Forschungsteam durchgeführt wird. Für Teilstudien in einem der ursprünglichen Forschungsstränge oder bei der Beteiligung neuer Partner wurde hingegen ein Instrument namens „Opt-out“ entwickelt: Die CHRIS-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen werden über den Beginn neuer Forschungsarbeiten informiert und können sich innerhalb einer gewissen Frist aus der jeweiligen Initiative zurückziehen.
Ein Merkmal des CHRIS-Modells besteht außerdem darin, dass im Laufe der Zeit auf der Grundlage des Feedbacks der Teilnehmenden Änderungen vorgenommen wurden. Nach langen und ausführlichen Interviews mit einer Auswahl von Personen, um zu bewerten, was funktioniert hat und was verbessert werden könnte, kam Mascalzoni zu folgender Schlussfolgerung: „Jeder Mensch hat einen anderen Ansatz, aber es gibt etwas, das alle gemeinsam haben: selbst zu entscheiden.“
Deborah Mascalzoni
Dieser Artikel beruht auf einem Interview mit Deborah Mascalzoni, die im Laufe der Jahre umfangreiche Erfahrungen in diesem Themenbereich gesammelt hat. Sie ist außerordentliche Professorin für biomedizinische Ethik am Zentrum für Ethik- und Bioethikforschung der Universität Uppsala und Leiterin der ELSI-Gruppe (Ethical, Legal, and Social Issues/Implications) von Eurac Research, die sich mit den ethischen, rechtlichen und sozialen Auswirkungen der Forschung befasst. Seit Anfang der 2000er Jahre leistet sie Pionierarbeit auf dem Gebiet des dynamischen Einwilligungsverfahrens und der ethischen Forschung. Sie ist die Erstautorin eines Artikels über zehn Jahre dynamische CHRIS-Einwilligung, der im European Journal of Human Genetics der Nature Group veröffentlicht wurde. Für diese Arbeit wurde sie mit dem GertJan van Ommen Citation Prize 2024 ausgezeichnet. Deborah Mascalzoni ist die einzige italienische Vertreterin in der Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation zum Privacy-Schutz genetischer Daten.